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CO2: Milch zu Unrecht verteufelt? – „Die Kuh ist kein Klimakiller“

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Von: Joachim Wille

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Von wegen Methanschleuder! Für den Agrarexperten Poppinga sind Kühe „das achte Weltwunder“. dpa
Von wegen Methanschleuder. Für den Agrarexperten Poppinga sind Kühe „das achte Weltwunder“. dpa © Lino Mirgeler/dpa

Pflanzliche Alternativen verursachen einen angeblich geringeren CO2-Ausstoß als herkömmliche Milch. Agrarexperte Poppinga rettet die Ehre der Kühe.

Früher hieß es: „Milch macht müde Männer munter.“ Und: „Die Milch macht’s.“ Oder: „Milch gegen Maroditis.“ Diese Zeiten sind vorbei. Zündende Werbeslogans gibt es heute eher für Haferdrinks und andere Milchalternativen. „Wie Milch, aber für Menschen“, plakatiert zum Beispiel der Hersteller Oatly. Wer als (Noch-)Milchfan die Infos auf dessen Packungen liest, bekommt ein schlechtes Gewissen. Der CO2-Fußabdruck betrage nur 0,5 Kilogramm pro Liter. Bei Milch sind es im Schnitt rund dreimal so viel, nämlich 1,5.

Fakt ist: Die Milch – und damit die Kuh – hat ein Imageproblem. Immer mehr Verbraucher:innen schwenken um, sie trinken stattdessen Soja-, Hafer- oder Mandeldrinks im Kaffee. Der Absatz der Milchalternativen steigt, der Konsum der Kuhmilch sinkt, zumindest leicht. Die Klimadebatte verändert das Konsumverhalten.

CO2 schadet dem Klima – Die Produktion von Milch ist nicht das Problem

Onno Poppinga ärgert das in diesem speziellen Fall. „Die Kuh ist nicht das Problem. Sondern wie man heute mit ihr umgeht“, sagt der frühere Landwirtschaftsprofessor aus Nordhessen. Er will zur Ehrenrettung jenes Nutztiers beitragen, dem „zu Unrecht die Hauptverantwortung an der Klimamisere der heutigen Landwirtschaft zugeschoben wird“, wie er sagt.

Onno Poppinga. privat
Onno Poppinga. (privat) © privat

Poppinga wuchs auf einem Bauernhof in Ostfriesland auf, er war bis 2009 Professor für regionale Agrarpolitik an der Universität Kassel-Witzenhausen und ist heute, als 77-Jähriger, noch Nebenerwerbslandwirt mit zehn Hektar Grünland. In einer Studie hat er die Veränderung der Rinderhaltung in Europa in den letzten zwei Jahrhunderten analysiert. Er schließt daraus: „Nicht die Kuh ist das Problem, sondern die Industrialisierung der Landwirtschaft, die nicht mehr in Kreisläufen wirtschaftet.“

Natürlich, sagt er, geben die Kühe als Wiederkäuer – mit bis zu 30.000 Kaubewegungen pro Tag – viel Methan und andere Gase ab, vor allem durch den Atem. Zu Deutsch: Sie rülpsen und furzen, was das Zeug hält. Methan ist als Treibhausgas pro Molekül weit wirksamer als CO2, auch wenn es den Vorteil hat, bereits nach zwölf Jahren wieder aus der Atmosphäre zu verschwinden, während CO2 bis zu 1000 Jahre dort verbleibt. „Ohne das Wiederkäuen könnten die Kühe Gras und Klee gar nicht verdauen und in Milch und Fleisch umwandeln“, erläutert Poppinga. Aber: Das täten sie schon seit Jahrtausenden und zumindest in Europa in großen Stückzahlen – ohne dass dadurch das Weltklima destabilisiert wurde.

Klima: Milch von Kühen soll zu viel CO2 verursachen – dabei gibt es immer weniger Kühe

Poppingas Hauptargument: Die Zahl der Kühe in Deutschland und vergleichbaren Staaten ist seit Mitte des 20. Jahrhunderts deutlich zurückgegangen – und damit auch die von ihnen verursachte Menge an Methan. So gab es in Deutschland (BRD und DDR) um 1950 noch rund 7,4 Millionen Milchkühe, heute sind es weniger als vier Millionen. „Auch wenn durch die Intensivierung der Fütterung die Methanmenge pro Kuh deutlich zugenommen hat, so ist die Methanabgabe für alle Kühe zusammen genommen doch gesunken“, erläutert der Experte. Nämlich von rund 615.000 auf 484.000 Tonnen.

Interessantes Detail: Die Industrialisierung setzte in der Landwirtschaft etwa ein Jahrhundert später ein als in Industrie und im Verkehr. „Es gab in Deutschland um 1950 kaum Traktoren, keine Mähdrescher, keine Melkmaschine, kaum mineralischen Stickstoffdünger, keine systemischen Pestizide – aber über eine Million Arbeitskühe und -ochsen.“ Damals seien 80 Prozent der Zugarbeit von Pferden und Kühen erledigt worden.

Natürlich streitet Poppinga nicht ab, dass die Landwirtschaft zur Klimakrise beiträgt und dass es Veränderungen braucht. In Deutschland macht ihr Anteil am Treibhausgasausstoß rund sieben Prozent aus. „Der tatsächliche Änderungsbedarf in der Landwirtschaft mit Blick auf das Klima besteht vor allem bei den Lachgasemissionen, beim Ammoniak und beim Verbrauch an Kunststoffen wie im Spargelanbau“, sagt er. Lachgas entsteht durch den Einsatz von Kunstdünger und zu viel Gülle aus der Massentierhaltung auf den Feldern.

Klima: CO2-Senkung in der Milchproduktion durch Bio-Landwirtschaft

Hinzu komme, dass die früher bestehende Koppelung der Tierzahlen an die verfügbare Fläche – für Futter und zur Aufnahme der Ausscheidungen – aufgegeben worden sei. „Wir importieren riesige Mengen Soja als Kraftfutter vor allem für die intensive Schweine- und Geflügelhaltung aus den USA und Brasilien, und damit sprengen wir die Kreisläufe“, kritisiert Poppinga. Der Übergang zu einer Landwirtschaft, die sich auf die Ressourcen des eigenen Betriebes ohne Futtermittelimporte in diesen Dimensionen konzentriert, sei hier die richtige Antwort. Den Bio-Landbau sieht der Experte hier als Hauptansatz, und gerade für die von Ökobetrieben angestrebte Kreislaufwirtschaft seien die Wiederkäuer Kühe, Schafe und Ziegen besonders wichtig.

Auf die Kühe sowie die Milchbauern und Milchbäuerinnen kommen in Poppingas Idealwelt einige Veränderungen zu. Er plädiert dafür, nicht mehr Tiere zu halten, als die zur Verfügung stehende Agrarfläche hergibt. Massenställe mit Hunderten von Kühen, wie heute teils üblich und von der Agrarpolitik finanziell stark gefördert, gäbe es dann nicht mehr. „Und man sollte nur wenig Kraftfutter verfüttern, denn das Kraftfutter erhöht die Methanmenge pro Kuh.“ Die Kühe gäben dann zwar weniger Milch, seien aber gesünder und lebten länger. Außerdem könne Deutschland seinen Selbstversorgergrad von 120 Prozent und damit die Exporte herunterfahren. Es gibt Milchbetriebe, die heute schon so arbeiteten, Bio- und konventionelle. Poppinga hat sie analysiert. „Sie sind im Schnitt sogar profitabler.“ Das werde in der politischen Diskussion und von vielen Agrarfachleuten aber übersehen.

Klimaschutz beim Milchbauern: Gras als CO2-Speicher

Allerdings: Daran, dass auch eine extensiv und im „Futter-Kuh-Mist-Kreislauf“ hergestellte Milch nun einmal faktisch Treibhausgase produziert, kommt Poppinga nicht vorbei. „Das ist bei den Milchalternativen aber auch so“, sagt er. Das heißt, in jedem Fall müssen für eine „Netto-Null“ bei den Treibhausgasen, die 2045 erreicht sein soll, Ausgleichsmaßnahmen her, die CO2 aus der Atmosphäre aufnehmen und speichern. Und hier, sagt Poppinga, ist die Kuh im Vorteil. Denn das Grasland, von dem ihr Futter kommt, sei eben ein sehr guter CO2-Speicher. In einem Hektar Acker seien im Schnitt 100 Tonnen organisches (kohlenstoffhaltiges) Material gebunden, in einem Hektar Grasland etwa doppelt so viel. Poppinga: „Wer aus Ackerland Grünland macht und es von Kühen beweiden lässt, der entlastet die Klimabilanz.“

Also lieber Milch statt Haferdrink kaufen? Poppinga jedenfalls trinkt Milch, einen halben bis einen Liter pro Tag, und er isst fast täglich Käse – ohne schlechtes Gewissen. Bis vor zehn Jahren hat er sogar noch eigene Kühe gehabt, das sei am besten gewesen. Der Professor ist überzeugt: „Die Kuh ist kein Klimakiller.“ Sondern eher „das achte Weltwunder“. So hat es vor Jahren bereits Poppingas Schweizer Kollege Alfred Haiger formuliert – wegen ihrer Fähigkeit, Gras über die Milch für die Ernährung der Menschen nutzbar zu machen. (Joachim Wille)

Als CO2-Speicher kommt vor allem auch Mooren eine große Bedeutung zu: Der Kohlenstoff wird von Mooren absorbiert. Bund und Länder einigten sich daher auf ein Programm zum Moorschutz, bei dem Flächen eigens hierfür unter Wasser gesetzt werden.

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