Farbenfrohes, immer schön

Aus Wallroda kommen Rosen und Nelken, die nie welken. Die Seidenblumen aus Sachsen zieren nicht nur Hüte am englischen Hofe.
Vielleicht hätte sie ja wirklich eines Tages vor der Tür in Wallroda bei Dresden gestanden, die verstorbene englische Queen Elisabeth II. Die Gegend kannte sie, denn ihr Vater, George V., entstammte dem Hause Sachsen-Coburg und Gotha. Zu einem royalen Besuch kam es dennoch nie. „Mag sein, dass das strenge Protokoll dagegen war“, meint Heide Steyer und erzählt, dass die Queen zu ihren treuesten Kundinnen gezählt habe. Die Pakete aus der Werkstatt in Wallroda gingen immer direkt an den Buckingham Palast. Frühlingsblumen liebte sie besonders.
Seit 30 Jahren entwirft und fertigt die sächsische „Blumenmacherin“ zusammen mit ihrem Mann Gernot in der einzigen größeren Manufaktur in Europa mit Geschick, Geschmack und Geduld botanisch korrekte Ansteckblumen als Accessoires für Kleider und Hüte. Bevor sie ihr blumiges Imperium in Wallroda aufbaute, arbeitete sie in dem nur eine halbe Autostunde entfernten Sebnitz, das in der Zeit von 1870 bis 1910 nicht nur als Zentrum der Christbaumschmuckfertigung galt, sondern von 1900 an auch mit mehr als 200 kleinen und größeren Betrieben den Mittelpunkt der deutschen Seidenblumenherstellung bildete – in der ehemaligen DDR als „VEB Kunstblume“ bekannt.
Leider konnte sich jedoch der in Heimarbeit geschaffene kunstvolle und originelle Weihnachtsschmuck irgendwann nicht mehr gegen den industriell gefertigten behaupten, und auch der Kunstblumenhandel brach – nach Wende, Wiedervereinigung und der Einführung der Marktwirtschaft in den neuen Bundesländern – zusammen. Selbst die alljährlich gewählten „Blumenmädchen“ konnten Absturz und Auflösung nicht mehr verhindern.
Heute hat der Sebnitzer Weihnachtsschmuck einen hohen Sammlerwert und „geblümelt“, wie der regionale Ausdruck für das Herstellen von Kunstblumen heißt, wird nur noch in der „Manufaktur Deutsche Kunstblume Sebnitz“. Zwölf Angestellte fertigen in sogenannten Schauwerkstätten, in denen die fragilen Bestände als Werksverkauf an Touristen über die Theke gehen.
Manche von ihnen mögen sich noch an die besonders begabte „Blümlerin“ Simone Kretzschmar erinnern, die den Beruf „Kunstblumenfacharbeiterin“ gelernt hatte. Ein Ausbildungsberuf aus DDR-Zeiten, den es längst nicht mehr gibt. Sie beherrschte die Königsdisziplin des Blümelns, das naturgetreue Färben von Stiefmütterchen oder bunten Primeln in kleinen Gebinden und zeigte es regelmäßig einem staunenden Publikum.
2019 feierte Sebnitz das 185. Jubiläum der künstlichen Blume. Der Oberbürgermeister stellte anlässlich dieses Ereignisses den Antrag, die Sebnitzer Kunstblume zum Weltkulturerbe zu erklären. Im eigenen Museum stapeln sich in unzähligen und reich gefüllten Kästen die einzelnen Zutaten für Blüten und Blätter: ein opulenter Rausch von weißer Seide, schimmerndem Samt, glänzendem Taft, Leder, Kork, Flitter, Federn und dergleichen mehr.
Heide Steyer hatte Sebnitz 1995 verlassen und fand im 400-Seelen-Dorf Wallroda einen denkmalgeschützten Vierseithof, der seitdem als Produktionsstätte dient. Mit ihrer Kollektion von höchster Qualität schuf sie sich hier mit ihren Angestellten eine Nische, um gegen die Konkurrenz aus Fernost und deren Plastikblumen bestehen zu können.
Kunstblumen gibt es seit 3000 Jahren. Schon in der Antike wurde die Schönheit lebendiger Blumen gerühmt, doch dem Verfall der rasch welkenden Blüten mit künstlichen Blumen entgegengewirkt. Im Alten Testament werden selbige ebenfalls erwähnt und in Ägypten fand man sie in den Gräbern der Pharaonen. Im Mittelalter stellten Nonnen künstliche Blumen her, um auch im Winter den Altar und die Heiligen schmücken zu können.
Und im 18. Jahrhundert wurde es schon Mode, Frauenhüte und Frisuren verschwenderisch mit Blumen zu dekorieren; in Frankreich gab es den Beruf des Blumenkünstlers und auch heutzutage gibt es noch immer den elitären Club nebst illustrem Onlinehandel mit dem imposanten Namen: „Herr von Welt“, dessen männliche Mitglieder die berühmte Nelke im Knopfloch tragen oder ein Edelweiß am Reverskragen. Freilich keine echten Pflanzen, sondern solche aus feinstem Stoff.
Doch zurück zu Heide Steyer und ihrer Manufaktur in Wallroda. „Sachsen und die große weite Welt“ jubelten schon vor Jahren der „Spiegel“ und die „Zeit“ und berichteten detailgetreu über die blumenverzierten Kopfbedeckungen von Camilla und die fünfundvierzig andern adelig „behüteten“ Damen aus dem Haus Windsor anlässlich der Hochzeit von Kate und William. Man sieht Fotos der sächsischen Kreationen bei gesellschaftlichen Großveranstaltungen wie dem Pferderennen in Ascot, man kann in alten „Vogue“-Magazinen blättern und bei den Modeschauen seinerzeit von Dior, Prada, Chanel oder Gucci auf den Laufstegen die Models bewundern, mit gigantischen blutroten oder eisblauen Rosen am Dekolleté.
„Ich möchte den Dingen ein langes Leben schenken“, sagt Heide Steyer und fügt hinzu: „sogar in berühmten Filmen spielen wir eine Rolle“. Dazu zählt sie „Titanic“ mit Kate Winslet oder „The Crown“, eine Netflix-Produktion mit der Geschichte über die junge Elisabeth. Nicht zu vergessen die britische Erfolgsfernsehserie „Downton Abbey“, in der die Ladys der High Society Anfang des 20. Jahrhunderts mit einem lieblichen Gänseblümchensträußchen am Hutrand allen gesellschaftlichen Umbrüchen trotzen.
Im Mitteldeutschen Rundfunk lief jüngst der filmische Beitrag „Sächsische Seidenrosen für die Laufstege der Welt“ und es wurde hierin auch die geplante Kooperation zwischen Sebnitzer Kunstblume und der Porzellanmanufaktur Meissen erörtert. Zusammenwachsen, was zusammen gehört, edle Seidenblumen und feine Porzellane. Bei der neusten Meissen-Kollektion sollen die Sebnitzer Blüten als Vorlage gelten und als Tischschmuck das florale Dekor auf dem kostbaren Service zusätzlich veredeln. Das gemeinsame Wirken beider Manufakturen dürfte so Stück für Stück aufblühen.

