Der große Stahlhunger im Java-Meer

Asiatische Schrottsammler plündern im Zweiten Weltkrieg gesunkene europäische Kriegsschiffe.
Jahrzehntelang kannte der heute 82 Jahre alte Theo Doorman nicht einmal den Ort, an dem sein Vater Admiral Karl Doorman während der verheerenden Schlacht von Java im Jahr 1942 im Kampf gegen Japans Marine ums Leben gekommen war. Erst 2002 entdeckten Hobby-Archäologen auf dem etwa 80 Meter tiefen Meeresboden zwischen den Inseln Borneo und Java die niederländischen Schiffe, die damals gemeinsam mit britischen Zerstörern und einem U-Boot der USA sanken. Als Theo Doorman im Sommer mit einer Gedenkplakette im Gepäck gemeinsam mit einer Expedition die Fundstelle erreichte, waren zwei Schiffswracks völlig verschwunden. Und von einem dritten gab es nur noch schäbige Reste.
„Ich war so traurig“, sagte Admiralssohn Doorman nach der schockierenden Entdeckung dem britischen Sender BBC, „Zorn hilft in einer solchen Situation überhaupt nicht. Aber traurig. Denn über Jahrhunderte war es üblich, solche Gräber von Seefahrern nicht anzurühren. Das ist hier anders gewesen.“ Angesichts der Plünderung stehen plötzlich die Gedenkfeiern in den Niederlanden unter dunklen Wolken, die im kommenden Jahr zum 75. Jahrestag der verhängnisvollen Seeschlacht geplant waren.
Schiffe aus Australien, den USA, Großbritannien und den Niederlanden waren 1942 in aller Eile zu einem Flottenverband zusammengeworfen worden, um den schier unaufhaltsamen Siegeszug der japanischen Eroberer in der damaligen niederländischen Kolonie Indonesien zu stoppen. Doch die Seeschlacht von Java unter dem Kommando von Admiral Karl Doormann endete in einem weltpolitisch kaum beachteten Fiasko. Die Vier-Nationen-Streitmacht wurde schlicht verheizt.
Sechs Schiffe sanken während der eineinhalbtägigen Schlacht gegen überlegene und effektiv operierende japanische Kriegsschiffe. Vor seinem Tod erteilte Doormann den anderen, noch bewegungsfähigen Schiffen den Befehl zum Rückzug. Das alliierte Oberkommando dirigierte sie prompt in eine Falle. Es befahl den Rückzug durch die von Japan beherrschte Sundastraße. Insgesamt verschwanden 25 Schiffe in den Fluten. Viele stammten noch aus der Zeit des Ersten Weltkriegs und hatten keine Chance gegen die moderne japanische Flotte. Laut offizieller Darstellung starben über 300 Seeleute.
Indonesiens Marine, die seit über einem Jahr vermehrt Jagd auf Kutter aus China und Südostasien macht, die illegal in Jakartas Gewässern fischen, will nichts gemerkt haben. „Die Behauptung, die Wracks seien plötzlich verschwunden, ergibt keinen Sinn“, erklärte Oberst Gig Sipasulta von Indonesiens Marine, „das muss Monate, wenn nicht Jahre gelaufen sein.“
Offenbar haben Schrottsammler der Meere den hochwertigen Stahl der Kriegsschiffe, die teilweise bereits während des Ersten Weltkriegs von der Reede gelaufen waren, rund 60 Kilometer vor der nächsten Küste geplündert. Allein die Schiffsschrauben der Wracks sollen viel wert gewesen sein – von rund 2500 US-Dollar pro Tonne ist auszugehen.
Der winkende Erlös lässt die Schrottsammler jedes Risiko vergessen. Mit Schläuchen versorgte Taucher bringen in großer Tiefe kleine Sprengladungen an, die Stahlrümpfe zerstören. Anschließend wird das Metall per Kran an Bord gehievt. Malaysias Marine brachte vor ein paar Monaten vietnamesische Boote mit Kränen auf, deren Taucher gerade unter Wasser ein Schiff plünderten. Abnehmer während der vergangenen Jahre war häufig China, dessen expandierende Wirtschaft immensen Stahlhunger entwickelte und in manchen Gegenden Asiens wie ein gigantischer Staubsauger nahezu alles aufsaugte, was nicht niet- und nagelfest war.
Nach der Entdeckung der fehlenden niederländischen Schiffswracks dehnten Experten die Suche auf gesunkene britische Kreuzer und Zerstörer aus. Das Ergebnis fiel ebenfalls niederschmetternd aus: Zwei Schiffe sind verschwunden und von einem Wrack sind nur noch Teile übrig. „An einer Stelle gibt es nur noch ein Loch im Meeresboden“, lautete die ernüchternde Bilanz.