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Das Potenzial der Fetzen: Berlin Fashion Week 2023 zeigt Mode aus recycelten Stoffen

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Von: Judith Kohl

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DZUHS - vor der Verwandlung. Berlin Fashion Week 2023.
DZUHS - vor der Verwandlung. Berlin Fashion Week 2023. © FCG/Finnegan Godenschweger

Auf der Berliner Fashion Week zeigt die deutsche Modeszene, wie aus recycleten Stoffen tragbare Kunst wird. FR-Modeenthusiastin Judith Kohl hat ihre Highlights von den Laufstegen mitgebracht

DZHUS

Die ukrainische Designerin und Stylistin Irina Dzhus, die 2010 ihr gleichnamiges Label gründete, stach durch die Wandelbarkeit ihrer Mode heraus.

International bekannt für innovative Schnitte und vielseitige Transformationen. wurden avantgardistische, skulpturale, aber dennoch tragbare Designs gezeigt. Um die Variationen ein und desselben Keidungsstücks sichtbar zu machen, nahm die Designerin die Models nach einer ersten Runde auf dem Laufsteg am Ende desselben in Empfang und schickte sie - verwandelt - ein zweites Mal los. Mittels Reißverschlüssen, Druckknöpfen und ähnlichem verwandelte Dzhus die Kleidungsstücke teilweise extrem: aus kurz wurde lang, aus Kleid wurde Kutte, aus eng anliegend wurde voluminös. Die Kleidung funktioniert als Schutzhülle, als nützliche Erweiterung - sie lässt sich ausbreiten um zu verpacken, falten um Taschen und Rucksäcke zu kreieren - überwältigend!

DZUHS - vor der Verwandlung. Berlin Fashion Week 2023.
DZUHS - nach der Verwandlung. Berlin Fashion Week 2023. © FCG/Finnegan Godenschweger

Sirenengeheul unterbrach die Schau und machte den andauernden Krieg in der Ukraine ominpräsent - auf konzeptionelle, aber nicht weniger bedrückende Art und Weise. Eine beeindruckende Kollektion, die neben den auf dem Laufsteg präsentierten Glanzstücken auch leichter zu handhabende Teile für den Alltag enthält.

Odeeh

Bekannt für ihren souveränen Umgang mit Farben und Mustern haben Otto Drögsler und Jörg Ehrlich auch dieses Mal nicht enttäuscht. Seit langem einmal wieder präsent auf der Berlin Fashion Week, zeigten sie neben den vertrauten, fließenden Silhouetten und abstrakten Mustern auch körpernahe, scharf geschnittene Anzüge in monochrom gedeckten Tönen.

Odeeh. Berlin Fashion Week 2023.
Odeeh. Berlin Fashion Week 2023. © FCG/Lina Grün

Wintersportwerbung aus den 1930er sowie die Jetset-Kultur der 1960er und 1970er Jahre dienten als Inspiration. Nostalgie wurde geweckt durch Retroprints und Midi-Rocklängen. Mäntel und Röcke, gewickelt wie Decken, und zusammengehalten durch Gürtel, Pullover als Schals, der Kontrast von groben Stoffen und Strick mit feinen fließenden Materialien ergaben ein gelungenes Zusammenspiel.

LML Studio

Es gibt viele Gründe eine Kirche zu besuchen - auf der diesjährigen Fashion Week strömten Gäste in die St. Marienkirche am Alexanderplatz auf Einladung von Lucas Meyer-Leclère, der ebendort seine neueste Kollektion präsentierte. Zu Klängen von eklektischer Orgelmusik wurde der Mittelgang des Hauptschiffs zum Laufsteg.

LML Studio. Berlin Fashion Week 2023.
LML Studio. Berlin Fashion Week 2023. © FCG/Lina Grün

Dass Mode über zweckmäßige Kleidung hinaus zur tragbaren Kunst werden kann, zeigte der Designer hier, indem er die Schönheit des handwerklichen Könnens betonte: Couture-Know-How traf auf Nachhaltigkeit. Perfekt geschnittene Anzüge mit offenen Nähten, weiße Hemden mit überlangen Ärmeln, am Schienbein geschlitzte Hosen, grob- und weitmaschig gehäkelte Oberteile - und alles unter Einsatz re- oder upcycelter Materialien. Eine beeindruckende Schau.

VORN

So sieht Nachhaltigkeit aus, möchte man laut in die Welt rufen - schaut her, staunt und freut euch daran. Nichts war zu sehen von der vermeintlichen Zurückhaltung, Einfachheit oder gar Formlosigkeit fairer Mode auf der Schau des Fashion Hubs VORN. Der Verein gibt nachhaltig agierenden Designer:innen eine Plattform, um sich zu vernetzen und zu präsentieren. Wie auch auf dem Laufsteg der KantGaragen: 50 Looks, zusammengestellt aus Teilen von 78 Labels, wurden auf der Hauptlocation der Berlin Fashion Week präsentiert.

VORN Fashion Hub. Berlin Fashion Week 2023.
VORN Fashion Hub. Berlin Fashion Week 2023. © Judith Kohl

Ungewöhnliche Kombination von unterschiedlichen Materialien und Schnitten oder auch Layering ergaben eine spannende Übersicht darüber, was möglich ist auf diesem Feld.

SF1OG

Das Label Seitenflügel 1. Obergeschoss mausert sich, bleibt sich dabei aber treu. Auf ihrer Schau - dieses Mal im Roten Rathaus - bewies Designerin Rosa Marga Dahl erneut ihr Können. Die präsentierten Entwürfe waren erwachsener, weniger kleinteilig, dennoch detailreich. Im Mittelpunkt der Kollektion steht einmalmehr das Bewusstsein für Materialien und die Fähigkeit, sich von ihnen inspirieren zu lassen.

SF1OG. Berlin Fashion Week 2023.
SF1OG. Berlin Fashion Week 2023. © Tom Funk

Eine auf ihre Weise klassische, dennoch überraschende Kollektion: Gut geschnittene, weit fallende Hosen, Lederjacken, lange Mäntel und Oberteile in zeitlosen Farben - dazu aber offen hängende Gürtel, die mehr Accessoire sind als Befestigung oder Verschlüsse an ungewohnten Stellen - es bleibt spannend auf dem Laufsteg bei SF1OG.

Haderlump

Der Begriff „Haderlump“ geht zurück auf eine Bezeichnung für Lumpensammler, die abgetragene Kleidungsstücke sowie Stoffreste sammelten und verkauften. Damals verachtet, heute vorrausschauend. Wert in dem zu sehen, was andere für wertlos halten, ist der Kerngedanke des jungen Berliner Labels.

Haderlump. Berlin Fashion Week 2023.
Haderlump. Berlin Fashion Week 2023. © FCG/Finnegan Godenschweger

Mit ihrer neuesten Kollektion Dystopia beweisen der Designer Johann Ehrhardt und sein Team ein Händchen für den Spagat zwischen Streetwear und Tailoring. Materialien wie Denim und Leder wurden in eigenwillige Formen gebracht. Overalls mit Cut-outs, lange Hosen mit „Schürzen“ darüber, geschnürte Oberteile, besonders geführte Nähte - die Details machten aus dem Einfachen das Besondere.

Lou de Bètoly

Sie ist bestrickend - die französische Designerin mit Standort Berlin verzaubert immer wieder mit ihren ... ja was eigentlich? Kleidung kann man kaum dazu sagen, zu diesen zarten Gespinsten, den feinen Geweben. Auf dieser Fashion Week präsentierte sie ihre nostalgisch-dekadenten Teile im Queen Palace, einem Festsaal im Herzen Berlins.

Lou de Bètoly. Berlin Fashion Week 2023
Lou de Bètoly. Berlin Fashion Week 2023 © Judith Kohl

Bètolys Kleider entstehen durch eigenwillige Handarbeit und Verzierungstechniken. Transparente Materialien mit Applikationen, unerwartete Proportionen, Cutouts, Volumen im Zusammenspiel mit kurzen engen Teilen - so entsteht Haute Couture aus Abfallmaterialien, mit denen die Designerin ausschließlich arbeitet. Die Frage nach Tragbarkeit stellt sich nicht - die Connoisseurin bewundert und erschafft sich den passenden Anlass.

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