Erotisches zur Unzeit

Frankreichs Wirtschaftsminister hat einen Roman geschrieben, der selbst Präsident Macron die Sprache verschlägt.
Abends, wenn er genug hat von Zinsen, Inflation und Defiziten, frönt der französische Wirtschaftsminister Bruno Le Maire seiner eigentlichen Leidenschaft: Er schreibt Bücher. In „Tage der Macht“ (2013) erzählte er zum Beispiel, wie sich Nicolas Sarkozy und Angela Merkel beim gemeinsamen Schminktermin über ihr Dekolleté unterhielten. In seinem neusten Werk namens „Die amerikanische Fuge“ geht der 54-jährige Eliteschulabsolvent auf die kubanische Lebensphase des Pianisten Vladimir Horowitz ein. Und wie. „Ich bin ganz erregt, bin feucht“, sagt eine Protagonistin an einer Stelle und entledigt sich ihres T-Shirts. „Sie drehte mir den Rücken zu, warf sich aufs Bett, zeigte mir den braunen Wulst ihres Anus: ‚Kommst du, Oskar? Ich bin weit wie nie.‘“
Es musste so kommen: Seither hagelt es in Paris Spott und Häme. Der Minister täte besser daran, sich um seine Wirtschaftsdaten zu kümmern, lautet der Tenor. Ein früherer Preisträger des französischen Buchpreises Goncourt schrieb die fragliche Passage gar um, um sie auf literarisches Niveau zu heben.
Nur eine Mitministerin verteidigte den Roman: „Es ist verrückt, welche puritanischen Reaktionen eine erotische Szene noch im Jahr 2023 hervorruft“, klagte Marlène Schiappa, ihres Zeichens Staatssekretärin für soziale und solidarische Wirtschaft, die vor gut einem Monat auf dem Titelbild des Herrenmagazins „Playboy“ posiert hatte.
In den sozialen Medien wird indessen gar nicht die Frage gestellt, ob ein Minister solche Dinge schreiben darf. Eher die Frage, ob Le Maire den richtigen Zeitpunkt erwischt hat. In Frankreich schwelt weiter der Konflikt um die Rentenreform. Die Teuerung grassiert, und die Staatsschuld von 3000 Milliarden Euro ringt dem Wirtschaftsministerium in diesem Jahr Zinsleistungen von mehr als 50 Milliarden Euro ab. „Kein Wunder, stuft die Ratingagentur Fitch unsere Bonität auf AA- ab“, flachste ein Französin zu Le Maires literarischer Fuge. Andere erinnern daran, dass sich Le Maire schon im Winter lächerlich gemacht habe, als er zum Energiesparen das Tragen von Rollkragen anregte und sich gleich selber im Pulli zeigte.
Erst der Rollkragen, jetzt das!
Die Opposition rechnete vor, der telegene Minister habe schon 14 teils sehr dicke Bücher geschrieben, ungefähr eins pro Jahr. Für Politik bleibe da nicht mehr viel Zeit. Der linke Abgeordnete Thomas Portes entrüstete sich: „Die Inflation explodiert, Millionen von Leuten vermögen ihren Kühlschrank nicht mehr zu füllen, die Miete nicht mehr zu bezahlen. Derweil schreibt Minister Le Maire Romane. Bis zum Schluss schleudern uns die Machthabenden ihre Verachtung ins Gesicht.“
Eine abgehobene, ja verächtliche Haltung: Das ist der Hauptvorwurf, den all jene, die gegen die Rentenreform sind, an die Adresse von Emmanuel Macron richten. Der unpopuläre Präsident hat nun persönlich auf Le Maires neuestes Opus reagiert. „Alle werden sich fragen, wie ein Minister so viele Bücher schreiben kann“, ärgerte sich Macron laut dem Wochenblatt „Canard Enchaîné“. „Dass Minister Bücher veröffentlichen, statt sich um ihr Ministerium zu kümmern, ist nicht seriös. Und dann diese erotischen Szenen...“ Da fehlten selbst dem sonst so eloquenten Staatschef einmal die Worte.