Der Trick mit dem Klick

Der Schweinswal, das Wildtier des Jahres 2022, ist ein schlauer Kerl . Der kann sogar sprechen. Ein Kieler Forscher macht sich das zunutze, um die Wale vor Unterwasserlärm, Fischernetzen und Meeresverschmutzung zu schützen.
Sie sind klug, verspielt, menschenfreundlich und überaus kommunikativ. Wir lieben sie nicht erst seit „Flipper, dem klugen Delfin“. Schon in der Antike wurden die Tiere als heilig verehrt, das Orakel von Delphi trägt seinen Namen nicht von ungefähr – am Tor zum Mittelpunkt der alten Welt soll ein Delfin gewacht haben. Was, wenn wir mit ihnen sprechen könnten? Im dänischen Kerteminde ist es Schweinswal-Forschenden gelungen, diverse „Sätze“ zu identifizieren, mit denen sich die Tiere untereinander verständigen. Schweinswale sind entfernte Cousins der Delfine, aber auch der Pottwale und Orcas – sie alle werden zu den Zahnwalen gezählt. Mit etwa zwei Meter Länge gehören Schweinswale zu den kleinsten Walen der Welt. Sie leben in Küstengewässern rund um die Nordhalbkugel, derzeit mehr als 3700 Exemplare vor der deutschen Ostseeküste.
Die dänischen Verhaltensforscherinnen und -forscher entschlüsselten, in welchem Zusammenhang die Tiere welche Geräusche einsetzen. Im Aquarium von Kerteminde beobachteten sie typische soziale Situationen und untersuchten die akustische Kommunikation, die das jeweilige Verhalten begleitet. Einige Lautkombinationen ließen sich eindeutig spezifischen Verhaltensweisen zuordnen. Ein Schweinswal-Kalb, das den Körperkontakt zur Mutter sucht, gibt einen charakteristischen Fühlungslaut ab, der in jeder vergleichbaren Situation derselbe ist. Der Annäherungslaut zwischen Männchen und Weibchen, die auf Fortpflanzung aus sind, hört sich deutlich anders an. Sätze wie „Mama, wo bist du?“ und „Hey, Süße, wie wär’s?“ lassen vielleicht Schweinswal-Herzen höherschlagen – für Menschen klingen sie in etwa wie eine knarzende Tür.
Schweinswaltypisch ist es auch, gemeinsam zu schwimmen oder einander zu putzen – die entsprechenden Klangsequenzen ließen sich eindeutig zuordnen. Doch auch der netteste Schweinswal wird mal barsch: „Hau ab“ klingt für das menschliche Ohr „in etwa wie eine Kettensäge“, erklärt der Meeresbiologe Boris Culik. Der erfahrene Pinguin- und Wal-Forscher wendet seine Sprachkenntnisse bereits an – um die Tiere zu warnen. Das ist dringend nötig: Vor unserer Haustür, in der Ostsee, verenden jedes Jahr bis zu 150 Schweinswale als Beifang in Fischernetzen, weltweit stranden alle Jahre wieder Gruppen von bis zu 400 Grindwalen in flachen Buchten. Unfreundlichsein kann hier Leben retten.
Boris Culik hat ein Gerät entwickelt, das darauf programmiert ist, auf Schweinswalisch „Verpiss dich“ zu sagen – frei übersetzt. Der sogenannte PAL (Porpoise Alert, englisch für „Schweinswal-Alarm“) soll die Tiere vor Stellnetzen warnen. Verglichen mit Delfinen sind Schweinswale eher maulfaule Vertreter, sie trillern und pfeifen nicht, sondern verwenden für die Kommunikation ihr Sonar, den für Zahnwale typischen akustischen Orientierungssinn. Ähnlich wie Fledermäuse nutzen Zahnwale ein Echolotsystem: Die Meeressäuger senden und empfangen kurze, hochfrequente Klicklaute, die sie über die Luftwege erzeugen. Die Lippen des Blaslochs werden hierzu durch die Ausatemluft in Schwingung versetzt, ähnlich wie bei einem Menschen, der Trompete spielt.
Diese Schwingungen teilen sich an die „Melone“ mit, einen Fettgewebekörper im Oberkiefer des Tieres. Dort werden sie fokussiert und nach vorne ins Wasser abgestrahlt. Die so erzeugten Schallwellen liegen bei Schweinswalen im hohen Ultraschallbereich, bei etwa 130 Kilohertz. Jeder dieser Klicks kommt einem akustischen Blitzlicht gleich: Je schneller der Wal klickt, desto mehr Informationen holt er ein. Das ermöglicht ihm beeindruckend differenzierte Orientierung: Entfernung, Form und Größe von Objekten und sogar Materialeigenschaften – kein Problem für einen Zahnwal.
Schweinswale nutzen diese Klicks überdies zur Kommunikation, sie verständigen sich auf diese Weise über Entfernungen von bis zu 1000 Metern hinweg. Interessant sind hier die Abstände zwischen den Klicks, denn über sie scheint sich die Information zu vermitteln: Die Kerteminder Forschenden beobachteten, dass bei aggressiven „Sätzen“ die Klicks sehr viel schneller aufeinanderfolgten als bei Fühlungslauten, die Wale feuern dann regelrechte Klicksalven ab.
Dem pragmatischen Ansatz der dänischen Wissenschaftler:innen ging jahrzehntelange Forschung voraus. Das wissenschaftliche Interesse an den atmenden Meeresbewohnern erwachte Ende der 1950er-Jahre. Die ersten Satelliten kreisten im All, das Rennen um die Mondlandung war in vollem Gange, und es schien sehr plausibel, dass der erste Kontakt mit Außerirdischen kurz bevorstand. Wie sollte man dafür besser üben als mit den Aliens vor Ort – den intelligenten Delfinen? Tatsächlich sind die Kommunikationsmuster der Tiere hochkomplex: Die Wissenschaft hat herausgefunden, dass Delfine kommunizieren, um ihre Jungen zu erziehen, um gemeinsam zu jagen und Haie zu vertreiben. Sie benutzen sogar individuelle Signaturpfiffe, mit denen sie einander unterscheiden und beim Namen rufen.
Sind Delfine „hochintelligent, vielleicht sogar intellektuell“, wie der US-amerikanische Neurophysiologe John Cunningham Lilly vermutete? Anlass für seine These gibt es ausreichend: Die Tiere gehören zu den wenigen Lebewesen, die in der Lage sind, sich selbst im Spiegel zu erkennen. Ihr Gehirn ist, im Verhältnis zum Körpergewicht, nur wenig leichter als das menschliche. Lilly interpretierte die komplexen Pfeif-, Triller-, Knack- und Klickmuster der Tiere als eigene Sprache und setzte sich in den Kopf, die kommunikative Kluft zwischen den Arten zu überbrücken.
Die Frage nach dem Code, der die Sprache der Delfine dechiffrieren und eine Übersetzung von „Delfinisch“ in die Menschensprache ermöglichen könnte, beschäftigt Kognitionswissenschaftler, Neurologinnen und Linguisten mittlerweile seit mehr als einem halben Jahrhundert. Dass die Tiere intensiv kommunizieren, ist sicher – worüber genau, ob und welche Grammatik ihre Sprache hat und wie sie sich für Menschen übersetzen lässt, daran beißt sich die Forschung allerdings nach wie vor die Zähne aus.
Die Sprache der Tiere zu imitieren, ist dennoch ein vielversprechender Ansatz. Schweinswale schalten ihr Sonar erst dann ein, wenn etwas ihre Aufmerksamkeit erregt, ansonsten sind sie mehr oder weniger im akustischen Blindflug unterwegs. Das birgt zwar ein gewisses Risiko, hat für die Tiere aber den Vorteil, dass sie unauffälliger und für Fressfeinde wie etwa Orcas schlechter zu orten sind. Ein klickender Schweinswal ist für potenzielle Verfolger leichte Beute, vergleichbar mit einem Radfahrenden im nächtlichen Park, der brav mit Licht fährt.
Stellnetze lokaler Fischer, meist aus dünnem Kunststoff, nehmen die schweigenden Schweinswale allerdings oft zu spät wahr. Die Tiere verfangen sich in den Maschen und ersticken. Boris Culik will die Tiere davor bewahren, ins Netz zu gehen. Das von ihm erfundene Schweinswal-Warnsystem, der PAL, sieht aus wie eine längliche Boje, etwa 20 Zentimeter lang. Sein Innenleben besteht aus einem Mikrochip, der darauf programmiert ist, das aggressive Warnsignal der Schweinswale auszustoßen, auf einer Frequenz von 133 Kilohertz, also astreines Schweinswal-Imitat. „Das Signal besteht aus 1200 Klicks in immer kürzeren Intervallen“, erklärt Culik. Der Effekt: „Durch das Geräusch werden die Tiere aufmerksam, es animiert sie, ihre Echoortung anzuwerfen.“ In dieser Wirkung liegt der wesentliche Unterschied zu anderen Geräten, die in der Fischerei bereits eingesetzt werden, um den unerwünschten Beifang zu verringern. Diese „Pinger“ produzieren Geräusche, die Schweinswale verscheuchen.
Culik hat die Wirkung dieser Geräte in Kanada untersucht. „Der Effekt ist eindeutig: Die Tiere machen einen großen Bogen um die Dinger.“ Culik beobachtete aber zwei unerwünschte Nebeneffekte. Erstens: „Die Tiere meiden künftig das Gebiet, in dem sie einen Pinger angetroffen haben.“ Und zweitens: „Wale scheinen einen Feind zu vermuten, wie zum Beispiel einen Schwertwal. Sie schalten daher ihre Echoortung aus, um sich nicht durch Klicklaute zu verraten. Und sie gehen auf mindestens 130 Meter Sicherheitsabstand zu der Stelle, von der das Geräusch kommt. Unter Umständen werden sie, jetzt akustisch blind, ins Netz nebenan getrieben, das vielleicht keinen Pinger hat.“
Der PAL hingegen regt die Tiere an, aufmerksamer zu sein, und veranlasst sie, nur etwa 19 Meter Abstand einzuhalten. Die Tiere werden nicht aus ihrem Habitat vertrieben und in ihrem natürlichen Verhalten nur wenig gestört. Culik konnte in einem Versuch mit 200 eingesetzten Geräten zeigen, dass an Stellnetzen angebrachte PAL-Geräte den Schweinswal-Beifang um durchschnittlich 70 Prozent reduzieren.
Auch im Schwarzen Meer wurde der PAL erfolgreich an der bulgarischen Küste eingesetzt und konnte im Vergleich mit anderen Warngeräten die besten Ergebnisse erzielen: Er verringerte den Beifang des gefährdeten Schwarzmeer-Scheinwals signifikant. „Auch in der Ostsee klappt das gut“, sagt Culik. In diesem Jahr startet zudem ein Monitoringprojekt, an dem das Meeresmuseum Stralsund und das Institut für Ostseefischerei Rostock beteiligt sind. „Dafür habe ich Funkbojen entwickelt, sodass das PAL-Signal jetzt ferngesteuert aktiviert und deaktiviert werden kann. Das ist hilfreich, wenn man zum Beispiel mit Hilfe einer Drohne das Verhalten von Schweinswalen auf das Signal selbst beobachten möchte, ohne da erst mit dem Boot hinfahren und stören zu müssen.“ Der PAL werde auch auf Wasserbaustellen in der Kieler Förde eingesetzt, um die Schweinswale per „Vergrämungssignal“vor Lärmverletzungen wie Taubheit zu schützen.
Nur bei einem PAL-Einsatz rund um Island habe es zunächst „Verständigungsprobleme“ gegeben. „Bei den Weibchen hat alles geklappt. Aber die Männchen sind vermehrt in die Netze geschwommen“, sagt Culik. Seine Vermutung: Es liegt am Dialekt. Der auf Ostsee-Walisch programmierte PAL hat sich wahrscheinlich aus Sicht der isländischen Schweinswal-Männer im Ton vergriffen. Das Signal für „Hau ab“ könnte für sie so beleidigend geklungen haben, dass sie kampfbereit in seine Richtung schwammen. Seither hält Culik mit einem angepassten Signal auch auf Island die Tiere erfolgreich von den Netzen ab. Kommunikation will halt gelernt sein.