Grünes Gegengift

Wie Cannabis-Pflanzen dabei helfen sollen, verseuchte Böden in Südafrika zu reinigen.
Wenige Kilometer westlich von Johannesburg glaubt man, auf einem anderen Planeten gelandet zu sein. Violette Seen, smaragdblaue Bäche, riesige orangefarbene Abraumhalden aus Sand. Ab und zu taucht ein verrostetes Stahlgerippe wie ein eiserner Saurier auf: Relikte eines Förderturms, der einmal Aufzüge in die Tiefe abseilte.
Hier wurde in den vergangenen 130 Jahren Südafrikas Reichtum gewonnen, der allerdings nur einer kleinen Minderheit zugute kam. Doch mit den toxischen Folgen der Goldgewinnung haben heute alle, vor allem die am westlichen Stadtrand der Metropole lebende Bevölkerung zu tun. Der Name des größten südafrikanischen Townships, Soweto, ist aus „South Western Township“ zusammengesetzt und liegt von den giftfarbenen Alptraumlandschaften teilweise nur einen Steinwurf entfernt.
Bei der Goldgewinnung wurden einst – und werden teilweise noch heute – hochgiftige Chemikalien wie Quecksilber, Arsen und Zyanid eingesetzt. Außerdem werden gemeinsam mit dem Edelmetall zahlreiche Schwermetalle wie Kadmium, Blei, Nickel und Kobalt aus der Tiefe gefördert – gelegentlich ist sogar radioaktives Uran darunter. Im „Robinson See“ bei Randfontein wurde radioaktive Strahlung gemessen, die bis zu 40 000-fach über dem Normwert lag. „Das wahre Ausmaß der Umweltvergiftung ist kaum jemandem bewusst“, sagt Tiago Campbell, Student der Umweltwissenschaften an der Johannesburger Witwatersrand-Universität.
Eigentlich sollte die verwüstete Landschaft nach dem Raub des Bodenschatzes von den Bergbaukonzernen wiederhergestellt werden. Doch die nahmen es mit ihren Verpflichtungen nicht so genau – oder gingen Pleite, bevor sie zur Verantwortung gezogen werden konnten. Jetzt hat das Grundwasser Säuregrade wie Essig und von den Abraumhalden wird radioaktiver Staub verweht, der bei Menschen Krebs verursacht. Tiago Campbell hat sich vorgenommen, diesem Missstand ein Ende zu bereiten. Und das soll ausgerechnet mit der Hanfpflanze „Cannabis sativa“ geschehen, der unter anderem Marihuana zu verdanken ist.
Cannabis, im Englischen auch „mop crop“ (Scheuerlappen-Pflanze) genannt, ist bekannt für seine Reinigungskräfte, in Fachkreisen Phytosanierung genannt. Die Pflanze hat bis zu 2,5 Meter tief reichende Wurzeln, wächst wie Unkraut und nimmt toxische Stoffe auf. Tiago Campbell hat sie bereits in die vergifteten Böden der stillgelegten Goldminen gepflanzt – sie wuchsen munter weiter. Das Gewächs hat seine Reinigungskräfte bereits in Tschernobyl und in dem italienischen Stahl-Städtchen Puglia unter Beweis gestellt, wo es sich das freigewordene Dioxin einverleibte. Mit Cannabis sativa begrünt könnte selbst die Mondlandschaft im Westen Johannesburgs wieder zum Leben erweckt werden, ist Campbell überzeugt: Und zwar zu einem Bruchteil der Kosten, die zur Rehabilitation von Landschaften sonst anfallen.
Vielseitig verwertbare Faser
Hanf hat noch einen weiteren Vorteil: Er ist vielfältig verwertbar. Mit seinen Fasern kann man neben Seilen auch Kleider und biologisches Plastik herstellen: Mit Hanf-Backsteinen werden mittlerweile sogar Häuser gebaut. Schließlich wird Cannabis derzeit auch in Südafrika eine ganz neue Zukunft eröffnet: Nach der Zulassung als Heilmittel steht Marihuana auch am Kap der Guten Hoffnung die Billigung als Entspannungsdroge bevor.
Tiago Campbell warnt allerdings davor, seine auf toxischen Böden gewachsenen Pflanzen auch für solche Zwecke zu nutzen: Ihre hoch angereicherten Wirkstoffe könnten sich als „much too high“ erweisen.