1. Startseite
  2. Panorama

Entsetzen am Kap

Erstellt:

Von: Johannes Dieterich

Kommentare

Gangster haben offenbar willkürlich auf die Gäste der „Samukelisiwe Taverne“ geschossen. Vier Personen starben. RAJESH JANTILAL/AFP
Gangster haben offenbar willkürlich auf die Gäste der „Samukelisiwe Taverne“ geschossen. Vier Personen starben. RAJESH JANTILAL/AFP © AFP

21 Tote bei Überfällen an einem Wochenende - das ist selbst für das an Gewalt gewöhnte Südafrika extrem. Die Ursachen sind vielseitig: Armut, zunehmende Schutzgeld-Erpressungen, massive Korruption

Ein ganz normales Wochenende, kein Feiertag, kein Monatsende. Südafrikas Polizei gibt am Sonntag gleich drei bewaffnete Überfälle auf Kneipen bekannt. Die Bilanz: 21 Tote und 16 Verletzte. Vor allem das Massaker in einer Bar in Johannesburgs Township Soweto löst am Kap der Guten Hoffnung Entsetzen aus. In der „Shebeen“ im Slum Nomzano Park tauchte in der Nacht zum Sonntag ein Kleinbus voller Gangster auf, die wahllos auf die Kneipenbesucherinnen und -besucher schossen. Allein dort gab es 15 Tote und acht Verletzte. Die Polizei zählte am folgenden Tag mehr als 130 Patronenhülsen.

Ein Überfall auf eine Kneipe in der Provinzhauptstadt Pietermaritzburg war nur wenige Stunden zuvor ganz ähnlich abgelaufen. Auch dort tauchten Gangster in einem Fahrzeug auf und schossen willkürlich in die „Samukelisiwe Taverne“. Vier Personen starben, sechs weitere wurden verletzt. Und in einer Shebeen im 40 Kilometer von Johannesburg entfernten Township Katlehong wurden bereits am Freitag zwei Menschen erschossen.

Südafrika ist in Sachen Gewalt einiges gewohnt. In dem Land kommen Tag für Tag 23 Menschen durch Schusswaffen ums Leben. Dabei handelt es sich meist um Familienstreitigkeiten oder einen Streit zwischen – oft betrunkenen – Männern. Dass Kneipengäste wahllos und kaltblütig niedergeschossen werden, sei selbst in der Verbrechenshochburg selten, sagt der Kriminologe Guy Lamb.

Noch sind die Motive der Mörder unbekannt: Keiner von ihnen wurde bislang gefasst. Am wahrscheinlichsten sei jedoch, dass es sich bei den Blutbädern um die Erpressung von Schutzgeldern handele, sagt Lamb. Gangs versuchten auf diese Weise ihre Entschlossenheit unter Beweis zu stellen. Kneipenbesitzerinnen und -besitzer, die kein Schutzgeld zahlen wollen, müssen mit den Konsequenzen leben – ihre unbeteiligten Gäste verlieren sogar ihr Leben dabei. Dass die Schutzgelderpressung ausgerechnet jetzt in Mode kommt, bringt Kriminologe Lamb mit der abgeklungenen Pandemie in Verbindung. Wegen des Alkohol-Verkaufsverbots und Ausgangssperren war das Kneipenleben in weiten Teilen zum Erliegen gekommen. Jetzt werden die Reviere neu abgesteckt.

Das ist vermutlich aber nur die halbe Wahrheit. Die jüngste Kriminalstatistik zeigt, dass die ohnehin schwindelerregende Zahl an Verbrechen nach einer kurzen Atempause während der Pandemie wieder sprunghaft ansteigt. In den ersten drei Monaten dieses Jahres lag die Mordrate um mehr als 22 Prozent über der des Vorjahres, die Zahl der Entführungen verdoppelte sich in diesem Zeitraum fast von 1700 auf 3300.

Gesellschaftsforschende wissen, wann mit einem Anstieg der Verbrechen zu rechnen ist. Wann immer es der Bevölkerung wirtschaftlich schlechter geht. Eine viel zu harsche Reaktion der Regierung auf die Pandemie hat Südafrika bereits vor zwei Jahren in eine Rezession gestürzt, mehr als drei Millionen Menschen verloren ihre Arbeit. Als das Virus seinen Schrecken verlor, kam Wladimir Putin. Infolge des Ukraine-Kriegs sind die Treibstoffpreise in jüngster Zeit um mehr als 30 Prozent in die Höhe geschnellt. Mit umgerechnet mehr als 1,50 Euro ist Benzin am Kap derzeit so teuer wie noch nie.

Doch das ist noch nicht alles. Hinzu kommt, dass die katastrophale und korrupte Regierungsführung des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) staatliche Institutionen wie Stadtverwaltungen, Sozialämter und die Polizei ausgehöhlt hat. Fachleute sprechen bereits von einem „scheiternden Staat“. „Die Polizei tut nichts“, sagt ein 42-jähriger Passant am Ort des Massakers in Soweto: „Und genauso wenig tut die Regierung. Sie kümmert sich nicht um die Bevölkerung, sondern ist nur mit dem Füllen der eigenen Taschen beschäftigt.“

Derzeit richtet sich der Zorn vor allem auf Polizeiminister Bheki Cele, dem neben Korruptionsaffären auch amtliches Versagen vorgeworfen wird. Dass er noch immer in seinem Stuhl sitzt, hat er dem Umstand zu verdanken, dass er als Gefolgsmann des Präsidenten Cyril Ramaphosa gilt. Bei einem Besuch im Kapstädter Slum Gugulethu musste sich Cele in der vergangenen Woche die leidenschaftlich vorgetragene Kritik eines weißen Aktivisten anhören. Er warf dem Minister vor, sich nicht um die verarmte, vorwiegend schwarze Bevölkerung zu kümmern. Celes Reaktion: Er schrie den Aktivisten immer wieder an, „das Maul zu halten“, und forderte die anwesenden Polizeibeamten schließlich auf, den Störenfried aus dem Saal zu werfen.

Schließlich wird die Stimmung am hoffnungslosen Kap auch noch von einer drastischen Rationierungswelle der Elektrizität getrübt. Täglich müssen die Menschen in Südafrika bis zu siebeneinhalb Stunden ohne Strom auskommen. Die Wirtschaft des Landes kostet dies rund 250 Millionen Euro pro Tag. Meinungsumfragen zufolge würde der seit 28 Jahren regierende ANC bei Wahlen erstmals seine absolute Mehrheit verlieren. Doch der nächste Urnengang steht erst in zwei Jahren an.

Von ANC-Präsident Cyril Ramaphosa ist in dem Schlamassel kaum etwas zu hören. Er versucht derzeit einen Skandal um vier Millionen US-Dollar auszusitzen, die auf seiner Farm in einem Sofa versteckt waren.

Auch interessant

Kommentare