Eurovision in Liverpool: Diese Acts stehen im Finale

Beim 67. Eurovision Song Contest wird es wieder bunt, schrill und schräg - also alles wie immer. Am Samstag um 21 Uhr geht das diesjährige Finale in Liverpool über die Bühne. Die ESC-Beiträge im FR-Check.
Fakten zum ESC 2023
Der 67. Eurovision Song Contest findet in Liverpool statt. Da Vorjahressieger Ukraine (Kalush Orchestra gewann mit dem Titel „Stefania“) aufgrund des russischen Angriffskriegs als Gastgeber ausfällt, springt Großbritannien als zweitplatziertes Land in Zusammenarbeit mit der Ukraine ein.
Ausrichter sind die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, die in der Europäischen Rundfunkunion (EBU) zusammengeschlossen sind. Teilnahmeberechtigt sind Sender aus 56 Ländern. Die Mitgliedschaft hängt nicht allein an geografischen Kriterien, weswegen unter anderem auch Australien teilnimmt.
Von den 26 Finalteilnehmer:innen wurden 20 in den Tagen zuvor in den Halbfinals ermittelt – gesetzt sind die sogenannten „Big Five“: Deutschland, Frankreich, Spanien, Großbritannien und Italien, dazu die Ukraine als Titelverteidiger. 37 Länder haben vorab Beiträge ins Rennen geschickt. Während elf im Halbfinale scheitern, verzichteten Montenegro, Bulgarien und Nordmazedonien 2023 auf die Teilnahme. Belarus wurde suspendiert, Russland ist ausgeschlossen.
Politische Äußerungen sind beim ESC nicht erlaubt, offiziell um die Zusammenarbeit der verschiedenen TV-Anstalten nicht zu gefährden. Dagegen wird aber regelmäßig, mal mehr mal weniger subtil, verstoßen.
Die Punktevergabe am Ende der Show ist aufgeteilt in Jury- und Publikumsstimmen aus jedem Land. Alle Punkte werden addiert und so der oder die Sieger:in ermittelt. In den Halbfinals haben in diesem Jahr erstmals nur Televoting-Stimmen entschieden, wer ins Finale kommt – keine Jury. Auch neu: Menschen aus nicht-teilnehmenden Ländern dürfen mit abstimmen. Diese Stimmen werden zusammen wie die eines weiteren Landes gewichtet.
Moderiert wird der ESC in diesem Jahr von Julia Sanina, Graham Norton, Hannah Waddingham und Alesha Dixon.
Vollplayback ist nicht erlaubt. Zumindest der Gesang muss „live“ sein.
Deutschland: Lord of the Lost - „Blood and Glitter“
Lord of the Lost treten also zum nächsten Versuch an, Deutschland aus der Negativschleife der vergangenen ESC-Jahre zu holen. Mit „Blood and Glitter“ kommt erstmals seit langem Gitarrenrock aus der Bundesrepublik, womit andere Länder zuletzt durchaus gute Erfahrungen gemacht haben. Auch positiv ist, dass das TV-Publikum wieder mitbestimmen durfte, wer zum ESC fährt. Und in Sachen Outfit haben die Hamburger ohnehin ESC-Niveau. Bühnenerfahrung haben sie auch reichlich. Das alles macht Hoffnung. Glaubt man den Wettquoten, droht allerdings ein ähnliches Debakel wie gefühlt seit einem Jahrzehnt – aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

Frankreich: La Zarra - „Evidemment“
Das nennt man wohl Chanson-Pop: Entführt einen La Zarras Kleidungsstil unmittelbar in die Mitte des vergangenen Jahrhunderts, so lassen auch die ersten Töne von „Evidemment“ auf traditionelles französisches Liedgut schließen. Mit dem Einsatz der Drum-Machine wird die Hörerschaft dann schnell von der Popgegenwart eingeholt, was nur im ersten Moment schade ist. Statistisch gesehen findet sich Frankreich häufiger als bei jedem zweiten Anlauf in den Top Ten des ESC, vor zwei Jahren glänzte Barbara Pravi mit einem Chanson und einem zweiten Platz, im Vorjahr dann der Ausreißer nach unten – Alvan & Ahez konnten mit, nennen wir es Elektro-Folk, nur noch Deutschland hinter sich lassen. Die Rückkehr zu zumindest etwas mehr Traditionellem dürfte sich lohnen. Ein Platz in den Top Ten ist drin.

Kroatien: Let 3 - „Mama SC!“
Der mutigste Beitrag 2023: Die Band Let 3 blickt auf dreieinhalb Jahrzehnte Bühnenerfahrung und eine längere Liste an Skandälchen zurück. Sie setzen sich für Frauenrechte und die LGBTI-Szene ein, provozieren aber oft mit teils satirischen Aktionen weit unter der Gürtellinie. So wurden sie einst zu einer Geldstrafe wegen eines Nacktauftritts verdonnert. Ihre Argumentation, sie seien nicht nackt gewesen, sondern hätten jeweils einen Korken im Hintern getragen, stimmte den Richter nicht milder. Ihr aktuelles Album trägt (übersetzt) den vielsagenden Titel „Angela Merkel kackt“.
Beim Video des kroatischen ESC-Vorentscheids überzeugte die Band mit einem haut-zeigenden und singenden Diktator im Kleid, der Bandkollege prahlt rechterhand mit funkensprühenden Atomraketen. „Mama SC!“ ist ein Mix aus Militärparade und Dragshow, der Text einer Analyse auf „eurovision.de“ zufolge aber nicht explizit politisch und somit beim ESC zugelassen. Demnach ist es ein Antikriegslied voller Anspielungen auf Diktatoren, Putin und Russland. Möglich, dass Let 3 auch in Liverpool für Schlagzeilen sorgen, wenn auch nicht zwingend dank einer guten Platzierung.

Ukraine: Tvorchi - „Heart of Steel“
Dass die Ukraine, nach dem Titel beim ESC im Vorjahr, um die Ausrichtung im eigenen Land gebracht wird, ist im Verhältnis eine der wohl leichter zu verkraftenden Folgen von Putins verheerendem Angriffskrieg. Im Beitrag des Duos Tvorchi spielt dieser, wenn auch verklausuliert, eine Rolle. Der ukrainische Vorentscheid fand gut 100 Meter unter der Erde statt, in einer Metrostation. Durchgesetzt hat sich „Heart of Steel“, angeblich inspiriert von den durchhaltenden ukrainischen Soldaten im Stahlwerk Asowstahl.
Allen EBU-Parolen zum Trotz wird spätestens hier klar, einen unpolitischen ESC kann und wird es in diesen Zeiten nicht geben. Musikalisch ist es einer der elektro-lastigsten Songs 2023 – dem auch seitens der Buchmacher erneut gute Gewinnchancen eingeräumt werden.

Schweden: Loreen - „Tattoo“
2012 siegte Loreen für Schweden mit dem Trance-Stück „Euphoria“ beim ESC in Baku, nun möchte sie mit „Tattoo“ den Coup in Liverpool wiederholen. Und setzt dabei auf Altbewährtes: Die Macher des Songs sind dieselben, die Inszenierung (beim Vorentscheid) vergleichbar düster, Loreens Tanzeinlage einzigartig. Auch wenn die Dance-Pop-Nummer etwas aufgewärmt daherkommt, versteht es Loreen wie nur wenige, Pop auf der Bühne anspruchsvoll umzusetzen. Das mag berechnend sein – doch die Rechnung scheint aufzugehen. Loreen liegt wochenlang bei den Buchmachern vorne, alles andere als ein erneuter Sieg des ESC wäre eine Überraschung.

Norwegen: Alessandra - „Queen of Kings“
Mit „Queen of Kings“ will sich Sängerin Alessandra für Norwegen das ESC-Krönchen aufsetzen. Glaubt man den Buchmachern, hat sie sogar Chancen. Millionen Klicks auf Tiktok und Spotify sprechen auch nicht gegen die 21-Jährige. Im Text ihres Songs singt Alessandra über ihre Bisexualität. Laut eines Berichts auf „eurovision.de“ habe sie sich deswegen in Italien, wo sie aufgewachsen war, nie wirklich wohlgefühlt. Seit zwei Jahren lebt sie in Norwegen, der Heimat ihrer Mutter, die sie nun in Liverpool vertreten wird - also die Heimat. Der fast ausschließlich auf Gesang und Beats reduzierte Beitrag zählt zu den Highlights des diesjährigen ESC – nicht zuletzt aufgrund Alessandras herausragender Stimme.

Finnland: Käärijä - „Cha Cha Cha“
Käärijä ist äääh … ja was eigentlich? Eine finnische Rap-Hommage an Rammstein, untermalt mit atmosphärischen Tönchen aus der Steckdose. Nur „Cha Cha Cha“, so der Song, kippt ziemlich genau in der Mitte und endet als schräge Mischung aus Dance-Nummer und Schlager. Coole Idee: Wenn man nicht weiß, welches Genre in diesem Jahr den Nerv des Publikums trifft, vermengt man einfach alle. Auch das Outfit des 29-Jährigen nebst Krabbel-Polonaise weckt Hoffnungen auf einen sehenswerten Auftritt in Liverpool. Käärijä ist definitiv ein ganz heißer Mitfavorit für Platz Eins.
Alle weiteren Teilnehmerinnen und Teilnehmer:
Albanien: Der Auftritt beim Vorentscheid mit großem Orchester im Hintergrund hat in heutigen ESC-Zeiten Seltenheitswert. Dass die 24-jährige Albina Kelmendi gleich ihre ganze Familie mit auf die Bühne bringt ( Albina & Familja Kelmendi ) hat auch Charme. Um Familientradition geht es dann auch, begleitet von landestypischen Ethno-Klängen. Dennoch zählt der albanische Beitrag zu den chancenlosesten 2023.
Armenien : Brunette setzt zumindest im Video auf das Streichorchester. Ihr Beitrag „Future Lover“ ist allerdings eines dieser zahllosen Radio-Chart-Lieder, die man gleich wieder vergisst. Eher eine Kandidatin für die hinteren Ränge.
Australien : Erstmals reist eine Band aus Down Under an . Voyager macht satten Männer-Gitarrenrock wie man ihn aus den 80ern mag, verfeinert mit ein paar Synthieklängen und garniert mit sauber gegrunzten Metal-Einlagen. Den ersten ESC-Sieg für Australien werden Voyager kaum einfahren, aber die wenige Konkurrenz um die Stimmen von Fans gitarrenlastiger Rockmusik könnte den Aussies einen erfolgreichen Abend bescheren.
Belgien : Sänger Gustaph durfte schon als Backgroundsänger ESC-Erfahrung sammeln, nun steht er mit „Because of you“ im Vordergrund und setzt auf funkigen Gute-Laune-Pop. Seinen Song hat er mit dem LGBTI-Aktivisten Jaouad Alloul verfasst. Gute Laune hin oder her – ein Kandidat für die hintersten Plätze.
Estland : Sängerin Alika ist ein estnisches Castingsternchen, hinter dem Lied steckt ESC-Erfolgssongwriter Wouter Hardy, der 2019 Duncan Laurence auf Platz Eins führte. In ihrer Ballade „Bridges“ baut sie – man ahnt es – Brücken und wird dabei von einem Wunderklavier begleitet, das ganz von alleine spielt, so zumindest beim estnischen Vorentscheid. Ihre tolle Stimme könnte Alika einen Platz im Mittelfeld einbringen.
Großbritannien: Sie hat ein Lied geschrieben: Mae Muller tritt fürs Vereinigte Königreich beim Heimspiel in Liverpool an. Die 25-Jährige hat bei verschiedenen Projekten mitgewirkt, Millionen Fans auf Social Media und Milliarden Klicks auf Spotify. Erstmals zu sehen war sie als Kind in Mikas „Grace Kelly“-Video. Sollte der Besungene in „I wrote a song“ Mullers Ex sein, sind sie wohl nicht im Frieden auseinander gegangen. In die Fußspuren des britischen Vorjahreszweiten Sam Ryder zu treten wäre für alle schwer geworden, die es versuchen. Mae Muller dürfte mit ihrem Chart-Ohrwurm aber den Nerv des ESC-Publikums treffen und in den Top Ten landen.
Israel: Noa Kirel ist mit Anfang 20 Model, Schauspielerin, Moderatorin und eine der bekanntesten Sängerinnen Israels. Ihr Song „Unicorn“ ist eine ziemliche austauschbare Pop-Chart-Nummer, die man schonmal irgendwo gehört hat. Doch nicht nur wegen millionenfachen Klicks auf Youtube zählen die Buchmacher sie in den erweiterten Favoritenkreis. Einhörner ziehen halt immer.
Italien: Marco Mengoni ist in Italien kein Unbekannter und hat auch beim ESC 2013 bereits den siebten Platz abgeräumt. Mit einer gefühlvollen italienischen Ballade will er es nochmal wissen. Top oder Flop? „Due vite“ ist einer der am schwersten einzuschätzenden Beiträge des diesjährigen ESC.
Litauen : Tradition trifft Moderne: Die von der UNESCO als immaterielles Kulturerbe anerkannten mehrstimmigen Sutartines – ein Teil litauischer Volksliedkultur – begleiten Sängerin Monika Linkyte bei ihrer Ballade „Stay“. 2015 belegte sie bereits den 18. Platz beim ESC – eine bessere Platzierung 2023 wäre ein Erfolg. Eine kleine Anekdote aus dem litauischen Vorentscheid: Während der Show wurden Spenden gesammelt, gut 200 000 Euro kamen für Radargeräte für die ukrainische Armee zusammen.
Moldau: Pasha Parfeni , 2012 bereits ESC-Teilnehmer, erinnert an den jungen Peter Maffay, aber nur optisch. Mit „Soarele si Luna“ besingt er Sonne und Mond oder wahlweise eine Hochzeit unterm Sternenhimmel. Traditionell angehauchte Klänge und Instrumente packt er in einen modernen ESC-Auftritt, ganz dezent werden Erinnerungen an den Vorjahressieger Kalush Orchestra wach. Moldau könnte mit einem guten Platz überraschen.
Österreich : Teya und Salena treten mit satirischen Uptempo-Powerpop an. „Who the hell is Edgar“ wurde pünktlich zum Frauentag veröffentlicht, inhaltlich wird Edgar Allan Poe als Ghostwriter des Titels dargestellt. Ein humorvoller Titel, der kritisch auf die Rolle der Frau im Musikbusiness schaut. Glaubt man den Buchmachern, hat er gute Chancen auf eine einstellige Platzierung.
Polen: „Solo“ heißt Blanka s Titel – ein Ausflug in den Eurodance der 90er. Im vorab veröffentlichten Musikvideo scheint die Sängerin wiederum eher ihre Modelkarriere und knappe Bikinis anstelle des Songs promoten zu wollen. Wie das in Liverpool ankommt, ist fraglich.
Portugal: Singer-Songwriter-Nummern dürfen beim ESC bekanntlich nicht fehlen, und obwohl Mimicat , die ansonsten Marisa Isabel Lopes Mena heißt, dem Genre zugerechnet wird, ist ihr Beitrag eher ein Ausflug ins vergangene Jahrhundert. Ihr Cabaret-Song „Ai coracao“ und der dazugehörige Auftritt (im Vorentscheid) wären so wohl auch in den 60er-Jahren durchgegangen. Das Lied ist, wie viele Beiträge 2023, eines in Landessprache. Der Beitrag fällt so aus der Reihe, dass sich kaum seriös einschätzen lässt, wie er beim Publikum ankommen wird.
Schweiz: Soldat will er keiner sein, die Wasserpistole hat er aber dabei. Mit „Watergun“ reist der 21-jährige Remo Forrer , dessen Stimme wesentlich älter klingt, für die kleine Schweiz auf die große ESC-Bühne. Der frühere „Voice of Switzerland“- Gewinner hatte auch schon einen Gastauftritt bei einem Stimmenformat auf RTL. Seine mit Klaviertönen untermalte Singer-Songwriter-Pop-Ballade hat gute Aussichten auf einen soliden Mittelfeld-Platz.
Serbien: Luke Black klingt nicht wirklich serbisch, Luka Ivanovic, so sein bürgerlicher Name, dann aber schon. Er will nur schlafen, singt er in „Samo mi se spava“. Nach dem unvergesslich-skurrilen Auftritt mit einem überraschenden fünften Platz von Konstrakta im Vorjahr, lässt es Serbien 2023 hörbar ruhiger angehen. „Samo mi se spava“ ist gemächlicher Elektrosound, der beste Chancen auf einen Platz im oberen Mittelfeld hat.
Slowenien: Joker Out sind in Slowenien keine Unbekannten und versuchen ihr Glück beim ESC mit eingängigem Elektropop-Rock. „Carpe Diem“ sorgt auf jeden Fall für gute Laune und könnte bei Fans handgemachter Musik Stimmen bringen. Mindestens ein Platz im Mittelfeld.
Spanien : Spanien schickt 2023 nur vier Vokale zum ESC, genaugenommen sogar nur zwei verschiedene: „Eaea“ von Sängerin Blanca Paloma , die eigentlich Ramos heißt, qualifizierte sich über das Benidorm-Festival. So erfrischend es auch ist, beim ESC immer wieder traditionelle musikalische Klänge der teilnehmenden Länder zu hören, so ungewohnt dürfte die etwas ruhig anmutende Flamenco-Nummer fürs internationale Publikum klingen. Doch Spaniens Mut könnte belohnt werden – Wettanbieter sehen das Lied ganz vorne mitmischen. Für Platz Eins dürfte „Eaea“ aber vielleicht ein bisschen zu ungewöhnlich sein.
Tschechien: Die siebenköpfige Frauencombo Vesna will mit dem viersprachigen „My Sisters Crown“ den ESC rocken. Auf Englisch, Tschechisch, Ukrainisch und Bulgarisch ist der Text laut „eurovision.de“ als „Statement für eine eigenständige ukrainische Nation“ zu interpretieren. Ein bisschen Pop und Folklore und ein noch kleineres bisschen Sprechgesang. Alles andere als ein einstelliger Platz wäre ungerecht.
Zypern: „Break a broken heart“ so Zyperns Titel für den ESC 2023. Geht das überhaupt? Glaubt man dem bemitleidenswerten Andrew Lambrou , dann kennt er jemanden, der das kann. Tränendrüsenpop, wohl ohne ernsthafte Chance beim ESC.