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Grotesker Kult

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Von: Stefan Scholl

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Was für ein Hengst: Gurbanguly Berdimuhamedow zeigt sich in diesem Falle sattelfest.
Was für ein Hengst: Gurbanguly Berdimuhamedow zeigt sich in diesem Falle sattelfest. © Imago

Dieser Mann ist zu allem fähig: Kein Diktator der Gegenwart führt sich selbst derart vor wie Turkmenistans Präsident Gurbanguly Berdimuhamedow.

Auch der Reporter des russischen Staatssenders „Rossija 24“ hatte Mühe, sich ein ungläubiges Grinsen zu verkneifen: Turkmenistans Präsident Gurbanguly Berdimuhamedow schlenderte mit ihm über einen endlosen Teppichläufer in den grünroten Farben der Nationalfahne und gab ein Interview, das zu einem 21-minütigen Monolog geriet. Würdenträger in schwarzen Anzügen folgten mit respektvollem Abstand neben dem Teppich, am Straßenrand aber saßen Hunderte Frauen in Nationaltrachten und skandierten den Namen ihres Präsidenten.

Das Reiten, erklärte der Staatschef, stecke in seinen turkmenischen Genen. „Wir sind alle geborene Reiter. Und wissen Sie, zu Sowjetzeiten erfüllten wir alle Normen im Schwimmen, Schießen und Ringen für das Sportabzeichen ‚Bereit zur Arbeit und Verteidigung‘.“ Die körperliche Abhärtung der Kinderjahre habe dazu geführt, dass man heute zu allem fähig sei.

Dass Berdimuhamedow, 61, gelernter Zahnarzt und dreifacher Vater, zu allem fähig ist, weiß in Turkmenistan jedes Kind. Das Staatsfernsehen liefert immer neue Video-Zeugnisse seiner Großtaten, das Oppositionsportal „Chronika Turkmenistana“ verbreitet sie gleich weiter. Und die postsowjetische Internet-Öffentlichkeit lacht. „Die Videos vergnügen das ausländische Publikum“, schreibt das Moskauer Analyse-Portal „carnegie.ru“. „Sie sind so absurd, dass sie die kühnsten Vorstellungen von den Auswüchsen des Personenkults sprengen.“

Mal zeigt Berdimuhamedow als schwarz bebrillter Rambo, wie man mit Sturmgewehr, Pistole und Wurfmesser aus fünf bis zehn Metern feindliche Pappkameraden zerlöchert. Er steuert Tauchpanzer, spielt Klavier, singt, rappt gemeinsam mit seinem Enkel. Er schenkt zu Tränen gerührten Beamten sein neuestes Buch übers Teetrinken. 

Oder er steht einsam im Wüstensand vor seinem festgefahrenen Rallye-Wagen und gestikuliert wie ein Verkehrspolizist – hochprofessionell, aber vergeblich. Am Ende kniet der Präsident doch neben dem Auto und buddelt es mit dem Spaten aus.

Im Internet wird er als „Turkmenistator“ verspottet, mit den Kinowitzfiguren Mr. Bean oder Borat verglichen. Tatsächlich zelebriert kein Diktator der Gegenwart die eigene Eitelkeit so grotesk wie Berdimuhamedow.

Politisch ist er ein Kind des Personenkultes seines 2006 verstorbenen Vorgängers Saparmyrat Nisajow, dem er als Leibdentist diente und der ihn 2001 zu seinem Vize als Regierungschef machte. Nisajow nannte sich „Turkmenbaschi“, „Vater aller Turkmenen“, sein Thronfolger lässt sich als „Arkadag“, als „Patron“ Denkmäler setzen.

„Ein talentierter Politiker kann Personenkult mögen, aber sein Land trotzdem erfolgreich verwalten“, sagt der Moskauer Mittelasienexperte Aschdar Kurtow unserer Zeitung. „Aber Berdimuhamedow ist kein talentierter Politiker.“ Die Arbeitslosigkeit in dem 5,5-Millionen-Seelenland liegt nach UN-Schätzungen bei mehr als 50 Prozent. Zum Jahresende will der Staat die bisher kostenlose Gas- und Wasserversorgung der Bevölkerung einstellen. 

Dabei sitzt Turkmenistan auf einer riesigen Gasblase von rund 18 Billiarden Kubikmeter. Aber was die Nutzung seiner Rohstoffe angeht, belegt das Land auf dem Index des amerikanischen National Resource Governance Instituts Platz 88 von 89 Staaten. „Für Milliarden Dollar wurde eine Pipeline aus dem Südosten des Landes ans Kaspische Meer gebaut, ohne konkrete Aussichten auf Weitertransport“, kritisiert Kurtow. „Das Projekt ist so fruchtlos wie eine andere Rohrleitung, die jetzt Richtung Afghanistan verlegt wird, also in ein Kriegsgebiet.“ Aber wie in anderen asiatischen Despotien erreichten die Informationen über die Realität offenbar nicht mehr die Ohren des Machthabers.

„Ich bleibe auch in der Politik Reiter“, sagte Berdimuhamedow „Rossija 24“, „ich galoppiere voran.“ Tatsächlich sorgte er zu Pferd ebenfalls für Furore: Als er vor einigen Jahren als Jockey bei einem Galopprennen mit deutlichem Abstand die Ziellinie überquerte, fiel er aus dem Sattel und blieb liegen. Leibwächter stürzten herbei, trugen ihn zu einem Krankenwagen. Das Publikum aber begann heftig zu klatschen. Es klang fast, als hofften viele Zuschauer, ihr „Patron“ hätte sich den Hals gebrochen.

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