Gerhard Kromschröder: „In Deutschland herrscht unsägliche Kriegsrhetorik“

Satiriker und Ex-Kriegsreporter Gerhard Kromschröder spricht mit Claus-Jürgen Göpfert über die Militarisierung des Denkens, Rückgrat im Journalismus und einen späten Orden.
Herr Kromschröder, Sie sind Satiriker, Sie waren aber auch Kriegsreporter. Was darf Satire in Zeiten des Krieges?
Satire darf viel. In Zeiten des Krieges ist Pathos angesagt, oft genug. Hohles Pathos. Satire muss die Hohlheit dieses Pathos zeigen und entlarven.
Geschieht das in Deutschland gegenwärtig?
In Deutschland herrscht gegenwärtig eine unsägliche Kriegsrhetorik. Wir scheinen diese Kriegsrhetorik geradezu lustvoll anzunehmen und uns in ihr zu suhlen. Oft führt das zu Realsatire. Ich denke an eine Partei, die einmal als Friedenspartei gegründet wurde und damit Erfolg hatte. Sie gefällt sich heute darin, immer neue Waffenlieferungen zu fordern und wechselnde Kriegsszenarien auszumalen. Das hat viel Komik an sich.
Wir sprechen über die Grünen.
Das ist ein fataler Trend, der über die Grünen hinausreicht. Wir glaubten, in Deutschland den Militarismus überwunden zu haben. Aber jetzt sind wir ein Land geworden, das sich auf den Weg in den Militarismus macht. Mir steht ein Bild noch von den Osterfeiertagen vor Augen: Der Bundesminister Cem Özdemir absolviert eine viertägige Übung bei der Bundeswehr und verwandelt sich in dieser Zeit in einen Oberleutnant der Reserve. Das ist geradezu komisch.
Woher rührt diese besondere Hingabe in der deutschen Politik für den Krieg? Hat diese Hinwendung moralische Gründe, wurzelt sie darin, dass Deutschland den Holocaust verantwortete und 1941 den Krieg gegen die Sowjetunion begann?
Wir sind nicht das einzige Volk in Europa, das sich in Kriegsrhetorik ergeht. Diese Bewegung ist reihum zu beobachten, besonders aber in östlichen Nachbarländern wie etwa in Polen und in den baltischen Staaten.
Setzt sich Satire in Deutschland zur Zeit mit dieser Situation auseinander?
Man muss danach suchen. Ich sehe da sehr wenig.
Sie sind jetzt 81 Jahre alt, waren stellvertretender Chefredakteur der legendären Frankfurter Satirezeitschrift „Pardon“, haben viele Bücher veröffentlicht. Reizt es Sie nicht, wieder zu schreiben?
Ja, mir juckt es schon in den Fingern. Ich sollte mich vielleicht mit einem Karikaturisten zusammentun.

Wie lässt sich der Krieg in der Ukraine beenden?
Meine Position ist eine eher pazifistische. Wer heute nur auf Waffenlieferungen setzt, verdrängt, dass Frieden eine Verhandlungslösung braucht. Verhandlungen sind dringend nötig. Sie sind aber auch deshalb so schwierig, weil Teile des Westens den russischen Präsidenten Putin mittlerweile mit Hitler vergleichen. Ich halte das für schlimm, weil es die Singularität dessen, was Hitler angerichtet hat, in Zweifel zieht.
Sie sind selbst Kriegsreporter gewesen, haben etwa für das Magazin „Stern“ aus dem Irak-Krieg berichtet. Hat sich so Ihre pazifistische Haltung entwickelt?
Meine Erfahrungen als Kriegsreporter haben meine Position bestärkt, dass Krieg kein Strategiespiel ist, sondern eine blutige Bestie. Wir müssen alles tun, um Kriege zu verhindern. Ich habe in der Realität erlebt, was Krieg bedeutet.
Gibt es eine unabhängige Kriegsberichterstattung, kann es sie überhaupt geben?
Wenn ich heute den Fernsehapparat einschalte, wachsen meine Zweifel, dass es eine unabhängige Berichterstattung über diesen Krieg gibt. Es wird alles sehr einseitig aus der Position der Ukraine gezeigt. Es ist natürlich unglaublich schwierig, unabhängig zu berichten. Die Möglichkeiten zu manipulieren sind unendlich. Beide Seiten benutzen manchmal dieselben Bilder und geben ihnen durch Bildunterschriften eine jeweils ganz andere Bedeutung. Man muss sich darüber im Klaren sein: Westliche Journalisten auf ukrainischer Seite werden geführt. Die Bewegungsfreiheit von Journalisten ist davon abhängig, was das Militär gestattet. Die Gesprächspartner sind ausgesucht. Das Militär hat die Hoheit über die Bilder.

Zur Person
Gerhard Kromschröder wurde 1941 in Frankfurt am Main geboren und studierte dort Germanistik, Soziologie und Kunstgeschichte. Seine journalistische Arbeit begann er als Lokalredakteur im Emsland. Ihm wurde gekündigt, als er über verdrängte Konzentrationslager in der Region schrieb. Jetzt erhielt er für diese Arbeiten den Verdienstorden des Landes Niedersachsen.
Bei „Pardon“ , dem legendären Satireblatt, war er stellvertretender Chefredakteur und veröffentlichte etliche satirische Bücher. Als Kriegsreporter und Korrespondent in Kairo und Bagdad arbeitete er für das Magazin „Stern“. Er lebt als freier Autor in Hamburg. jg
Im Irak-Krieg hat seinerzeit der „embedded journalism“ begonnen, das heißt, Journalist:innen bewegten sich als Teil der alliierten Einheiten.
Ja. Wie man sich bettet, so lügt man. Journalisten werden dabei an der langen Leine geführt. Dabei geben die Berichterstatter ihre Unabhängigkeit auf. Sie müssen ihre Texte vorlegen, sie müssen im Rahmen bleiben, den das Militär vorgibt.
Was raten sie den Journalist:innen im Krieg heute?
Seid mutig, auch in der abweichenden Meinung. Schaut genau hin. Lasst Euch nichts vormachen. Sprecht auch mit Menschen, die euch nicht zugeführt werden.
Sie haben 2006 ein Buch über den Zustand des Journalismus in Deutschland geschrieben, dem Sie den Untertitel gaben: „Glanz und Elend eines Berufsstandes“. Sehen Sie heute mehr Glanz oder mehr Elend im Journalismus?
Auch angesichts des Krieges in der Ukraine sage ich ganz klar: mehr Elend. Abweichende Meinungen erhalten nicht mehr den Raum, den sie verdienen.

Sie haben Ihre Karriere selbst als Lokaljournalist im Emsland begonnen, einem, wie Sie schreiben, damals bettelarmen und stockkatholischen Landstrich.
Ich singe bis heute das Hohe Lied des Lokaljournalismus. Er ist sehr direkt. Im Lokalen ist es den Lesenden möglich, direkt zu überprüfen, was die Journalisten zu Papier gebracht haben. Und es gilt: Der Lokaljournalismus ist eine gute Rückenschule für Journalisten.
Sie haben damals im Emsland für viel Aufsehen gesorgt, als sie über frühere Konzentrationslager aus der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zu berichten begannen.
Ja. Es gab dort insgesamt fünfzehn Lager. Eines davon war das Konzentrationslager Esterwegen, in dem Carl von Ossietzky gequält worden war. Im emsländischen KZ Börgermoor war das antifaschistische Kampflied „Wir sind die Moorsoldaten“ entstanden. Mit meinem Kollegen Hermann Vinke begann ich, dazu zu recherchieren und darüber zu schreiben. Allein 20 000 sowjetische Kriegsgefangene sind in den Lagern zu Tode gekommen. Doch davon wollte vor Ort niemand etwas wissen. Wir galten als Nestbeschmutzer. Und wir haben schließlich unsere Arbeitsplätze bei der „Ems-Zeitung“ in Papenburg verloren.

Und jetzt sind Sie für Ihre Recherchen ausgezeichnet worden.
Ja, das ist absolut kurios. 60 Jahre später hat uns Ministerpräsident Weil das „Verdienstkreuz am Bande des niedersächsischen Verdienstordens“ verliehen. Für „die herausragende Pionierleistung zur historischen Aufarbeitung der Geschichte der Emslandlager“. Wissen Sie, es ist ja so: Über das Konzentrationslager Auschwitz lässt sich reden, das liegt ja irgendwo da hinten in Polen. Aber das KZ vor der Haustür, das wollte man nicht so genau wissen. Inzwischen gibt es eine sehenswerte Gedenkstätte in Esterwegen, hat ja auch lange genug gedauert.
Wie empfinden Sie diese späte Ehrung?
Ach ja, ist doch hübsch, dass man mit gewisser Zeitverzögerung die Glatze gestreichelt bekommt. Hermann Vinke und ich haben ja auch nach unserem Weggang aus dem Emsland weiter dafür gesorgt, dass das Thema nicht vergessen wurde. Mit Reden und Veröffentlichungen haben wir die Aktivitäten der nach uns entstandenen Bürgerinitiative unterstützt, die schließlich zur Errichtung der Gedenkstätte führten.
Sind Sie heute noch Zeitungsleser?
Ich bin leidenschaftlicher Zeitungsleser, ich bin auf das gedruckte Wort angewiesen. Ich brauche den Journalismus und meine Zeitung im Briefkasten.

Wie sehen Sie die Situation des Journalismus in Deutschland zurzeit?
Leider hat der Krieg in der Ukraine den Journalismus gegenwärtig intensiv durchdrungen. Er hat fast nur noch Augen dafür, was „an der Ostflanke“ der Nato geschieht. Das ist auch so eine schreckliche militärische Formulierung, die in den Zeitungen Einzug gehalten hat. Stattdessen sollten die Journalisten auch auf die soziale Ungerechtigkeit in Deutschland schauen. Die Schere zwischen Arm und Reich ist beängstigend groß. Sie wird immer größer.
Die Bundesregierung aber legt ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Rüstung auf.
100 Milliarden Euro für die Rüstung sind einfach unverantwortlich. Stattdessen sollten wir die Schrecken des Krieges verdeutlichen. Ich habe seinerzeit im „Stern“ die Bilder des Todes gezeigt. Mir war es gelungen, in Bagdad zu einem Bunker zu kommen, in dem 400 Menschen durch einen Bombenangriff verbrannt waren. Die Opfer des Krieges verlangen von uns, dass wir ihr Leid zeigen. Stattdessen juckeln im Fernsehen deutsche Panzer durch die Heide. Und ein Bundesverteidigungsminister sitzt drin, der entschlossen das Kinn vorschiebt. Aber das ist nicht der Krieg. Krieg ist Blut, ist Tod und Vernichtung. Die Menschen müssen mit den Folgen des Krieges konfrontiert werden, seine blutige Spur sehen. Dann würde ihnen vielleicht klar werden, wie wichtig es ist, Kriege zu verhindern.