Renate Reuther erklärt, warum wir heute einen Baum im Wohnzimmer haben.
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Renate Reuther erklärt, warum wir heute einen Baum im Wohnzimmer haben.

Urform von Weihnachten

„Früher gab es ein großes Gelage“

  • Pamela Dörhöfer
    VonPamela Dörhöfer
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Die Urweihnacht war ein ausgelassenes Fest, sagt die Historikerin Renate Reuther. Ein Gespräch über die Familienfeier als Erfindung des Bürgertums und Traditionen vor dem 18. Jahrhundert.

Die Urweihnacht war ein lautes Fest, bei dem wüst gefeiert wurde – und hatte wenig zu tun mit dem stillen Heiligabend unterm Tannenbaum. Die Familienweihnacht wurde erst im 18. und 19. Jahrhundert Standard, sagt die Historikerin Renate Reuther, die zur Kulturgeschichte unseres beliebtesten Festes geforscht und ein Buch geschrieben hat.

Wir kennen Weihnachten als heimeliges Fest im Familienkreis – zumindest sieht so das Idealbild aus. Nach Ihren Recherchen ist diese Tradition aber erst um die 200 Jahre alt. Wie wurde davor gefeiert?
Diese traurigen Bilder, die wir heute von Weihnachten oft kennen, dass ältere Menschen einsam und alleine in ihrer Wohnung sitzen, die hat es früher jedenfalls so nicht gegeben. Denn die Urweihnacht war ein Fest der Dorfgemeinschaft. Man veranstaltete Umzüge von Haus zu Haus, es wurde angeklopft, alles Gute gewünscht und als Gegengabe bekam man einen Lebkuchen, ein Stück Stollen, einen Schnaps oder einen Schluck Wein. Bei jedem Haus gab es ein kleines Fest – und zum Abschluss mit allen gesammelten Sachen noch einmal ein großes Gelage.

Das hört sich ein bisschen nach Halloween an.
Ich habe Halloweenfeiern früher abgelehnt, weil ich dachte, dass sie nicht in unserer Tradition verankert sind. Tatsächlich ist Halloween aber fast identisch mit dem, was wir früher in der Urweihnacht hatten. Das ist kein Zufall, denn der 1. November war der keltische Neujahrstag, an dem nach damaliger Vorstellung das Erntejahr endete und man in den Winter einstieg. Unser Weihnachtsfest, das früher zur Wintersonnenwende am 25. Dezember stattfand, war ja eigentlich auch ein Jahreswendefest.

Das heißt, Weihnachten war ursprünglich gar kein christliches Fest?
Die Urweihnacht fußt auf anderen Wurzeln und einem anderen Symbolgeflecht.

Worum ging es denn bei diesen Umzügen?
Die Führung lag bei Frau Holle als Verwalterin der Lebenskräfte oder bei der ihr verwandten Frau Percht. Einem Burschen in dieser Verkleidung folgte eine Entourage wild kostümierter Gestalten. Viele davon haben sich ihr Gesicht geschminkt mit Ruß, das war eine einfache Verkleidung – aber auch magisch.

Der Schwarze Peter ist eine solche Perchtengestalt und hat nichts mit „Mohr“ oder Rassismus zu tun, das ist ein großes Missverständnis. Bei diesen Umzügen wurde gelärmt, um alles Böse zu verdrängen, es wurde gesungen und getanzt, getrampelt und gesprungen. Mit diesen Bewegungen sollte gleichzeitig auch die Fruchtbarkeit beschworen werden.

Besinnlich erscheint das überhaupt nicht.
Nein, die besinnliche Familienweihnacht hinter geschlossenen Türen ist das genaue Gegenteil dessen, was früher unsere Urweihnacht war. Es ging auch nicht um die Kinder, sondern um die existenziellen Sorgen der Erwachsenen, es war ein Beschwörungsfest gegen die Ängste und für die Hoffnung, dass man den Winter überlebt.

Wie kam es, dass die Urweihnacht verschwunden ist, war das ein schleichender Prozess?
Trotz der Christianisierung wurde die Urweihnacht jahrhundertelang weitergefeiert. Durch die Reformation nahm das christliche Weihnachtsfest dann einen gewaltigen Aufschwung. Häuslichkeit wurde wichtiger, auch Bildung, man schaute mehr auf die Kinder. Auch nach der Reformation blieben aber noch viele Rituale der Urweihnacht erhalten. Eigentlich sind die alten Bräuche erst im 18. Jahrhundert verschwunden, weil Umzüge, bei denen man Geschenke einsammelte, als Bettelei galten und diese verboten wurde.

Was der Urweihnacht jedoch endgültig den Todesstoß versetzte, war das Verschwinden althergebrachter Lebensweisen seit Mitte des 18. Jahrhunderts. Im 19. Jahrhundert zogen immer mehr Menschen in die Städte, das Band mit der Natur riss, man war nicht mehr abhängig von der Ernte. Im ländlichen Raum haben sich Reste der Urweihnacht noch bis Anfang des 20. Jahrhunderts gehalten, sogar heute noch gibt es in den Alpen Perchtenlaufen.

Hat die Verlagerung der Weihnachtsfeier in den Familienkreis auch etwas mit dem Erstarken des Bürgertums im 18. und 19. Jahrhundert zu tun?
Die Familienweihnacht mit der Idylle unterm Baum entwickelte sich in den Salons der deutschen Städte, sie passte gut in die aufkommende bürgerliche Behaglichkeit. Auch die immer größer werdende Spielzeugindustrie hat diesen Prozess beeinflusst und dem Weihnachtsfest eine neue Dimension gegeben. War die Urweihnacht ein alle Menschen umfassendes Fest, bei dem Standesunterschiede keine Rolle spielten, so wetteiferten Adlige und Bürger jetzt um die großartigsten Geschenke für die Kinder. Ausgerechnet der Weihnachtsbaum als Zeichen bürgerlich gediegener Festkultur ist übrigens ein altes Element der Urweihnacht, er trotzte der Kälte und war ein Symbol der Lebenskraft und Dämonenabwehr. Als geschmückter Mittelpunkt der häuslichen Weihnacht hat er sich im 18. Jahrhundert entlang der Routen der Kaufleute verbreitet. Goethe etwa hat seinen ersten Weihnachtsbaum als Student in Leipzig erlebt, wo er bei einer Familie zu Gast war.

Interview: Pamela Dörhöfer

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