Das große Nervenflattern

Die Wahl zum Vogel des Jahres geht nun in die entscheidende Phase.
Was? Neuseeland hat eine Fledermaus zum „Vogel des Jahres“ gewählt? Pfiffig. In deutschen Landen würde ein entsprechendes Überraschungsmanöver wahrscheinlich dazu führen, dass der Ferienflieger nach Mallorca siegt, bei all den pandemischen Entsagungen.
Aber keine Sorge, der Stahlkranich steht in diesem Jahr nicht zur Wahl. Es ist ohnehin wieder alles anders. Nach der turbulenten, fast basisdemokratischen Runde 2020, als erstmals die gesamte Bevölkerung unter sage und schreibe 307 Kandidaten den Vogel des Jahres 2021 wählen durfte, ist der ausrichtende Naturschutzbund (Nabu) zurückgerudert. Es ist nicht wie ganz früher, als ein Expertengremium allein den Sieger bestimmte. Aber es sind diesmal nur noch fünf Bewerber. Wählen dürfen wieder alle.
Auf dem Stimmzettel, na gut, auf der Stimm-Internetseite (vogeldesjahres.de), stehen: Mehlschwalbe, Feldsperling, Bluthänfling, Steinschmätzer und Wiedehopf. Allesamt gefährdete beziehungsweise „bald gefährdete“ (der Spatz) Vogelarten. Der Nabu will mit der Wahl schließlich die Sinne schärfen für die bedrohte Tierwelt.
Das ging im vorigen Jahr womöglich ein wenig unter. Da standen nach der Vorrunde plötzlich Stadttaube, Rotkehlchen und Amsel an der demokratisch gewählten Tabellenspitze der damals zehn Finalisten. Prima Vögel, gewiss. Aber nicht gerade vom Aussterben bedroht.
Rotkehlchen noch im Amt
Zudem entspann sich am Rande des Wettbewerbs der Gefiederten ein zweites Rennen unter den Vogelfans. Teilweise sogar unter Leuten, die sich gar nicht so furchtbar viel aus Vögeln machen. Manchen ging es, wenn sie ehrlich waren, überhaupt nicht mehr um Piep- oder Gurrmätze, sondern um das Geld und die Party, die den erfolgreichsten Wahlkampfteams winkten.
Ein Fußballpodcast aktivierte seine über die gesamte Republik verbreitete Anhängerschaft, um den Schwarzhalstaucher nach oben zu katapultieren. Die Resonanz war riesig, das Team lag am Ende der Vorrunde vorn – nur der Schwarzhalstaucher selbst schaffte es nicht in die Top Ten. Die Fußballfreunde verhandelten monatelang nach, um doch noch zum Grillfest eingeladen zu werden, ohne durchschlagenden Erfolg. Aber ziemlich witzig war ihre Kampagne trotzdem. Effektiver arbeitete die Anhängerschaft eines berühmten Schriftstellers, der auf Twitter den Stimmenfang für den Goldregenpfeifer ankurbelte. Der Vogel holte immerhin Platz sieben.
Den Schnabel vorn hatte im vorigen Jahr das Rotkehlchen. Wer wird sein Nachfolger als Champion? Der Bluthänfling mit seiner rotgesprenkelten Brust und seiner Forderung „Mehr Hecken zum Verstecken“? Der gruppendynamische Feldsperling, der tschilpt: „Ohne Gehölz, ohne mich“? Unsere Nachbarin unterm Dach, die Mehlschwalbe, die „Mieterschutz für Vögel“ reklamiert? Der Steinschmätzer, der für öde Landschaften antritt, mit seiner Ermunterung „Mut zur Brache“? Oder der Wiedehopf mit der verrücktesten Frisur und dem vernünftigen Wahlspruch „Gift ist keine Lösung“?
Es wird auf jeden Fall spannend. Wer sich nicht komplett davon verwirren lässt, dass jetzt tatsächlich der Vogel des Jahres 2022 gewählt wird (ja, zweiundzwanzig), fand den punkigen Wiedehopf und die häusliche Schwalbe zur Halbzeit der Abstimmung an der Spitze. 85 000 Leute hatten bis dahin gewählt. Der berühmte Schriftsteller macht sich in diesem Jahr nicht erneut für einen der Vögel stark. Aber es gibt wieder reichlich Wahlkampfteams. Sie heißen „Unser Liebesgott, der Wiedehopf“, „Platz für den Spatz“, „The bloody Hänflings“, „Schwalben gehören in die Luft und nicht auf den Fußballplatz“ oder auch „FMÖL – Für mehr öde Landschaften“. Auf Platz eins der Unterstützer lag gestern allerdings wieder: der Fußballpodcast. Er hat sich diesmal für den Bluthänfling entschieden. Es soll keine Drohung sein.
Gewählt wird noch bis zum 18. November. Das Ergebnis will der Nabu noch am gleichen Tag bekanntgeben. Wer noch nicht an der Abstimmung teilgenommen hat: vogeldesjahres.de heißt der Landeplatz für die Voten.



