Die Flut nach der Dürre
Heftige Überschwemmungen in Somalia treffen vor allem Geflüchtete.
Auf dem afrikanischen Kontinent sorgt die Klimaerwärmung für immer kontrastreichere Wetterextreme. „Es regnet nie, es schüttet.“ An diese Redewendung müssen sich Afrikanerinnen und Afrikaner wohl gewöhnen. Wie jetzt in Somalia, wo 17 Millionen Menschen drei Jahre lang vergebens auf Regen gewartet haben – und nun von Überflutungen heimgesucht werden. In den vergangenen Tagen kam es in Teilen des völlig ausgetrockneten Landes zu heftigen Niederschlägen. Die Wolkenbrüche sollen Dutzende von Menschen das Leben gekostet und Tausende von Familien um ihr Zuhause gebracht haben.
Die enormen Niederschläge zu Beginn der „Gu“ genannten Regensaison wirken sich besonders verheerend aus, weil die Böden nach fünf in Folge ausgefallenen Regenzeiten steinhart sind und so gut wie keine Feuchtigkeit aufnehmen können. Im Zentrum des Landes sind ganze Regionen wegen der Überflutungen von der Außenwelt abgeschnitten, Telefonleitungen wurden zerstört, der Juba-Fluss ist über seine Ufer getreten.
Die Wolkenbrüche machen vor allem den rund 1,5 Millionen Geflüchteten zu schaffen, die wegen der Dürre ihre Heimat verlassen mussten und jetzt in aus Ästen und Plastikplanen errichteten Behausungen leben. Hilfsorganisationen befürchten auch eine Verschlimmerung der Choleraepidemie, in deren Verlauf sich seit Anfang des Jahres mehr als 2000 Menschen infiziert haben. Nur ein Drittel der somalischen Bevölkerung wird von der dürftigen Gesundheitsversorgung des Landes erreicht. „Die Krise in Somalia ist außer einer Ernährungs- und Klimakrise auch eine Krise der Gesundheitsversorgung“, teilt die WHO mit. Auch die Zahl der Masernfälle steigt an. Seit Jahresbeginn wurden fast 1000 Infektionen registriert.
Nach einer Untersuchung der Londoner Schule für Hygiene und Tropenmedizin (LSHTM) starben in Somalia im vergangenen Jahr 43 000 Menschen mehr als statistisch anzunehmen war. Bei der Hälfte habe es sich um Kinder unter fünf Jahren gehandelt.
Hungersnot nicht gebannt
Trotz dieser hohen Sterberate haben die Vereinten Nationen bislang keine Hungersnot in Somalia ausgerufen – dafür sind die formalen Kriterien nicht erfüllt. Von einer Hungersnot spricht die UN, wenn 20 Prozent der Haushalte einer Region unter extremer Nahrungsmittelknappheit leidet, 30 Prozent der Kinder akut mangelernährt sind und täglich zwei Erwachsene oder vier Kinder unter 10 000 Menschen an Unterernährung sterben. Trotz des jetzt eingetretenen Gu-Regens ist die Gefahr einer Hungersnot in Somalia noch immer nicht gebannt. In der ersten Hälfte dieses Jahres müsse mit bis zu 34 000 zusätzlichen Toten gerechnet werden, teilten die LSHTM-Fachleute mit. Nach wie vor sind mehr als acht Millionen Menschen auf Hilfe angewiesen.
Laut Fachleuten wurde die durch ein außergewöhnlich langes Anhalten des Wetterphänomens „la Niñja“ (einer Abkühlung des Pazifiks) ausgelöste Krise am Horn von Afrika durch zwei andere Faktoren verschlimmert. Einerseits durch die russische Invasion in die Ukraine, die den Export von Nahrungsmitteln aus Osteuropa – vor allem Weizen und Pflanzenöl – unterbrach und die Preise für Konsumenten wie Hilfsorganisationen auf historische Höhen trieb. Somalia bezog 90 Prozent der Weizenimporte aus der Ukraine und Russland.
Andererseits kommt die prekäre Sicherheitslage in Somalia dazu, wo die „al Schabab“ genannte Extremistengruppe seit gut 15 Jahren aktiv ist. Die Islamisten greifen regelmäßig Hilfstransporte und Mitglieder von Hilfsorganisationen an. Es gibt kaum ein Gebiet im Land, das vor den Dschihadisten sicher ist. Vor Wochen startete Somalias Regierung mit Unterstützung der afrikanischen Amisom-Mission und US-Streitkräften eine Offensive gegen „al Schabab“. Der Feldzug verzeichnete Erfolge, ein Ende der Umtriebe der Extremisten ist aber nicht in Sicht.