Gasprojekt bedroht Indianer

Trotz weltweiter Proteste will Perus Regierung die umstrittene Gasförderung im östlichen Dschungelgebiet ausweiten. Für das 1,6-Milliarden-Dollar-Geschäft setzt sich Peru über die Bedenken von Menschenrechtsorganisationen hinweg, die vor der Gefährdung der indigenen Bevölkerung warnen.
Die Regierung von Peru will trotz weltweiter Proteste das Camisea-Gasvorkommen im östlichen Dschungelgebiet ausweiten, was nach Ansicht der Kritiker das Überleben der dortigen Indianer-Völker in Frage stellt. Die letzten Einwände seien nun ausgeräumt, sagte die zuständige Vize-Ministerin für Interkulturalität. Damit dürfte die Genehmigung in den nächsten Tagen erteilt werden.
Das Firmenkonsortium, das Perus größtes Energieprojekt betreibt, teilte letzte Woche mit, es habe dem Staat im vergangenen Jahr 1,3 Milliarden Dollar an Bergbauabgaben überwiesen, 12 Prozent mehr als im Vorjahr. Wie gut Camisea der Staatskasse tut, diese Mitteilung zu Jahresbeginn ist üblich, seit Camisea produziert. Aber dieses Jahr steht sie im Kontext des politischen Gerangels um die Erweiterung des Blocks 88, des zweit ergiebigsten des im weitgehend unberührten Dschungels rund 450 Kilometer östlich von Lima liegenden Gas- und Öl-Projektes: Gegen die Bedenken wegen der Gefährdung der Indianer sollte offenbar der ökonomische Nutzen ins Feld geführt werden.
Tatsächlich sind die Öl- und Gas-Vorkommen von Camisea so etwas wie die Kronjuwelen der peruanischen Ökonomie. In den mutmaßlich 40 Jahren seiner Ergiebigkeit wird Camisea wohl 30 Milliarden Dollar in den Staatshaushalt pumpen. 2011 gab es zwar neun produzierende Gasfelder in Peru, aber von der peruanischen Jahresförderung in Höhe von 11,3 Milliarden Kubikmetern bestritten allein die Camisea-Blöcke 88 und 56 rund 95 Prozent. Im Jahr 2000, bevor Camisea begann, lag Perus Gasförderung bei 0,3 Milliarden.
Ein Firmenkonsortium, dem neben der argentinischen Pluspetrol die US-Firma Hunt Oil und die spanische Repsol als Juniorpartner angehören, will nun die Ausbeute in Block 88 erweitern – ein 1,6-Milliarden-Dollar-Geschäft.
Das Problem ist nur: Der 1435 Quadratkilometer große Block 88 am Unterlauf des Urubamba – dessen Oberlauf den Fuß des Bergmassivs umspült, auf dem die Inka-Festung Machu Picchu liegt – überlappt sich zu 75 Prozent mit dem rund dreimal so großen „Territorial-Reservat Kugapori, Nahua, Nanti und andere“, abgekürzt RTKNN. In dem potentiell betroffenen Gebiet leben nach Angaben der Organisation Survival International, die sich für bedrohte Indianer einsetzt, sowohl unkontaktierte als auch Indianer, die sich zurückgezogen haben.
Ein Großteil des Gases wird exportiert
Sie sind, Survival und anderen Menschenrechtsorganisationen zufolge, vom Tod bedroht. Das hört sich dramatisch an, hat sich aber historisch in ähnlichen Situationen mehrfach bewahrheitet. Gerade die Völker, die Kontakt mit der Außenwelt hatten, ihn aber wieder abbrachen, zeugen von den verheerenden Wirkungen, die Anfang des 20. Jahrhunderts der Kautschuk-Boom und später die Invasion der Holzfäller nach sich zogen. Mit Öl und Gas ging es nicht besser: Als die Camisea-Region in den Achtzigern erkundet und prospektiert wurde, starb Survival zufolge etwa die Hälfte des Nahua-Volkes an Grippe und ähnlichen Krankheiten, gegen die die Indigenen keine Resistenzen haben.
Jeder Peruaner solle billiges Erdgas bekommen, so versprach Präsident Ollanta Humala im Wahlkampf – eine Ankündigung, die eine spezielle nationalistische Färbung dadurch erhält, dass Peru einen Großteil des Gases exportiert, und der Exportpreis liegt niedriger als das, was der heimische Endverbraucher zahlt. Camisea zu erweitern, um diese Nachfrage zu decken, ist also populär. Und vor diesem politischen Hintergrund spielte sich das Gerangel um die Genehmigung für die Erweiterung ab.
88 Bemerkungen zum Projekt verschwinden
Im Juli machte das Vize-Ministerium für Interkulturalität, das im Kulturministerium die Belange der Indigenen wahrnehmen soll, insgesamt 88 so genannten Bemerkungen zum Camisea-Projekt – eine insgesamt verheerende Kritik an den Mängeln im Hinblick auf die örtliche Bevölkerung. Dieses Gutachten wurde damals auf der Webseite der Regierung veröffentlicht, verschwand aber bereits nach ein paar Stunden unter heute ungeklärten Umständen wieder – angeblich auf Betreiben von Juan Jiménez, des damaligen Premierministers. Die Folge: Erst nahm Kultusminister Luis Peirano seinen Hut, kurz darauf folgten ihm Paulo Vilca, der damals erst sieben Wochen amtierende Vizeminister für Interkulturalität, und einer von dessen ranghohen Mitarbeitern.
Die Nachfolger der Zurückgetretenen waren offenbar nicht so streng. Die Zahl der Einwände gegen die Ausweitung sank jedenfalls in mehreren Schritten – und nach Einlenken der Investoren – auf Null. Pluspetrol habe zugesagt, den Einsatz von Hubschraubern auf ein Minimum zu beschränken und hunderte Explosionen von jeweils vier Kilo Sprengstoff, die zur seismologischen Exploration nötig sind, auf eine um 6000 Hektar verminderte Fläche zu beschränken, teilte Patricia Balbuena, die neue Vize-Ministerin für Interkulturalität, Ende Januar mit. Und damit seien alle Einwände ausgeräumt. Im Dezember hatte James Anaya, der UN-Sonderberichterstatter für die Rechte indigener Völker, bei einem Besuch vor Ort eindringlich vor dem Projekt gewarnt und „ausführliche Studien“ gefordert. Über dieses Votum setzt sich Peru nun offenbar hinweg.