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Erdbebenangst auf dem Balkan: Einsturzgefährdete Neubauten

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Von: Thomas Roser

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Als eher lieblos könnte man diese Ferienhotellerie in Budva bezeichnen. An der Küste Montenegros finden sich viele Bausünden. Foto: Leila Haidar
Auch auf dem Balkan stehen viele Gebäude im Falle eines Erdbebens auf tönernen Füßen. (Symbolbild) © Leila Haidar/dpa

Die Erdbebenkatastrophe in Syrien und der Türkei löst auf dem Balkan neben Mitgefühl auch Sorgen aus. Denn bei tausenden Häusern sind die Bauvorschriften umgangen worden.

Budva - Die geplante Flucht nach Montenegro endete hinter heimischen Gittern. Am Flughafen in Istanbul nahm die türkische Polizei am 10.Februar Mehmet Yasar Coskun fest, den Eigentümer des 2013 errichteten Luxuskomplex „Renaissance Residence“ in Antakya. Als besonders erdbebensicher waren die 249 Nobelappartments den Käuferinnen und Käufern angepriesen worden. Doch beim Erdbeben Anfang Februar stürzte der zwölfstöckige Wohnturm wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Das angeblich sicherste Gebäude der Stadt wurde für seine rund 1000 Bewohner:innen zum Massengrab.

Nicht nur weil der inhaftierte Baumagnat auch im montenegrinischen Budva einen Appartmentblock hat errichten lassen, lösen die Erdbeben in Syrien und der Türkei auf dem Balkan neben Mitgefühl auch Sorgen aus. Denn auch dort sind Großprojekte von regierungsnahen Baulöwen keineswegs immer nach Vorschrift aus dem Boden gestampft worden. „Vorschriften streng, Bau unstabil“, so umschreibt es die serbische Zeitung „Danas“.

Auch auf dem Balkan könnten Erdbeben wegen illegaler Gebäude schwere Folgen haben

Ganz so starke Erdstöße wie in der Türkei seien in Montenegro zwar nicht zu erwarten, sagt Jadranka Mihaljevic vom Seismologischen Institut in Podgorica. Doch falls den Adria-Staat ein derart starkes Beben erschüttern sollte, wären die Folgen katastrophal. Es seien Verstöße gegen die Bauvorschriften, nicht gut konzipierte oder abgeänderte Bauprojekte sowie schlecht unterhaltene Gebäude, „die bei Erdbeben für Gefahren sorgen“, warnt die Seismologin.

Dabei gelten die nach den Erdbeben im mazedonischen Skopje (1963) und im bosnischen Banja Luka (1969) verschärften Bauvorschriften in den ex-jugoslawischen Staaten eigentlich als gut. Doch nicht nur im Kriegsjahrzehnt der 90er Jahre wurden viele Gebäude ohne Genehmigung errichtet.

Erdbebenangst auf dem Balkan: Zehntausende illegale Gebäude in Montenegro befürchtet

In Montenegro müssen Neubauten erst seit diesem Jahr nach EU-Normen erdbebensicher konzipiert werden. Doch das „größte Problem“ sind laut „Vijesti“ die illegal errichteten Gebäude der letzten drei Jahrzehnte, deren Zahl die Zeitung auf „zehntausende“ beziffert. Immerhin: Als einigermaßen erdbebensicher haben sich die nach 1963 errichteten Neubauten in Kroatien bei den Beben 2020 in Zagreb und Petrinje erwiesen. Der Adriastaat hatte 1998 die EU-Standards für erdbebensicheres Bauen übernommen.

Weniger gut ist es hingegen im verarmten EU-Wartesaal auf dem Westbalkan um die staatliche Kontrolle des wenig transparenten Bausektors bestellt. Allein in der serbischen Hauptstadt Belgrad sind laut Recherchen der BIRN-Agentur seit 2015 mindestens 300 große Wohnkomplexe auf mehr als 450 000 Quadratmetern ohne Baugenehmigung errichtet – und erst nachträglich legalisiert worden.

Mehr Profit für illegale Gebäude: Sorge vor Erdbeben auf dem Balkan wächst

Selbst nach Abzug der Kosten für die immensen Bestechungsgelder für korrupte Würdenträger:innen sei der Profit bei nachträglich legalisierten Projekten „drei Mal so hoch“, erklärt ein Bau-Unternehmer dem Portal „krik.rs“ das übliche Geschäftsmodell: „Mit offizieller Baugenehmigung darfst Du nur ein Objekt mit begrenzter Quadratmeterzahl bauen. Illegal kannst du das ganze Grundstück vollbauen, wie Du willst.“

Doch die höheren Profite von Investoren und die tiefen Taschen korrupter Beamter und Politikerinnen gehen auf Kosten der Sicherheit der Menschen. „Wie sicher sind wir bei einem Erdbeben?“, fragt sich besorgt der Belgrader „Blic“. Ein „kleines Risiko“ bestehe bei Gebäuden „aus der goldenen Bauperiode“ der 60er bis Anfang der 90er Jahre, so die Zeitung. Als „mittel“ bewertet das Blatt das Risiko in Gebäuden, die vor 1960 oder „mit weniger Stahlbeton“ errichtet worden seien. Ein „riesiges Risiko“ wittert „Blic“ bei aufgestockten und „wild“ errichteten Gebäuden und „Neubauten zweifelhafter Investoren“. (Thomas Roser)

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