1. Startseite
  2. Panorama

Die Haare lieben lernen

Erstellt:

Kommentare

Warum gelten für natürliches Haar so strikte Regeln?
Warum gelten für natürliches Haar so strikte Regeln? © PantherMedia/Csaba Deli

Keine Zöpfe, keine krausen Locken, keinen Mittelscheitel: Für Schülerinnen in Kenia gelten strikte Regeln wenn es um die Frisur geht. Aber warum eigentlich? Autorin Lorna Likiza erzählt, wie sie ihr natürliches Haar zurückgewann

Im Mai 2017 hatte ich ein Blind Date mit einem Mann aus Uganda, der, als er mich mit meinen kurzen Haaren sah, sofort ausrief: „Du siehst ja aus wie ein Schulmädchen!“ Er redete sich heraus, dass ich ja auch viel kleiner war, als er sich vorgestellt hatte. Aber es kränkte mich und tat sein Übriges, dass diese Beziehung von Anfang an zum Scheitern verurteilt war.

Monate vor diesem Blind Date hatte ich mich nach zahlreichen enttäuschenden Erfahrungen mit Haarprodukten zum Glätten und Dauerwellen für den „big chop“, den radikalen Schnitt entschieden. Es war eine mutige Entscheidung, wenn man bedenkt, dass in Kenia unterschieden wird zwischen Kurzhaarfrisuren für Schulkinder und Frisuren für erwachsene Frauen. Erwachsene, gebildete Frauen gehen regelmäßig in den Friseursalon, sofern sie es sich leisten können. Und sie tragen mehrheitlich keine kurzen Haare. Als ich damals über einen Kurzhaarschnitt nachdachte, war die „Nature hair“-Bewegung in Kenia im vollen Gange. Plötzlich war es en vogue, zu seinen natürlichen Haaren zu stehen. In der Hauptstadt Nairobi war diese Bewegung aber auch politisch und kulturell aufgeladen.

Trend wurde das sogenannte „kink hair“, ein Begriff, der sich am ehesten mit widerspenstig übersetzen lässt. Natürliches Haar musste trotz aller Widerspenstigkeit toll aussehen, glänzen, einzigartig und bewundernswert sein.

Das geht eigentlich nur mit vielen, teils sehr teuren Haarpflegeprodukten. Ein Statussymbol, dass sich viele nicht leisten können - ich damals auch nicht. Und dann kam ja noch der Haartyp dazu. Natürliches Haar wird in Typen von eins (glatt) bis vier (kraus) eingeteilt - mit diversen Unterkategorien. Ich habe den Typ 4c, was unter krausen Haaren als fragilste Stufe gilt. Das Haar bricht gerne, was mir gelegentlich den Spott von Kommiliton:innen einbrachte. Die Wertschätzung, die ich heute für mein natürliches Haar habe, hatte ich damals noch nicht.

Im vergangenen Februar erregte ein Vorfall viel Aufmerksamkeit in Kenia: Ein Foto, das in den sozialen Medien die Runde machte, zeigte Mädchen an der Kereri Girls High School im Südwesten des Landes, deren Kopf kahl rasiert war. Offenbar gibt es an dieser Mädchenschule eine Vorschrift, nach der alle Schülerinnen ihr Haar zum Schulanfang kahl rasieren müssen. Viele empfinden das als repressiv, aber es ist kein Geheimnis, dass viele Schulen in Kenia so vorgehen.

Die Grundschule, die ich besuchte, war für ihre Zeit sehr liberal und erlaubte uns Mädchen alle Arten von Frisuren, aber als ich in die weiterführende Schule kam, war die Situation anders. Es war eine für Kenia typische Boarding School, einem Internat gleich. Wir durften keine Cornrows oder Flechtfrisuren tragen. Stattdessen stellten sie uns vor die Wahl: Entweder wir tragen es in der natürlichen Form lang oder wellig und müssen es mit einem schwarzen Haarband zurücknehmen - oder sie rasieren uns die Haare.

Nicht erlaubt war es, das Haar in der Mitte zu scheiteln oder kurze Haare zu glätten. Sichtbare Locken konnten einem Ärger mit der Schulleitung einbringen, ebenso wie die generelle Missachtung dieser Haarregeln. Immerhin stellte meine Schule für jeden Wohnblock, in dem etwa 80 Mädchen wohnten, einen Föhn zur Verfügung.

In den vier Jahren meiner High- School-Zeit wechselte ich von kurzen, natürlichen Haaren zu dauergewellten Haaren, die brüchig wurden und oft wie schlecht gefärbt aussahen, weil sie nicht richtig gepflegt wurden. Als Teenager begannen wir unsere Weiblichkeit zu entdecken, also war damals ramponiertes, dauergewelltes Haar immer noch besser als kurzes, natürliches Haar.

Wozu diese restriktive Haarverordnungen an Schulen führen können, zeigt der tragische Fall von Ebbie Noelle Samuels. Im Alter von 15 Jahren war sie Schülerin der ersten Klasse der Gatanga High School. Am 20. März 2019 erhielt Ebbies Mutter einen Anruf von der Schule, dass es ihrem Kind nicht gut gehe und sie ins Krankenhaus in Thika kommen solle. Als sie im Krankenhaus ankam, fand sie ihre Tochter bereits tot vor. Die Schule teilte ihr mit, dass Ebbie in der Nacht aus dem Bett gefallen und ins Krankenhaus gebracht worden sei. Das Krankenhauspersonal bestritt diese Behauptung und erklärte, das Mädchen sei bereits tot im Krankenhaus angekommen.

Die Autorin

Lorna Likiza ist in Eldoret, Kenia geboren und aufgewachsen. Sie studierte in Nairobi und hat zahlreiche Essays und Artikel für internationale Medien verfasst. Als Gründerin der Literaturveranstaltung Heroe Book Fair lädt sie jährlich Literaturbegeisterte nach Mombasa. Ihre Jugendbuchserie „Oi gets lost“ ist im britischen Verlag Bright Light Books erschienen. Sie lebt und arbeitet in Mombasa.

Nachdem die Medien die Geschichte aufgegriffen hatten, meldeten sich einige von Ebbies Klassenkameraden und enthüllten, dass Ebbie am Abend, bevor sie am nächsten Morgen tot in ihrem Bett aufgefunden wurde, von der stellvertretenden Schuldirektorin schwer verprügelt worden war. Ihr Verbrechen: Sie hatte ihr Haar gestylt, was gegen die Schulvorschriften verstieß.

Vier Jahre vergingen ohne Konsequenzen. Ebbies Mutter organisierte schließlich einen friedlichen Protest im Stadtzentrum von Nairobi unter dem Motto #Justice forEbbie und teilte ihre Geschichte mit der Youtuberin Lynn Ngugi. Das Video machte schnell die Runde. Im Januar diesen Jahres wurde die verantwortliche Direktorin von Ebbies Schule schließlich vor einem Gericht angeklagt und in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen. Nach der dort festgestellten Schuldfähigkeit wird sie nun am Obersten Gerichtshof angeklagt.

Doch wie kann es überhaupt so weit kommen? Wo kommt die restriktive Haltung gegenüber afrikanischen Haarfrisuren her? Die kenianische Wissenschaftlerin und Frauenrechtsaktivistin Garnett Achieng konstatiert, dass die „No-Hair“-Politik in den meisten kenianischen Schulen oft von den Schulverwaltungen als notwendig für Einheitlichkeit, Zeitersparnis und Hygiene verteidigt wird.

Aber sie sieht es auch als ein Konstrukt der weißen Missionar:innen, die in der beginnenden Kolonialzeit einige der ersten Missionsschulen in Kenia gründeten. Diese Missionar:innen verlangten von den Mädchen, die ihre Schulen besuchten, dass sie ihr Haar bis zur Kopfhaut rasierten, da sie afrikanisches Haar für unansehnlich, gottlos und unkontrollierbar hielten. Auch die afrikanischen Frauen, die die von den Missionar:innen gegründeten Kirchen besuchten, blieben nicht verschont: Ihnen wurde das Tragen von kunstvollen Frisuren verboten.

Dabei ist zu bedenken, dass die aufwendigen Frisuren, die afrikanische Frauen damals trugen, unterschiedliche kulturelle Bedeutungen hatten. Einen nützlichen Nebeneffekt sahen sie in ihrem missionarischen Eifer auch darin, dass afrikanische Mädchen mit kürzeren Haaren für afrikanische Männer weniger begehrenswert seien.

Das Traurige daran ist, dass dies immer noch bis heute geglaubt und oft angewandt wird. Interessanterweise gelten die Regeln fast nie für hellhäutigere und weiße Mädchen oder Mädchen aus der indischen Gemeinschaft in Kenia, die es auch an meiner Schule gab. In der Tat ist dies ein merkwürdiger Fall von Doppelmoral und eine Bestätigung dafür, dass Afrikaner:innen seither in dem Glauben sozialisiert wurden, dass ihr Haar beispielsweise im Vergleich zur europäischen oder indischen Haarstruktur minderwertig ist und man es daher „zähmen“ muss, um toleriert zu werden.

Die Autorin Lorna Likiza mit ihrer aktuellen Kurzhaarfrisur.
Die Autorin Lorna Likiza mit ihrer aktuellen Kurzhaarfrisur. © Privat

Der restriktive Umgang mit Haaren ist in Afrika spätestens seit der Zeit des Sklavenhandels bekannt. Im 16. Jahrhundert, als in Afrika der transatlantische Sklavenhandel begann, diente das Abschneiden der Haare dazu, die versklavten Afrikaner:innen zu demütigen. Die Sklavenhalter wussten, welche Bedeutung das Haar für die Afrikaner:innen in den alten afrikanischen Zivilisationen hatte, da es die Familie, die Geschichte, die soziale Klasse, die Spiritualität, den Stamm und den Familienstand repräsentierte. Als Zeichen der Verachtung für ihr Erbe zerstörten sie das, was ihnen lieb und teuer war: durch die gewaltsame Rasur der Haare.

Die Geschichtsschreibung zeigt, dass die „Zähmung“ der afrikanischen Haare nicht mit der Gefangennahme der Menschen endete. Im Jahr 1786 führte der spanische Gouverneur Don Esteban Miro die Tignon-Gesetze in Louisiana ein. Dieses Gesetz verlangte von allen Schwarzen Frauen, ihr Haar mit einem Kopftuch zu bedecken, da ihre schönen, aufwendigen Frisuren als Konkurrenz zu den weißen Frauen und als Bedrohung angesehen wurden. Die Frisuren ließen diese Frauen oft wohlhabender erscheinen, als sie es waren und es hieß, dass sie auch weiße Männer anlockten. Um sie und ihre Kreativität zu unterdrücken, sollten sie sich durch das einheitliche Tragen von Kopftüchern vom Rest der Gesellschaft als Sklavenklasse unterscheiden, unabhängig davon, ob sie frei oder noch versklavt waren. Die Frauen auf den Plantagen entwickelten dann aber die Kopftücher modisch weiter und machten das Tragen dieser Tücher zum politischen und auch modischen Statement.

Im kolonialen Kenia trugen Mitglieder der Widerstandsbewegung Mau-Mau als Zeichen des Widerstands gegen die britischen Kolonialherren ihre Haare in Dreadlocks. Jahrzehnte, nachdem Kenia seine Unabhängigkeit erlangt hatte, wurde das Tragen von Dreadlocks von afrikanischen Eltern und Polizeibeamten oft als sicheres Zeichen der Rebellion oder gar Beteiligung an kriminellen Aktivitäten angesehen. Eine Verhaftung durch die Polizei und ein Gefängnisaufenthalt endeten damit, dass die Dreadlocks gewaltsam abgeschnitten wurden, um anderen als Abschreckung zu dienen. In den späten 2000er und frühen 2010er Jahren begannen aber immer mehr Kenianer:innen, Dreadlocks zu tragen. Somit löst sich auch das Stigma dieser Frisur allmählich auf. Heutzutage ist es keine Seltenheit mehr, dass Teenager in liberalen Privatschulen Dreadlocks tragen.

Ich trage mein Haar jetzt seit sieben Jahren auf natürliche Weise und meine Beziehung zu meinen Locken hat sich so sehr verändert, dass ich stolz monatelang Zöpfe ohne Extensions trage. Afrikanische Frauen sind seit langem dieser unnötigen Kontrolle ihrer Haare und den globalen Standards, die schönes Haar definieren, ausgesetzt, so dass es für viele eine schwierige Aufgabe oder völlig unerreichbar scheint, ihr Haar natürlich zu halten. Wir sollten den Schulverwaltungen trotzen, die von uns verlangen, uns nicht durch unseren Haarstil auszudrücken. Es ist noch nicht alles verloren.

Wenn die Schwarzen Frauen von Louisiana es geschafft haben, sich trotz der repressiven Gesetze über sie zu erheben und sich selbst zu feiern, dann können auch wir als afrikanische Frauen lernen, unser natürliches Haar liebevoll zu berühren und uns dabei bewusst zu machen, was es kann. Und das fängt bei unseren Eltern und unseren Kindern an.

Übersetzung: Hans Hofele

Auch interessant

Kommentare