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Erdogans Coronapolitik: Touristen dürfen sich in der Türkei bewegen - Einheimische nicht

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Von: Sandra Kathe

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Erdogan wird wegen seiner Corona-Politik kritisiert.
Erdogan wird wegen seiner Corona-Politik kritisiert. © XinHua /dpa

Während ausländische Reisende sich in der Türkei frei bewegen dürfen, hat die Regierung unter Präsident Erdogan für Einheimische strenge Ausgangssperren angeordnet.

Ankara - Um die türkische Wirtschaft zu schonen und die Corona-Fallzahlen in der Türkei zu senken, hat die Regierung unter Präsident Recep Tayyip Erdogan strenge Ausgangsbeschränkungen erlassen. Die Menschen dürfen zunächst bis zum 17. Mai nur aus dringenden Gründen wie zum Einkaufen oder zu Arztbesuchen auf die Straße. Mit dieser Maßnahme will die Regierung die täglichen Neuinfektionen mit dem Coronavirus, die noch Mitte April bei bei als 60.000 Fällen täglich lagen, verringern. Das Problem dahinter: Weil die Wirtschaft des Landes vom Tourismus abhängt, der im Vergangenen Jahr um rund 70 Prozent eingebrochen war, gelten die Regeln nur für Einheimische aber nicht für Reisende.

Die Konsequenz daraus sind, so berichtet die Deutsche Presse-Agentur, absurd anmutende Szenen. Einem Türken in der Urlaubsregion Datca wurde erst kürzlich eine Strafe aufgebrummt, weil er schwimmen ging. Ukrainische Tourist:innen dagegen blieben unbehelligt. Die Regelung sorgt wie auch ein Verkaufsverbot für Alkohol während des Lockdowns für Unmut in der türkischen Bevölkerung. Die Ausnahmeregelung hat für Urlauber Vorteile.

Erdogans Sonderregelung für Reisende: Türken reagieren mit Zynismus

In der Istanbuler Altstadt etwa haben Reisende den Platz zwischen der berühmten Hagia Sophia und der Blauen Moschee quasi für sich. Die Polizei kontrolliere den Zutritt. Es ist ungewöhnlich ruhig: Vogelgezwitscher statt Verkehrslärm und Rufen von fliegenden Händlern. Urlauber:innen schießen Fotos vor zartrosa blühenden Bäumen. Artem (28) aus der Ukraine ist regelrecht begeistert. „Es ist wundervoll“, sagt er.

Mit seiner Freundin Karin sei er zum ersten Mal in der Türkei und froh, dass sie sich dazu entschieden haben, während des Lockdowns zu kommen. Dadurch sei einfach weniger los. „Es ist ein Segen, weil wir herumlaufen können wo wir wollen, die ganzen Sehenswürdigkeiten besichtigen und alle Fotos machen können“, sagt er. Er verstehe aber, dass das bei den Einheimischen nicht unbedingt gut ankomme.

Coronavirus - Touristen in der Türkei
241400079.jpg © Mirjam Schmitt

Die Türk:innen reagieren in den Sozialen Medien mit Witz und Zynismus auf die umstrittene Lockdown-Regelung, es hagelt inzwischen aber Kritik am Präsidenten. Erdogan muss sich dem Vorwurf stellen, die Situation der zurückliegenden Coronawelle selbst verschuldet zu haben, unter anderem weil er Parteikongresse in vollgepackten Hallen abhielt. Inzwischen sinken die Fallzahlen wieder und lagen nach offiziellen Angaben zuletzt bei unter 20 000 täglich. Erdogan will die Zahl auf unter 5000 Fälle pro Tag drücken, damit Gesundheitssystem und Wirtschaft in der Türkei sich langfristig erholen können.

Die Bevölkerung leidet derzeit unter der hohen Inflation von rund 17 Prozent. Vor allem Lebensmittel werden immer teurer. Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Metropoll von April gaben rund 27 Prozent der Befragten an, mit ihrem Einkommen ihre Grundbedürfnisse nicht decken zu können.

Urlaub in der Türkei: Außenminister wirbt für Sommerurlaub

Vergangene Woche hatte der türkische Außenminister bei einem Besuch in Berlin eindringlich bei den Deutschen für Sommerurlaub in der Türkei geworben. Jeden, den Reisende zu Gesicht bekommen könnten, werde man bis Ende Mai impfen, versprach Mevlüt Cavusoglu - und löste damit gleich noch mehr Frustration aus. Die Impfkampagne in der Türkei startete mit schnellem Tempo, verläuft aber inzwischen schleppend.

„Wir fühlen uns schon manchmal wie Flüchtlinge in unserem eigenen Land“, sagt Durukan (23), der auf der Galata-Brücke Tickets für Stadtrundfahrten verkauft. Viele hätten das Gefühl, dass die eigenen Bürger nicht ernst genommen würden. Der Ausnahmeregelung für Touristen steht er gespalten gegenüber. „Wenn es diese Sonderregelung nicht geben würde, wäre ich arbeitslos, aber für unsere Gesundheit ist das natürlich gar nicht gut“, sagt er. Etwa sei für 15 Länder die Pflicht, bei der Einreise einen negativen PCR-Test vorzulegen, aufgehoben worden.

Der Lockdown sei aber ohnehin ungerecht. Es gebe viele Ausnahmeregelungen. Wer jemanden bei den Behörden kenne, erhalte zudem leicht eine Genehmigung, um sich frei zu bewegen. Die Kluft im Lockdown verlaufe im Endeffekt nicht zwischen Tourist:innen und Einheimischen, sondern wie so oft zwischen denen, die Geld und Beziehungen hätten und denen, die arm seien. (Sandra Kathe mit dpa)

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