Kann Krebs vererbt werden? Welche Menschen besonders gefährdet sind
In bis zu zehn Prozent aller Fälle ist eine genetische Anlage für eine Krebserkrankung verantwortlich. Doch wer ist besonders gefährdet? Tests geben Aufschluss.
Frankfurt – Erkrankt ein Familienmitglied an Krebs, drückt meist nicht nur die Sorge um den oder die Angehörige:n, sondern obendrein die Frage: Trage auch ich ein Erkrankungsrisiko in mir? Krebs stellt Forschende bis heute vor viele Fragen, und wie er entsteht, ist noch immer nicht vollständig geklärt. Fest steht jedoch: Eine Vielzahl von Faktoren können zu seiner Entwicklung beitragen. Neben dem Lebensstil und der Ernährung ist eine Krebserkrankung „in fünf bis zehn Prozent der Fälle auf eine genetische Vorbelastung zurückzuführen“, so Dr. Susanne Weg-Remers von Deutschen Krebsinformationsdienst KID.
Kann man Krebs vererben? Welche Menschen besonders gefährdet
Laut Schätzungen des Robert Koch-Instituts wurden allein im Jahr 2020 etwa 510.000 Menschen in Deutschland neu mit Krebs diagnostiziert; insgesamt leben derzeit etwa 1,2 Millionen Menschen mit einer Krebserkrankung. Und nicht immer zeigen sich die verschiedenen Krebs-Arten mit frühen Anzeichen, auf die man reagieren sollte.
„Viele tragen das Risiko in sich, ohne es zu wissen. Es ist leider nach wie vor in vielen Familien ein Tabu, darüber zu sprechen. Dabei wäre das vor allem bei den mit einem hohen erblichen Risiko behafteten Krebsarten wie Brustkrebs und Darmkrebs wichtig zu wissen, ob sie in der Familie gehäuft aufgetreten sind“, erklärt Weg-Remers gegenüber fr.de von IPPEN.MEDIA. Denn: Die Wahrscheinlichkeit, eine Erbgut-Veränderung an seine Kinder weiterzugeben, beträgt 50 Prozent. Das bedeutet: Statistisch gesehen erbt die Hälfte der Nachkommen das erhöhte Krebsrisiko.

Vererbt wird nicht der Krebs, sondern Genveränderungen, die das Krebsrisiko erhöhen
„Vererbt wird dabei nicht Krebs als Krankheit an sich, sondern nur die im Erbgut enthaltenen Fehler im Reparatursystem, die das Risiko erhöhen, an Krebs zu erkranken“, führt Weg-Remers aus. Insgesamt gibt es laut Angaben des Deutschen Krebsforschungszentrums mehr als 300 Arten von Krebs, mit ganz unterschiedlichen Symptomen. Bei einigen kann die erbliche Veranlagung nach derzeitigem Wissensstand eine Rolle spielen, wie beispielsweise Brust- und Eierstockkrebs, Darmkrebs, Bauchspeicheldrüsenkrebs und bei einigen Formen von Hautkrebs.
Vererbungsrate für vererbbare Krebserkrankungen
- Brustkrebs: Durchschnittlich 70 von 100 Frauen mit einer Veränderung im BRCA1- oder BRCA2-Gen erkranken an Brustkrebs. Zum Vergleich: In der Allgemeinbevölkerung erkranken etwa 13 von 100 Frauen im Laufe ihres Lebens an Brustkrebs.
- Eierstock- und Eileiterkrebs: Bei diesen Krebsarten unterscheidet sich das Risiko je nach Erbgut-Veränderung: Etwa 44 von 100 Frauen mit BRCA1-Veränderung erkranken im Laufe ihres Lebens. Bei BRCA2 sind dagegen 17 von 100 Frauen betroffen. Zum Vergleich: Bei Frauen ohne erbliche Veranlagung erkrankt etwa 1 von 100 im Laufe ihres Lebens.
- Erblicher Darmkrebs: Bei etwa 5 von 100 Darmkrebspatient:innen können ererbte Veränderungen eindeutig bestimmt werden. Eine einzelne Veränderung bewirkt, dass Betroffene neben einem erhöhten Darmkrebsrisiko für weitere Krebsarten anfälliger sind. Dazu gehören je nach Veränderung Magenkrebs, Leberkrebs, Gebärmutterkörperkrebs oder Eierstockkrebs.
- Li-Fraumeni-Syndrom: Das Li-Fraumeni-Syndrom (LFS) ist ein seltenes Krebs-Syndrom. Menschen mit LFS haben ein hohes Risiko, im Laufe ihres Lebens an Krebs zu erkranken. Fast alle Frauen und 3 von 4 Männern mit LFS müssen damit rechnen. Einige Betroffene erkranken bereits im Kindesalter, manche auch mehrfach in ihrem Leben.
- Erblicher Magenkrebs: Etwa 1 bis 3 von 100 Magenkrebs-Erkrankungen sind erblich bedingt. Ein Teil davon entsteht durch Veränderungen im Gen CDH1, dessen Produkt für den Zusammenhalt von Zellen wichtig ist. Menschen mit einer solchen Genveränderung haben ein hohes Risiko für Magenkrebs: Etwa 6 bis 7 von 10 erkranken im Laufe ihres Lebens. Fachleute nennen die Erkrankung auch hereditäres diffuses Magenkarzinom, weil kleine Krebsherde über den ganzen Magen verteilt sind. Frauen haben außerdem ein erhöhtes Brustkrebsrisiko.
- Quelle: Deutsches Krebsforschungszentrum
Gentests bestimmen Krebsrisiko und die Wahrscheinlichkeit für bestimmte Krebsarten
Doch wie erkenne ich, dass ich ein erhöhtes familiäres Risiko trage? Menschen, in deren Familien, vor allem über Generationen hinweg, gehäuft Krebsfälle auftreten und in denen vor allem jüngere Angehörige an Krebs erkrankt sind, sollten das unbedingt mit ihrem Fach- oder Hausarzt abklären. „In speziellen Tests kann dann eine Veranlagung festgestellt werden. Diese Gentests weisen die zugrundeliegende Veränderung nach. Wenn man sie kennt, kann die Wahrscheinlichkeit errechnet werden, in den nächsten zehn Jahren an Krebs zu erkranken“, erklärt die Experten vom KID.
Die häufigsten Krebserkrankungen in Deutschland
- 1. Brustkrebs (neue Fälle pro Jahr: 70.980)
- 2. Prostatakrebs (neue Fälle pro Jahr: 58.710)
- 3. Darmkrebs (neue Fälle pro Jahr: 58.000)
- 4. Lungenkrebs (neue Fälle pro Jahr: 34.900)
- 5. Hautkrebs (neue Fälle pro Jahr: 29.200)
- 6. Blasenkrebs (neue Fälle pro Jahr: 28.220)
- 7. Lymphome (neue Fälle pro Jahr: 22.610)
- 8. Magenkrebs (neue Fälle pro Jahr: 15.550)
- 9. Leberkrebs (neue Fälle pro Jahr: 8.200)
- 10. Bauchspeicheldrüsenkrebs (neue Fälle pro Jahr: 17.400)
- Quelle: Robert Koch-Instituts (RKI), 2018
Gentest im ersten Schritt für erkrankte Familienmitglieder sinnvoll
„Ob man diesen Test machen möchte, ist immer eine individuelle Entscheidung. Denn die genetische Veranlagung für Krebs bedeutet eben nicht zwangsläufig, dass die betroffene Person Krebs bekommen wird, kann aber eine erhebliche psychische Belastung mit sich bringen.“ Am sinnvollsten sei es ohnehin, so die Expertin, wenn sich zunächst das Familienmitglied testen lässt, das erkrankt ist – vor allem, damit klar ist, ob und wonach gesucht werden muss.
Stellt sich dann heraus, dass die oder der betroffene Familienangehörige die Disposition in sich trägt, können Gentests für weitere Familienmitglieder sinnvoll sein: „Im Besonderen bei Tumoren, für die es wirkungsvolle Maßnahmen zur Früherkennung gibt, wie Brustkrebs oder Darmkrebs“, so Weg-Remers.
Empfehlen Ärztinnen und Ärzte einen Gentest, trägt in der Regel die Krankenkasse die Kosten. Vor allem bei Brust-, Eierstock- und Darmkrebs sind die Kriterien klar definiert – eine Kostenübernahme läuft meist unproblematisch.
Testergebnis kann psychisch belasten: Krebs-Gentests erst ab 18 Jahren
Doch was tun, wenn auch der eigene Test nachweist, dass es eine genetische Veranlagung gibt, und man bereits Kinder hat? „Mit wenigen Ausnahmen wartet man mit einem Test bei Kindern bis zum Alter von 18 Jahren. Jedem Gentest geht nämlich eine genetische Beratung voraus, die auch beispielsweise über das ‚Recht auf Nichtwissen‘ informiert.“
Dr. Susanne Weg-Remers: „Doch selbst wenn ein genetisches Risiko nachgewiesen ist, sollte man den Kopf nicht in den Sand stecken. Es gibt bei allen Fällen auch Mutationsträgerinnen, die nicht erkranken. Darüber hinaus kann man durch gesunden Lebensstil dieses Risiko positiv beeinflussen.“