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Die Eisernen vom Kap

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Von: Johannes Dieterich

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Ein bisschen Köpenick in der Karoo-Halbwüste: Dario Urbanski mit seiner Frau Carmen. (Privatfoto)
Ein bisschen Köpenick in der Karoo-Halbwüste: Dario Urbanski mit seiner Frau Carmen. (Privatfoto) © Privat

Dario Urbanski wandert nach Südafrika aus. Dort betreibt er eine Straußenfarm, baut ein Fußballstadion nach dem Vorbild seiner „Union“ und hilft fast nebenbei einem Dorf aus der Armut.

Hätte dem Potsdamer Kellner-Lehrling Dario Urbanski jemand vorausgesagt, er werde einmal später im Leben eine Straußenfarm am südlichen Ende der Welt besitzen, er hätte ihm gewiss den Vogel – einen anderen als den afrikanischen Rennläufer – gezeigt. Auch Jahre später hätte sich der Union-Berlin-Fan an den Kopf gefasst, hätte ihm jemand weiß machen wollen, dass er einmal ein Fußballstadion in der südafrikanischen Halbwüste Karoo betreiben werde.

Damals führte Dario Urbanski die Gaststädte „KSW“ in Pirna, dem Tor zur Sächsischen Schweiz. Er hatte eine Familie, wohnte im Eigenheim und musste, um ein Heimspiel seines Lieblingsclubs, des 1. FC Union Berlin, in der „Alten Försterei“ in Köpenick mitzuerleben, kaum 200 anstatt der heutigen 10 000 Kilometer zurücklegen. Den drastischen Wandel führt der ostdeutsche Aussteiger auf bloßen Zufall zurück – und dass sich in seinem Leben „immer wieder eine Tür geöffnet“ habe. Die der heute 58-Jährige mit seiner Frau Carmen dann aber regelmäßig unerschrocken durchschritt.

Die beiden Halbwüstenbewohner müssen derzeit über Zoom kontaktiert werden: Seit 18 Monaten wagen sich keine Besucherinnen und Besucher mehr ins „Straußennest“ nach Lategansvlei – obwohl das südafrikanische 350-Seelen-Nest noch keinen einzigen Covid-Fall zu melden hatte. Die Pandemie hat aus den geselligen Urbanskis Eremiten gemacht, und derzeit setzt ihnen auch noch eine Kältewelle zu. Kaum mehr als null Grad, keine Gäste und zu allem Überfluss werden aus anderen Teilen des Landes auch noch Unruhen gemeldet. Genug, um anderen endgültig die Laune zu verderben. „Nee, so schnell geben wir nicht auf“, sagt Dario trotzig: „Wir haben noch einiges vor.“

Und schon vieles hinter sich. Im Prospekt des „Straußennests“ ist eine Postkarten-Idylle abgebildet: Zwischen kahlen, von der Sonne braun gebrannten Hügeln leuchtet ein grüner Fußballplatz, mit ordentlichen Toren und einer Flutlichtanlage. Beim Rein-Zoomen kommt eine Tribüne mit dem Banner „Alte Fösterei 2“ zum Vorschein, daneben wird derzeit eine Bühne gebaut, auf der einmal heimische Popstars oder ein Gospel-Chor auftreten sollen. Im Prospekt nicht bebildert ist die mehr als zwanzigköpfige Frauengruppe, die in der Umkleidekabine der „Eisernen“ von Lategansvlei ein Näh-Studio eingerichtet hat, und die Dorfschule, der Carmen und Dario erstmals zu Toiletten und einer Solaranlage verhalfen. Fast Ausversehen haben die Urbanskis ihre neue Heimat, das trostlose Lategansvlei, umgekrempelt – mit einem sozialen Tourismus-Projekt, das sie selbst niemals so nennen würden.

Soziales Engagement war den Urbanskis nicht in die Wiege gelegt – sieht man mal von der sozialen Verantwortung des Kellner-Berufs und dem Vereinsleben bei den Eisernen ab. Nach dem Mauerfall kosteten Carmen und Dario erst einmal eigensüchtig ihre neue Freiheit aus: Sie brachen jedes halbe Jahr zu einer größeren Urlaubsreise auf, nach der Dominikanischen Republik, Marokko, Paris und der Türkei war Südafrika dran. Dort geschah, was keiner voraussah: Die Uranskis verliebten sich ins Kap.

Eine Rolle spielte dabei auch ihr Besuch bei den der Straußenfarmen in der Kleinen Karoo: Seit sich Darios Vater einige der seltsamen Vögel auf seiner Wiese in Pirna hielt, gehörten sie praktisch zur Familie. Die Idee kam auf, gemeinsam mit den Eltern ins Straußenparadies auszuwandern: Nach einer weiteren Reise waren gleich vier Urbanskis begeistert.

Zehn Jahre lang betrieben Vater und Sohn ihre benachbarten Farmen ausgesprochen erfolgreich – damals war mit dem Fleisch und der Lederhaut der Vögel noch gutes Geld zu verdienen. Bis im Jahr 2004 auch Südafrika von der Vogelgrippe heimgesucht wurde. Fast über Nacht brach die Branche zusammen. Gerade noch rechtzeitig konnte Dario einen Großteil seiner Strauße verkaufen. Vom Erlös bauten die erneuten Aussteiger zwei komfortable Rundhäuser, nannten sie das „Straußennest“ und hießen Besucherinnen und Besucher – vorwiegend aus Deutschland, der Schweiz und Österreich – willkommen.

Die Attraktion der Gästefarm waren natürlich die Vögel, die ihren Kopf in den Sand zu stecken pflegen. Bald stellte sich jedoch heraus, dass Urbanskis Gäste mindestens genauso stark am Dorfleben in Lategansvlei interessiert waren. Dort konnten sie sehen, was bittere Armut bedeutet, und wie das trostlose 350-Seelen-Nest aufzublühen begann. Der erste Ruck ereignete sich während der Fußball-WM 2010, als Dario die Dorfjugend auf einer Schotterstraße in die Grundregeln des Fußballspiels einzuweihen begann. Südafrika gilt als Hochburg des Rugby-Sports. Am Kap der Guten Hoffnung sind Bälle in der Regel oval statt rund.

Die Schotterstraße, die auch noch abschüssig war, wurde bald durch ein brachliegendes Gelände auf Urbanskis Farm ersetzt. Vor dem Spiel mussten die Sportler erst einmal Steine entfernen – nach dem Regen waren wieder neue da. Trotzdem gelang es Dario, den Ball am Laufen zu halten. Er stellte Mannschaften zusammen und organisierte Freundschaftsspiele – alles unter dem Logo seines Lieblingsclubs.

Irgendwann erreichte die Kunde von den Eisernen am anderen Ende der Welt auch Köpenick – und löste dort außer Tränen der Rührung auch einen Spendensturm aus. Die Urbanskis konnten dem Bolzplatz einen Rasen verpassen, die Tribüne errichten und Flutlicht installieren. Schließlich wurden die Eisernen Süd mit tadelloser Ausrüstung ausgestattet. „Auch wenn wir mal verlieren sollten“, scherzt Dario. „Den Preis für die bestgekleidete Mannschaft kriegen wir immer.“

An den neuen Umtrieben in Lategansvlei nahmen auch die Gäste des Straußennestes teil. Einen besseren Kontakt zur lokalen Bevölkerung kann kein Reiseveranstalter bieten. Urbanskis Aussteigerprojekt hätte so für immer weitergehen können: Wenn nicht die Pandemie gekommen wäre. Seit 18 Monaten ging bei Carmen keine einzige Buchung mehr ein, allmählich geht den Gästefarmern finanziell die Puste aus. „Was wir brauchen, sind endlich mal wieder positive Geschichten aus Südafrika“, sagt Dario. Hier ist eine.

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