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„Es herrscht ein Drogenkrieg, über den die Polizei keine Kontrolle hat“

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Von: Elias Bartl

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Der Audi wurde durch die Schüsse völlig durchlöchert.
In Tonndorf schossen unbekannte mit einer Automatikwaffe auf einen Audi. Rund 10 Schüsse trafen den Fahrer. © HamburgNews

Nach mehreren Schießereien in Hamburg erhebt der Bund Deutscher Kriminalbeamter schwere Vorwürfe: Es herrsche ein „Dunkelfeld der Kriminalität“. Schuld sei die Politik.

Hamburg – Die schwere Bewaffnung der Täter und auch der Opfer ist erschreckend und erinnert mit Blick auf die Beteiligten an einen Drogenkrieg. Ohne Rücksicht auf Unbeteiligte wird inmitten eines Hamburger Wohngebietes mit automatischen Waffen geschossen. Rund 20 Schüsse treffen am frühen Dienstagmorgen einen Audi und die Insassen in Tonndorf. Ein Mann wird lebensgefährlich verletzt. Erst im Juli 2022 wurde ein 27-Jähriger von einem Killerkommando vor den Augen dutzender Unbeteiligter in einer Shishabar hingerichtet. Die Spur führte damals, wie auch heute, in das organisierte Drogenmilieu.

10.000 angezeigte Straftaten unbearbeitet – „nur noch frustrierend“

Der Hamburger Vorsitzende vom Bund Deutscher Kriminalbeamte (BDK), Jan Reinecke, erhebt derweil schwere Vorwürfe und sagt: „Es herrscht ein Drogenkrieg, über den die Polizei keine Kontrolle hat“. „Es fehlen die Möglichkeiten Täterstrukturen zu ermitteln, denn die IT-Möglichkeiten der Polizei sind eine Katastrophe und auch der Datenschutz setzt uns unüberwindbare Grenzen.“

Reinecke prophezeit, das würde zu großen logistischen Problemen führen: „Durch den Personalmangel im Hamburger LKA werden wohl schon bald 10.000 angezeigte Straftaten unbearbeitet in den Eingangskörben der Ermittlerinnen und Ermittler liegen bleiben. Für die wichtige Verfolgung von Organisierter- und Rauschgiftkriminalität fehlen der Polizei Hamburg dann schlichtweg die Ressourcen.“

Nach den Schüssen in der Bar an der Lübecker Straße haben Einsatzkräfte der Polizei Hamburg den Tatort abgesperrt.
In der Shishabar an der Lübecker Straße wurde ein Mann im Juli 2022 erschossen. Hintergrund sollen Drogengeschäfte gewesen sein. © Elias Bartl

Neue Generation an Drogenhändlern schreckt nicht mehr vor Waffengewalt zurück

Im letzten Jahr kam es auf Hamburgs Straßen zu rund zehn Schießereien, von denen ein Großteil auf Streitigkeiten im Drogenmilieu zurückzuführen sei. Es handle sich um immer kleinere Banden, die ohne klassische Strukturen agieren. Laut dem Vorsitzenden des BDK führe das zu einer neuen Stufe der Gewalt: „Wir haben es mit einer Generation an Kriminellen aus dem Rauschgiftmilieu zu tun, die nicht davor zurückschrecken, ihre Kontrahenten einfach zu erschießen.“

Wir haben wieder Tote auf Hamburgs Straßen.

Jan Reinecke, Hamburger Vorsitzende vom Bund Deutscher Kriminalbeamte (BDK)

„Das, was wir hier sehen, ist das Dunkelfeld der Rauschgiftkriminalität, was die Politik seit Jahren nicht sehen wollte“, klagt er an. „Durch die fehlende Unterstützung der Ermittler durch die Politik ist die Arbeit für viele Kolleginnen und Kollegen der Kriminalpolizei nur noch frustrierend.“

Mehr als 260 Haftbefehle im EncroChat-Komplex – Innenbehörde verteidigt die Hamburger Polizei

SEK Hamburg
Im Zusammenhang mit dem EncroChat-Komplex hat die Polizei rund 520 Durchsuchungen durchgeführt. In der Neustadt wurde ein Verdächtiger vom SEK festgenommen. © Elias Bartl

Die Hamburger Innenbehörde weist die Vorwürfe von sich. Pressesprecher Daniel Schaefer, will die Vorwürfe nicht ohne Kontext stehen lassen: „Das Gesamtbudget der Polizei ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen und wird im kommenden Haushalt erstmals oberhalb von einer Milliarde Euro liegen. Von diesem deutlichen Zuwachs hat zuletzt auch das LKA profitiert, insbesondere im Bereich der organisierten Kriminalitätsbekämpfung.“

Wer behaupte, das LKA sei „heruntergewirtschaftet“ und den Beamten sei die Kontrolle über die organisierte Kriminalität entglitten, „der diskreditiert die erfolgreiche Arbeit, der sehr engagierten und fähigen Kolleginnen und Kollegen in der organisierten Kriminalitätsbekämpfung.“

Innenbehörde verweist auf steten Personalzuwachs im Polizeivollzug

Schaefer hat ein aktuelles Beispiel parat: „Die personalintensiven Ermittlungen im sogenannten EncroChat-Komplex führten allein in Hamburg zuletzt unter anderem zur Vollstreckung von mehr als 260 Haftbefehlen, der Durchführung von rund 520 Durchsuchungen und der Beschlagnahme von Bargeld in Millionenhöhe. Bei der Polizei Hamburg wurden bislang rund 330 Ermittlungsverfahren eingeleitet.“

Insgesamt sei der Polizeivollzug in den letzten Jahren um 300 Stellen und in der täglich verfügbaren Personalstärke im Ergebnis um rund 500 Angestellte verstärkt worden: „Bezieht man die Angestellten der Polizei mit ein, fällt der Aufwuchs noch deutlich höher aus.“ Schaefer ist sicher:

Die Personalstärke unserer Polizei wird auch in Zukunft wachsen.

Daniel Schaefer, Sprecher der Innenbehörde Hamburg zu den Ressourcen der Polizei

Reinecke über EncroChat Verfahren in Hamburg: Dank gelte französischen und belgischen Behörden

Doch inwiefern ist der Ermittlungserfolg im sogenannten EncroChat-Komplex ein wirklicher Erfolg der deutschen Ermittlungsbehörden? Dazu hat Jan Reinecke eine klare Meinung. „Die drei Monate, in denen wir durch die EncroChat-Verfahren einen Einblick in die Strukturen der Organisierten- und Rauschgiftkriminalität bekommen haben, waren ein Glücksfall für die Deutschen Polizeibehörden. Der Dank gilt allerdings französischen und belgischen Strafverfolgungsorganen. Deutsche Behörden hätten dies allein schon aufgrund der strengen Datenschutzvorgaben niemals hinbekommen.“

Opposition ist alarmiert: „Einsatz von Schusswaffen birgt das Risiko, dass Unbeteiligte verletzt werden“

Aus der Opposition hört man Zustimmung für Gewerkschafter Reinecke. Dennis Gladiator, innenpolitischer Sprecher der CDU, die in Hamburg zuletzt großen Fokus auf die innere Sicherheit gelegt hatte, warnt etwa: „Die Zunahme massiver Auseinandersetzungen, die sich mutmaßlich im Drogenmilieu abspielen, ist alarmierend. Vor allem der Einsatz von Schusswaffen durch die Täter birgt das Risiko, dass unbeteiligte Dritte durch Streifschüsse oder Querschläger verletzt werden können.“

Für Dennis Gladiator versäumt der rot-grüne Senat weiterhin, der Gefahr entsprechend zu begegnen: „Gerade Hamburg ist durch seinen Hafen ein Einfallstor für die organisierte Drogenkriminalität. Seit Jahren verschließt der Senat jedoch die Augen davor, dass immer mehr Clanmitglieder ihre Aktivitäten auf Hamburg ausweiten. Das muss der Innensenator endlich einsehen und die Prioritätensetzung und personelle Ausstattung im LKA entsprechend steuern!“

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