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"Für die Kunst ziehe ich in den Krieg"

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Von: Ulrich Lössl

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Versteht Chet Baker: Ethan Hawke.
Versteht Chet Baker: Ethan Hawke. © imago

In seinem neuen Film spielt Ethan Hawke den Musiker Chet Baker ? eine Rolle, auf die er lange gewartet hat.

Im Gespräch erzählt der amerikanische Schauspieler Ethan Hawke von Jazz, Improvisation und Wahrhaftigkeit.

Herr Hawke, Sie wollten den Jazz-Musiker Chet Baker unbedingt spielen. Was hat Sie an der Rolle so fasziniert?
Ich fühlte mich schon sehr lange zu ihm hingezogen. Ich hatte immer das Gefühl, dass ich ihn irgendwie verstand. Natürlich liebe ich auch seine Musik. Seit ich als Teenager in der Plattensammlung meiner Mutter – neben Alben von Miles Davis – auch seine LPs entdeckte, gehört er zum Soundtrack meines Lebens. Chet Baker auf meine Art und Weise zu interpretieren, war mir also eine Herzensangelegenheit.

War das der Grund, warum Sie mit dieser Darstellung die Grenze zwischen sich als Schauspieler und Ihrer eigenen Persönlichkeit verwischt haben?
Das versuche ich schon seit längerer Zeit ganz bewusst zu tun. Denn nur so erfahre ich auch etwas über mich. Diese „Entdeckungsreisen ins Ich“ wurden mir in den letzten Jahren immer wichtiger. Ich bin der festen Überzeugung, dass Menschen auch deshalb ins Kino gehen, weil sie dort etwas über sich selbst, über ihr eigenes Leben erfahren wollen. Große Schauspielkunst geht immer über die einzelne Figur hinaus und erzählt vom Menschsein, von der Conditio humana. Um diese Wahrhaftigkeit als Schauspieler erreichen zu können, muss man schon ein gutes Stück weit seine eigene Seele in die Rolle hinein fließen lassen.

Chet Baker war eine sehr komplexe Persönlichkeit mit vielen Facetten ...
... und genau deshalb war es für mich auch einfacher, Berührungspunkte in meinem Charakter zu finden, die sich mit seinem überschneiden. Ich konnte mich zum Beispiel sehr gut in seine Einsamkeit einfühlen. Oder in seine Besessenheit und seine künstlerischen Sehnsüchte.

Sie wollten vor 15 Jahren schon einmal einen Chet-Baker-Film mit Ihrem Freund Richard Linklater machen. Hätte Ihr Chet-Baker-Porträt da nicht wesentlich anders ausgesehen?

Oh ja, ganz sicher. Ich fühlte mich auch deshalb so aufgehoben in dieser Rolle, weil ich jetzt mit Mitte 40 sehr viel mehr Lebenserfahrung einfließen lassen konnte. Der Film, den ich damals mit Richard machen wollte, hätte mehr das Leben des jungen Chet Baker widergespiegelt. Es wäre eher ein Beatnik-Movie geworden. Über einen Chet, der blendend aussah – er wurde oft der „James Dean des Jazz“ genannt -, über seine vielen Affären – die Frauen haben sich ihm regelrecht an den Hals geworfen –, über seinen frühen Erfolg als Jazz-Trompeter. Der Chet, den ich jetzt spielen konnte, ist aber die viel interessantere Figur. Es ist der Chet, der schon stark vom Leben gezeichnet ist. Von seinen künstlerischen Krisen, seinem Selbstzweifel, seiner Wut und seiner Heroin-Abhängigkeit, die zeitweise sein Leben stark überschattete. Sein größtes Drama war ja, dass ihm ein Dealer, dem er wohl Heroin geklaut hatte, die Vorderzähne ausschlug. Für einen Trompeter eigentlich das Todesurteil. Das wäre so, als würde man einem Klavierspieler die Hände abhacken. Der Film beginnt genau in diesem Moment, als sein Leben auf der Kippe stand. Und er gibt Antworten auf Fragen wie: Kann er es schaffen, sich als Künstler noch einmal neu zu erfinden? Hat er die Kraft, das Trompete-Spielen – mit den falschen Zähnen – wieder wie früher zu meistern? Kann er dem Heroin auf die Dauer entsagen? Und wirklich clean bleiben? Kann er seine neue Liebe halten?

Sie sprachen von Chet Bakers frühem Erfolg und Ruhm. Das trifft doch auch auf Sie selbst zu: Als Sie mit dem Film „Der Club der toten Dichter“ Ihren Durchbruch hatten, waren Sie nicht einmal 20 Jahre alt.
Diese Erfahrungen im Film – aus Chets Perspektive – wieder zu durchleben war ein sehr wichtiger Aspekt für mich. Auch darum wollte ich Chet Baker unbedingt spielen. Wie wird man mit so einem frühen Erfolg eigentlich fertig? Wie beeinflusst der Ruhm die eigene Persönlichkeit, das eigene künstlerische Schaffen? Dem wollte ich noch einmal nachspüren.

In „Born to Be Blue“ werden Drogen nicht in Bausch und Bogen verdammt, sondern differenziert abgebildet. Das passiert sehr selten in einem amerikanischen Film.
Auch das war mir sehr wichtig. Denn seien wir doch ehrlich: Es gibt schon gute Gründe, warum so viele Leute Drogen nehmen. Dass Heroin extrem gefährlich für die Gesundheit ist, steht ja außer Frage. Um es klar zu sagen: Der Film verherrlich Drogen nicht. Aber er zeigt eben auch das Berauschende dieser Drogen. Und man sollte nicht vergessen, dass viele Drogen auch als Schmerzmittel genommen werden. Wenn man high ist, fühlt man die Schmerzen nicht mehr, die einem das Leben zufügt. Wenigstens für ein paar Stunden.

Standen Sie schon mal unter Drogeneinfluss vor der Kamera? Haben Sie schon stoned an Ihren Romanen geschrieben?
(Lacht) Nie in der Welt würde ich darauf antworten.

Dann lassen Sie mich die Frage anders stellen: Wonach – Drogen und andere Stimulanzien ausgeklammert – sind Sie süchtig?
Das ist eine gute Frage. Ich bin süchtig danach zu kommunizieren. So schmerzhaft das auch mitunter sein kann. Ich setze mich gerne mit Menschen auseinander. Ich habe einen großen Drang mich mitzuteilen. Und ich will verstanden werden. Das gilt natürlich auch umgekehrt: Ich bin ein sehr guter Zuhörer, der wirklich wissen will, was und wie mein Gegenüber denkt und fühlt. Dieses Nicht-wirklich-zuhören-können ist furchtbar. Schauen Sie sich nur mal Leute beim Dinner an. Es ist schrecklich, wie wenige da wirklich aufeinander eingehen. Die meisten hören das, was sie hören wollen und nicht das, was wirklich gesagt wurde. Wenn das schon im kleinen nicht funktioniert, dann ist das auf einem globalen Niveau die absolute Kakofonie. Vielleicht können wir Künstler ja etwas dazu beitragen, damit diese Kakofonie weniger wird und das Verständnis füreinander wächst.

Sie sagten mal, der Amateur-Status sei für Sie sehr wichtig. Was genau verstehen Sie darunter?
Ich meine damit nicht, dass man seine Arbeit nicht gut genug oder sogar dilettantisch macht. Sondern eher, dass man offen ist und frisch ans Werk geht. Als Schauspieler liegt mir sehr viel daran, spontan reagieren zu können. Denn nur so ist mein Unterbewusstsein aktiviert. Nur dann wird es erst richtig spannend und interessant. Das große Ziel ist doch, etwas zu kreieren, das größer ist als die Summe aller Beteiligten.

Diese Art von Improvisation setzt großes Können voraus.
Absolut. Wenn Miles Davis improvisiert, dann macht er das ja nicht aus eine Laune heraus – da fließt die künstlerische Arbeit seines gesamten Lebens mit ein. Nur deshalb ist es so genial.

Aber gerade er war doch ein ausgekochter Profi ...
... auf gewisse Weise ja. Aber nicht wenn er sich wirklich von der Musik wegtragen ließ. Übrigens: Ich hasse das Wort „Profi“ und das, wofür es meistens steht. Als Profi bewege ich mich auf abgesicherten Terrain und liefere das, was man von mir erwartet. Und das meist uninspiriert und ziemlich abgefeimt. Profis wollen immer etwas verkaufen – am liebsten sich selbst. Das finde ich nicht nur sterbenslangweilig, das ist mir auch zutiefst zuwider.

Profis machen das, um cool zu wirken.
Dann lasst uns doch einfach mal uncool sein – und dann sehen, was passiert! Ich will als Schauspieler angstfrei sein und spontan agieren können, um so eine ganz bestimmte Atmosphäre einzufangen. Wenn ich etwas mache – ein Buch, einen Film, ein Stück, eine Graphic Novel -, will ich immer an den Anfang, an das Unverbrauchte, Neugierige zurück. In den Bewusstseinszustand eines Anfängers.

In einem Gedicht von Hermann Hesse heißt es: „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft zu leben.“
Ja, genau so ist es. Wunderbar! Ich habe viel von Hesse gelesen, vor allem seinen „Steppenwolf“ ...

Haben Sie eine Lebensphilosophie?
Ich habe kein Motto, kein Statement, nach dem ich lebe. Das Leben ist viel zu komplex, als dass man es auf eine Punchline herunter brechen könnte. Außerdem hatte ich in verschiedenen Lebensphasen auch immer verschiedene Sprüche parat. Aber wenn ich jetzt so darüber nachdenke, einer, der mich schon lange begleitet, lautet: „Für die Kunst ziehe ich in den Krieg!“ Das gilt immer noch für mich.

Interview : Ulrich Lössl

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