Gekommen, um zu bleiben

„Damit der Wald wirklich überleben kann, braucht er weiter unseren langen Atem“, ist eine Anwohnerin überzeugt. Vor zehn Jahren begann die Besetzung des Hambacher Waldes – einem Ort mit Symbolkraft.
Unter dem Motto „Wald statt Kohle“ haben sich Umweltaktivistinnen und -aktivisten am 14. April 2012 eine halbe Autostunde westlich von Köln im Hambacher Wald zu einem Kulturfest getroffen. Doch einige der Feiernden waren damals gekommen, um zu bleiben. Sie begründeten an jenem Tag die erste Besetzung des vom Braunkohletagebau bedrohten Waldes.
„Wir sind von Anfang an in der Hoffnung gekommen, dass das hier ein langfristiges Projekt werden würde“, erinnert sich ein Aktivist der ersten Stunde, der sich Maulwurf nennt, zehn Jahre später. „Zwar hat es im Lauf der Zeit viele Räumungen gegeben, aber auch immer wieder die Motivation, weiterzumachen.“ Es waren vor allem die Räumungen, die dem Hambacher Wald mediale Aufmerksamkeit bescherten und so letztlich seine Symbolwirkung verstärkten. Wäre es nach NRW-Innenminister Herbert Reul und dem Tagebaubetreiber RWE gegangen, hätte spätestens im Herbst 2018 das „Rodungsfinale“ (Zitat Reul) stattgefunden, und der „Hambi“ wäre längst Geschichte.
Stattdessen wurden dort andere Geschichten geschrieben, denn die dreiwöchige Räumung im September 2018 mobilisierte die ganze Vielfalt der Klimagerechtigkeitsbewegung – von Initiativen wie „ausgeCOhlt“ oder „Ende Gelände“, die Erfahrung in zivilem Ungehorsam mitbrachten, über die Zivilbevölkerung, die zu Zehntausenden an Protestspaziergängen teilnahm, bis hin zum BUND, der den Wald auf dem Klageweg verteidigte –, bis im Oktober das OVG Münster den Rodungsstopp verhängte, den die Bundespolitik anderthalb Jahre später im „Kohleverstromungsbeendigungsgesetz“ festschrieb. Doch die Besetzer:innen bauten nach dem Abzug der Polizei neue Baumhäuser und blieben, nicht zuletzt aus Misstrauen gegenüber dem Konzern und der Landespolitik.
„Zehn Jahre langes intensives Engagement für den Erhalt des Hambacher Waldes liegen hinter uns, doch damit der Wald wirklich überleben kann, braucht er weiterhin unseren langen Atem.“ So lautet die Überzeugung von Antje Grothus aus dem Anrainer-Ort Buir, die Mitglied der Kohlekommission war. Im Mai hofft sie auf einen Einzug in den Landtag, um sich auch auf parlamentarischer Ebene für die Region zu engagieren. Wichtig ist Grothus eine großräumige Vernetzung mit den umliegenden Bürgewald-Relikten. „Zu einer guten Zukunft gehört aber auch, der Zeitgeschichte, die in diesem Wald geschrieben wurde, gerecht zu werden; beispielsweise mit einem Hambi-Museum in der alten Malzfabrik in Buir, vor allem aber mit echter Partizipation bei der weiteren Entwicklung des Rheinischen Reviers“, sagt Grothus.
Denn die staatliche Strukturwandelförderung, die das Ende der Braunkohle begleiten soll, bringt zwar unter anderem ein landwirtschaftliches Photovoltaik-Projekt des Forschungszentrums Jülich im nun geretteten Dorf Morschenich hervor. Doch vor allem scheinen die Mittel in neue Gewerbegebiete und Straßenbau zu fließen – zur Bestürzung derer, die sich seit Jahren nicht nur für den Hambacher Wald engagieren, sondern auch für eine andere Art von Zukunft.
Für sie spielt der Wald jenseits aller Symbolik eine unverändert konkrete Rolle: „Heute ist der Wald ein Ort, wo man immer wieder hinkommen kann“, sagt der Maulwurf. „Er ist ein Ort, um Wissen weiterzugeben – eine Keimzelle, wo Menschen lernen können, um dann anderswo lokal etwas zu organisieren. Klimaschutz ist nun mal ein träges Thema, weil das ‚Ziel‘ immer in der Ferne zu liegen scheint und schnell von aktuelleren Themen wie der Pandemie oder dem Krieg in der Ukraine überlagert wird. Es braucht einfach einen langen Atem – und dieses beharrliche Arbeiten ist hier möglich.“
Ein Echo dieser Worte verknüpft Elisabeth Meyn mit einer ganz eigenen Perspektive. Die Mutter des 2018 während der Räumung verunglückten Dokumentaristen Steffen Meyn ist dem Wald eng verbunden geblieben und bringt auch am Osterwochenende zum „Zehnten“ frische Blumen und veganen Kuchen vorbei. „Dass der Hambacher Wald erhalten bleibt, gibt mir die Möglichkeit, immer wieder an der Stelle zu sein, an der Steffen abgestürzt ist. Wir fühlen da Steffens Energie, und das gibt mir einen gewissen Frieden mit der Tatsache, dass mein einziger Sohn nicht mehr da ist“, sagt sie. „Gleichzeitig bin ich voller Bewunderung für die Menschen, die mit ihren Körpern, mit ihrer ganzen Persönlichkeit sagen, wir sind hier, wir werden das Feld nicht diesen Riesen überlassen. Diese Menschen verdienen nach wie vor jeden Beistand, weil sie zeigen, dass sich Beharrlichkeit auszahlt.“
