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Tropenkrankheiten: „Auf diese Weise werden Armutskreisläufe kreiert“

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Von: Pamela Dörhöfer

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Weltweit leiden fast zwei Milliarden Menschen an vernachlässigten Tropenkrankheiten. Es fehlt an Forschung und politischem Willen, sie zu bekämpfen.

Bonn - Zum Welttag der vernachlässigten Tropenkrankheiten: Die Biologin Sabine Specht über milliardenfaches Leiden, weitreichende Folgen und die Schwierigkeiten bei der Entwicklung von Medikamenten.

Frau Specht, am 30. Januar war der „Welttag der vernachlässigten Tropenkrankheiten“, den die WHO 2020 erstmals ausgerufen hatte. Inwieweit hat sich die Corona-Pandemie auf die Wahrnehmung der vernachlässigten Tropenkrankheiten ausgewirkt? Sind sie jetzt noch vernachlässigter – oder gab es ein Umdenken, weil man auch in den reichen Ländern erkennen musste, wie gefährlich Infektionskrankheiten nach wie vor sind?

Einerseits ist durch die Pandemie das Bewusstsein für das Risiko von Infektionskrankheiten sehr stark gewachsen. Andererseits sehen wir aber leider, dass gleichzeitig die Aufmerksamkeit für die vernachlässigten Tropenkrankheiten noch weniger geworden ist. Denn anders als neu auftretende Krankheiten wie Sars, Mers oder jetzt Covid-19 stellen sie keine akute, unmittelbare Bedrohung für die gesamte Welt dar. Meist verlaufen sie chronisch. Es sind uralte Krankheiten, die uns seit Jahrhunderten, wenn nicht gar Jahrtausenden, begleiten.

Tropenkrankheiten: Bewusstsein für Infektionskrankheiten seit der Pandemie gewachsen

Welche Arten von Krankheiten zählen dazu, sind es alles Infektionskrankheiten?

Zunächst: Der Begriff „vernachlässigt“ bedeutet keineswegs, dass diese Krankheiten selten sind. Im Gegenteil: Es leiden sehr viele Menschen darunter, weltweit mehr als 1,7 Milliarden. Aber sie finden eben international nur wenig Beachtung. Es handelt sich bis auf Schlangenbisse, die ebenfalls dazu zählen, um Infektionskrankheiten. Viele werden von Parasiten verursacht. Dazu gehören vor allem Wurminfektionen. Aber auch durch Bakterien und Pilze hervorgerufene Infektionen sind in die Liste aufgenommen worden. Diese hat sich in den letzten Jahren deutlich erweitert.

Was bedeutet das für die betroffenen Menschen im Einzelnen und für die gesamte Bevölkerung in diesen Regionen?

Die persönlichen Beeinträchtigungen sind meist sehr stark, körperlich, aber oft auch sozial. Manche Krankheiten wie die Schlafkrankheit sind tödlich, wenn sie nicht behandelt werden. In vielen Fällen schwächen die Infektionen die Erkrankten massiv. Sie können einen Menschen auch entstellen, bei lymphatischer Filariose etwa kann es zu einer extremen Vergrößerung von Armen oder Beinen kommen. Langfristig senken diese Krankheiten die Lebensqualität drastisch oder führen zum Tode, auch indirekt, etwa durch Hunger. Betroffen sind vor allem Menschen in Ländern mit niedrigem Einkommen. Die größte Gruppe sind Frauen und Kinder, die dann häufig unregelmäßig in die Schule gehen, wenn überhaupt. Wenn Männer erkranken, können sie häufig nicht mehr für ihre Familie sorgen. Oft sorgen diese Krankheitsbilder zudem für Stigmatisierung. Betroffene werden ausgegrenzt, finden keinen Partner oder keine Partnerin. Das alles hat weitreichende und vielschichtige Konsequenzen. Auf diese Weise werden Armutskreisläufe kreiert oder verstärkt, die diese Länder Milliarden von Dollar kosten und ihre Wirtschaftskraft zusätzlich schwächen.

Tropenkrankheiten: Langfristig senken sie Lebensqualität und führen zum Tod

Welche Bedingungen fördern die Übertragung und das Ausbrechen dieser Krankheiten?

Die Armut in diesen Ländern ist ein wichtiger Faktor. Meist geht sie mit schlechten hygienischen Bedingungen und einem schwachen Gesundheitssystem einher. Aber auch das Klima spielt eine große Rolle, denn viele Erkrankungen werden durch Vektoren wie zum Beispiel Mücken übertragen, die sich bei warmen Temperaturen besonders verbreiten.

Sabine Specht ist Biologin und bei der Non-Profit-Organisation DNDi (Drugs for neglected diseases initiative) Spezialistin für den Bereich Filarieninfektionen (Filarien gehören zu den Fadenwürmern). Die DNDi, an deren Gründung im Jahr 2003 unter anderem „Ärzte ohne Grenzen“ beteiligt war, forscht nach Medikamenten für vernachlässigte Tropenkrankheiten, finanziert durch Spenden und Förderungen. Sabine Specht war vorher unter anderem zwölf Jahre am Institut für Medizinische Mikrobiologie, Immunologie und Parasitologie des Universitätsklinikums Bonn tätig.
Sabine Specht ist Biologin und bei der Non-Profit-Organisation DNDi (Drugs for neglected diseases initiative) Spezialistin für den Bereich Filarieninfektionen (Filarien gehören zu den Fadenwürmern). Die DNDi, an deren Gründung im Jahr 2003 unter anderem „Ärzte ohne Grenzen“ beteiligt war, forscht nach Medikamenten für vernachlässigte Tropenkrankheiten, finanziert durch Spenden und Förderungen. Sabine Specht war vorher unter anderem zwölf Jahre am Institut für Medizinische Mikrobiologie, Immunologie und Parasitologie des Universitätsklinikums Bonn tätig. © privat

Welche Gebiete sind besonders gefährdet, ist es eher ein Problem der großen Städte oder der ländlichen Gebiete?

Betroffen ist der gesamte tropische Gürtel: Afrika, Asien und Südamerika – und dort sind es vor allem die ländlichen Gebiete. In den Städten herrschen oft nicht die geeigneten Bedingungen für die tierischen Überträger. Außerdem sind die Leute auf dem Land oft besonders stark vom Gesundheitssystem abgeschnitten. So stellt die Pharmaindustrie etwa bereits seit mehr als 20 Jahren im Rahmen sogenannter Massentherapien kostenlos Antihelminthika (Mittel gegen Wurminfektionen) für die Bevölkerung bereit. Doch oft gelangen die Medikamente schon allein wegen fehlender Straßen und fehlender personeller Infrastruktur nicht in die Dörfer und kommen so gar nicht bei den Menschen an.

Tropenkrankheiten: Menschen auf dem Land sind besonders betroffen

Gibt es genug Therapien oder besteht auch ein Defizit bei der Forschung – möglicherweise, weil es nicht lukrativ genug für die Pharmaindustrie ist?

Es stehen schon einige Medikamente zur Verfügung, doch das Arsenal muss dringend verbessert werden. Ein prominentes Beispiel ist Ivermectin, das ja durch Covid in aller Munde ist. Dieses Mittel vernichtet bei Wurminfektionen die Larven im Körper sehr effektiv. Allerdings kann man ausgewachsenen Würmern damit nicht zu Leibe rücken. Aus diesem Grund muss man Ivermectin über einen Zeitraum von bis zu 15 Jahren regelmäßig mindestens einmal im Jahr geben. Das ist in abgelegenen Regionen kaum zu schaffen, und die Pandemie hat in dieser Beziehung noch zusätzlich zu Rückschritten geführt. Daher brauchen wir unbedingt Substanzen, die auch die ausgewachsenen Würmer angreifen. In der Zukunft benötigen wir eher zielgerichtete Diagnostik und Behandlung, um die Massentherapien abzulösen. Unsere Aufgabe als DNDi ist es, die Pharmaindustrie, akademische Partner und Förderer an einen Tisch zu bekommen, um Strategien zu entwickeln und konkrete Maßnahmen zu ergreifen. Es gibt viel Aufholbedarf.

Vor allem in ländlichen Gebieten sind die Wege bis zur nächsten Krankenstation oft weit.
Vor allem in ländlichen Gebieten sind die Wege bis zur nächsten Krankenstation oft weit. © Getty Images

Woran ist das bislang gescheitert?

Die Finanzierung stellt ein großes Problem dar. Die Entwicklung und Bereitstellung solcher Medikamente ist sehr teuer und es stehen nur begrenzte Mittel zur Verfügung, die nach Prioritäten eingeteilt werden. Da stehen die vernachlässigten Tropenkrankheiten eben oft hinten an. In den vergangenen zehn Jahren ist die Förderung kaum gestiegen, und wir fürchten, dass es nach der Covid-Pandemie noch weniger wird. Eine der Hauptaufgaben unserer Organisation ist es, die wichtigen Partner von Beginn an verstärkt mit ins Boot zu holen, unter anderem auch die Pharmaindustrie. In Deutschland zum Beispiel versuchen wir, gemeinsam mit Bayer und der Universität Bonn die Entwicklung neuer Substanzen voranzubringen. Gefördert wird das unter anderem mit Mitteln des Bundes.

Vernachlässigte Tropenkrankheiten: „Auf diese Weise werden Armutskreisläufe kreiert“

Wie gut nehmen die Menschen in den betroffenen Regionen die Angebote an?

Ein Teil der Geschichte ist auch, dass Menschen aus verschiedensten Gründen die Therapie nicht nehmen: weil sie schlechte Erfahrungen gemacht oder Angst vor Nebenwirkungen haben. Manchmal gibt es durchaus auch Vorbehalte, Medikamente von Weißen anzunehmen. Deshalb ist die Zusammenarbeit mit Partnern vor Ort und das Fördern von Eigenverantwortung in diesen Ländern sehr wichtig. Beim Thema vernachlässigte Tropenkrankheiten gibt es viele Probleme gleichzeitig.

Corona hat vor Augen geführt, dass auch die reichen Länder empfindlich von Infektionskrankheiten getroffen werden können. Könnten es vernachlässigte Tropenkrankheiten in gemäßigtere Breiten schaffen und zum Problem werden?

Hier könnte vor allem der Klimawandel eine Rolle spielen. So müssen wir die Gefahr durch Krankheiten mit Mücken als Überträgern im Auge behalten. Dazu gehört etwa das von der Tigermücke übertragene Dengue-Fieber, das zu den vernachlässigten Tropenkrankheiten zählt. Wir haben auch schon andere Infektionen gesehen, die innerhalb Europas stattgefunden haben, die vorher nie heimisch hier waren. Zum Beispiel Leishmaniosen oder Bilharziose. Wir sollten unbedingt beobachten, wie sich das weiter entwickelt.

(Interview: Pamela Dörhöfer)

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