Der Hüter der ungezählten Telefone

Joel Fischer verwaltet den „Handy-Schatz“ des Frankfurter Museums für Kommunikation – und sieht das Telefonat trotz rasanter Entwicklung immer noch als „Ursprung allen Seins im Mobilfunk“
Schwer wogen sie, die ersten Telefonate von unterwegs. So viel steht fest. Auch wenn der Inhalt des ersten Mobilfunktelefongesprächs am 3. April 1973 mit „Hi, Joel“ eher dünn gewesen sein soll (siehe Text links) , war der Schinken, mit dem telefoniert wurde umso dicker. Ein Kilogramm soll er gewogen haben.
Da kann auch Joel Fischer mithalten, der übrigens als bedeutend jüngerer Jahrgang nicht Empfänger des ersten mobilen Telefonats gewesen ist. Mit der Geschichte der Kommunikation kennt sich der 38-Jährige dagegen bestens aus. Für das Museum für Kommunikation in Frankfurt am Main ist Fischer für digitale Technologien zuständig und verwaltet im Depot im südlich gelegenen Heusenstamm den Handy-Schatz des Museums.
Hunderte Geräte liegen im Untergeschoss der riesigen Lagerhalle aus. Mit Antennen oder ohne, zum Klappen oder Aufschieben. Bei frühen Modellen aus den 80ern überwiegen noch die schwarzen Ecken und Kanten, die auch in die Mode dieser Zeit passten. In den 90ern änderten sich Design und Farben. „Verspieltere Formen und Knallfarben wie orange wurden mehr“, sagt Fischer. Und sie konnten dank kleinerer Akkus viel kompakter gebaut werden. „Wir sortieren gerade“, sagt Fischer, der die genaue Zahl der Handys noch nicht nennen kann, die das Museum entweder selbst gekauft oder gespendet bekommen hat.
Für das älteste Modell muss Fischer zunächst eine Metalltür elektronisch entriegeln und in einer Regalreihe weit nach hinten laufen. Zwischen „Schlepp- und Koffertelefonen“ liegt es: „Pocky“, das laut Fischer mit 700 Gramm etwas leichter ist als das Gerät vom ersten Gespräch 1973.
Neben Namen wie „Porty“ und „Pocky“ für Telefone, die ebenso wenig leicht transportabel waren wie Taschenformat hatten, hätte übrigens auch die Bezeichnung „Handy“ beinahe die 90er nicht überstanden, so Fischer. 1996 habe es eine „Ausschreibung für einen besseren Namen“ gegeben. Da sich aber keiner fand, blieb die „denglische“ Version, als Mischung aus Deutsch und Englisch – obwohl „Handy“ im Englischen nicht für Telefone verwendet wird, sondern mit „Praktisch“ übersetzt wird.
Pocky sei 1988 entwickelt und erstmals ein Jahr später vom damaligen Monopolisten, der Deutschen Bundespost vermarktet worden. Über dem schmalen Display und dem ausladenden Tastenfeld prangt das Posthorn, das heute noch in Schwarz auf gelbem Grund Logo des Unternehmens ist. Mit Pocky konnte man ungefährt 30 Minuten telefonieren.
Museumstage
Zum Internationalen Museumstag am 21. Mai kann auch das Sammlungsdepot des Frankfurter Museums für Kommunikation (ehemals Postmuseum) in Heusenstamm besichtigt werden. Zu finden im Hinterhof der Philipp-Reis-Straße 4 – 8. Die Schau ist an dem Tag von 10 bis 17 Uhr geöffnet, der Eintritt frei.
Neben unzähligen Handymodellen sind in dem Depot Postkutschen und -autos, Telefone sowie Radios und Fernsehgeräte aus verschiedenen Epochen ausgestellt. cd
In „Branchen, in denen viel von unterwegs gesprochen werden musste“, seien die ersten Mobiltelefone genutzt worden. Fernkraftfahrer nennt Fischer als Beispiel, aber auch in Autos wurden die ersten Vorläufer der Handys eingebaut. Dort konnten die Telefone, die im Vergleich zu heute mit mächtigen Akkus ausgestattet waren, mit „Kfz-Ladekabel“ geladen werden. Ärztinnen und Ärzte, der diplomatische Dienst und Geschäftsleute gehörten zu den ersten, die Mobiltelefone nutzten.
Joel Fischer hat sein erstes Handy mit 16 oder 17 gekauft: „Das Siemens C11“. Er streift einen weißen Stoffhandschuh über, holt eines dieser Modelle aus dem Jahr 1998 hervor und schaut es mit verklärtem Blick an. Mit Schnitzel klopfen und Maultaschen zubereiten bei seinem Onkel in dessen Metzgerei hatte er sich die 200 D-Mark für das Handy erarbeitet.
Den Eltern verheimlichte er zunächst den Kauf. Die erfuhren erst davon, als sich der Laden meldete, in dem ihr Sohn das Handy erstanden hatte. Auf dem Vertrag, den er abschließen musste, fehlte die Unterschrift der Erziehungsberechtigten. Doch Mutter und Vater ließen sich schnell überzeugen, dass die mobile Kommunikationsmöglichkeit im ländlichen Baden-Württemberg, wo Fischer aufwuchs, wichtig sei. Etwa, wenn der Bus mal wieder zu spät kam.
In der Schule beeindruckte der Handy-Pionier sofort. „Ich war der Erste in der Klasse“, berichtet Fischer. „Am ersten Tag habe ich es meinem Nebensitzer unterm Tisch gezeigt.“ Mehr als „ein bisschen darauf rumdrücken“ hätte aber damals kaum funktioniert. „Teuer war es auch und ich habe es selten genutzt.“
Anders sieht das heute aus. In Zeiten von Smartphones und Flatrates gibt es kaum Grenzen: „Kommunizieren ist inflationär geworden und die Inhalte haben sich verändert“, sagt der Kustos, der sich schwerpunktmäßig um die Sammlung des Museums kümmert. „Es geht mehr um Aufmerksamkeit als um wichtige Absprachen.“
Die Erreichbarkeit und das ausufernde Nutzungsverhalten führten durch Gruppenchats, etwa bei „Whatsapp“, gar zu Entzugserscheinungen, wenn keine Antwort mehr aufblinke. Daneben sei das Handy zur „digitalen Schaltzentrale“ mutiert, über die man Fahrten, Wege und Termine koordiniere. Was jedoch für Fischer seit der Entwicklung der ersten Mobilfunktelefone in den 70er Jahren da war und immer bleiben wird, ist das eine: „Das Telefonat – als Ursprung allen Seins im Mobilfunk“.

