1. Startseite
  2. Panorama

Die Bügeleisen-Posse

Erstellt:

Kommentare

Was passiert mit dem Wahrzeichen im Zentrum Manhattans?
Was passiert mit dem Wahrzeichen im Zentrum Manhattans? © Imago Images

Ein hoher Preis und ein dubioser Käufer, der plötzlich verschwindet: Die Zukunft des Flatiron-Gebäudes in New York ist weiter offen. Ohnehin durchlebt der Immobilienmarkt der Stadt unruhige Zeiten.

Es war eine beeindruckende Inszenierung, die Jacob Garlick da vor den Treppen des New Yorker Gerichts an der Brooklyn Bridge ablieferte. Der kleine Mann mit dem sauber gestutzten Bart fiel dramatisch auf die Knie und schüttelte den Kopf während ihm die Tränen in die Augen stiegen. „Davon habe ich geträumt, seit ich 14 Jahre alt war“, ließ er die umstehenden Reporterinnen und Reporter wissen.

Kurz zuvor hatte er sich bei einer hastig im Park vor dem Gericht arrangierten Auktion ein dramatisches Duell mit einem der bekanntesten New Yorker Immobilienentwickler, Jeff Gural, geliefert. Unter dem Hammer war eine der ikonischsten Liegenschaften der Stadt, das Flatiron-Gebäude an der Kreuzung von Broadway und 23ter Straße. Wann immer Gural sein Angebot erhöhte, legte Garlick mit zwei Millionen Dollar mehr nach. Bei 189 Millionen gab Gural sich dann schließlich geschlagen.

Nun also gehörte Garlick, ein in der New Yorker Szene unbekannter Entwickler aus Virginia, das markante, Bügeleisen-förmige Gebäude, das bei seiner Eröffnung im Juni 1902 von den Menschen in New York als „Verrücktheit“ bezeichnet wurde. In der Zwischenzeit hat sich der klassische Wolkenkratzer zu einem der meist fotografierten Häuser der Stadt gemausert. Reisende mit einem Instagram Konto lassen es sich nicht nehmen, die Ansicht zu fotografieren, die schon kurz nach der Eröffnung vor 120 Jahren Vertreterinnen und Vertreter der damals noch jungen Fotokunst fasziniert hatte. Der Star-Architekt Robert Stern sagte einmal über das Flatiron-Gebäude, es verkörpere perfekt „die romantischen Aspekte des Wolkenkratzer-Baus.“

Was in den Tagen nach der aufregenden Versteigerung passierte, ließ die Geschehnisse vor dem Gericht jedoch rückblickend als äußerst fragwürdig erscheinen. Garlick verschwand aus New York und man hörte nichts mehr von ihm. Als die zehnprozentige Anzahlung auf den Kaufpreis fällig wurde, um den Deal zu bestätigen, war er nicht mehr aufzufinden. Weder Journalistinnen noch die Verkäufer erreichten ihn. Mittlerweile geht man davon aus, dass sein Gebot nicht seriös war und der Versteigerungsvorgang von Neuem beginnen muss.

Die gesamte Posse wirft nun jedoch in New Yorker Immobilienkreisen Fragen auf. Wenn Garlick kein ernsthafter Käufer war, wer war er dann? Was war seine Rolle und was sollte die ganze Inszenierung? War er ein Träumer, der sich verhoben hat oder steckt etwas Finstereres dahinter?

Garlicks Rivale bei der Ersteigerung des fotogenen Hauses, Jeff Gural, hat dazu eine dezidierte Theorie. Gural ist sich sicher, dass Garlick ein Strohmann war. Hinter Garlick, so glaubt Gural, stecke ein New Yorker Immobilienentwickler namens Nathan Silverstein. Silverstein, dessen Vater Larry als Besitzer des World Trade Center die Neubebauung des Ground Zero Geländes um Jahre verschleppt hatte, gehörten vor der Auktion 25 Prozent des Flatiron-Gebäudes. Gural war einer von fünf weiteren Eigentümern. Alle diese Besitzer, bis auf Silverstein, waren sich über eine Grundsanierung des Gebäudes einig, nachdem 2019 der Hauptmieter, der zur deutschen Holtzbrink-Gruppe gehörende MacMillan Verlag, ausgezogen war. Alleine Silverstein wollte nicht mitmachen und forderte die Aufteilung des Wolkenkratzers in fünf verschiedene Segmente.

Eine solche Aufteilung war jedoch alleine schon aus Gründen des Denkmalschutzes nicht denkbar. Vor allem jedoch treten indem Disput treten die Kräfte zutage, die derzeit den New Yorker Immobilienmarkt bewegen.

Die 190 Millionen, die Garlick geboten hatte, waren Gural im heutigen Umfeld eindeutig zu viel. Noch vor zehn Jahren war das Flatiron jedoch auf 300 Millionen geschätzt worden. Doch in der Zwischenzeit sind die Preise für kommerzielle Immobilien rasant in den Keller gegangen. Insbesondere für alte Wolkenkratzer, deren Innenleben nicht mehr den modernen Anforderungen entspricht, ist nicht mehr viel zu holen.

Diese Entwicklung begann bereits vor der Pandemie. So wurde im März 2019 das Chrysler Building mit seiner ikonischen Art-Deco Krone für 150 Millionen verkauft. Zehn Jahre zuvor hatte ein arabischer Investor es für beinahe 900 Millionen erstanden.

Covid hat diese Deflation des Büromarktes noch einmal beschleunigt. Bis heute stehen mehr als 20 Prozent der New Yorker Büros leer. Gerade einmal 50 Prozent der New Yorker Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gehen jeden Tag ins Büro. Das Hybrid-Modell hat sich verfestigt. Niemand erwartet, dass je wieder so viele Menschen nach Midtown zur Arbeit pendeln, wie noch vor der Pandemie. Die Lage wird dadurch verschlimmert, dass eine ganze Reihe von Bauprojekten, die noch vor Covid geplant wurden, in den kommenden Jahren fertig gestellt werden. Der Überschuss an Büros im Zentrum des New Yorker Geschäftslebens wird sich voraussichtlich also noch weiter zuspitzen.

Daher sind New Yorker Immobilienbesitzer wie Gural und Silverstein unruhig. Niemand weiß derzeit genau, wie man eine Investition realisieren soll. Doch das Flatiron ist für Investoren trotz allem attraktiv. Der Bezirk rund um das Gebäude und den angrenzenden Madison Square Park gehört zu den heißesten Geschäftsgegenden der Stadt.

Schon lange vor der Pandemie hat sich im Flatiron, eigentlich ein Niemandsland zwischen den Midtown Wolkenkratzern und dem alten Finanzdistrikt an der Wall Street, eine junge Technologie-Branche angesiedelt. Die vielen Lofts in der Gegend, einst für Schneiderwerkstätten und Spielzeugmanufakturen genutzt, entsprachen dem Lebensgefühl dieser aufstrebenden Branche. Rund um die vielen Startup–Büros entsprang eine angesagte Bar-, Hotel- und Restaurantszene. Covid hat den Prozess sogar noch beschleunigt.

Die Tech-Branche gehört zu den Pandemiegewinnern in New York. Giganten der Branche wie Google und Amazon haben noch während der Krise ihren Fußabdruck rund um den Bezirk des Flatiron vergrößert. Und die Angestellten, die sich bei diesen Firmen oft den Standort aussuchen können, strömen nach New York. Die sogenannte „Silicon Alley“ ist dabei dem „Silicon Valley“ in Kalifornien den Rang streitig zu machen.

Welche Rolle in dieser Entwicklung das Flatiron spielen kann ist noch unklar. Sicher ist, dass in das Juwel der New Yorker Skyline erst einmal investiert werden muss. Aller Voraussicht nach wird es Jeff Gural sein, der das tut. Zuerst einmal muss er sich jedoch in der zweiten Runde erneut sein Haus zurückersteigern. Und das zu einem Preis, den Garlick und seine Hintermänner, falls es die gibt, unnötig in die Höhe getrieben haben.

Auch interessant

Kommentare