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Die zwei Bürden des Iran: Corona und der US-Wirtschaftskrieg

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Von: Ulrike Keding

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Für Fremde rollen die Iraner den roten Teppich aus. Zu Gast beim iranischen Neujahrsfest 2019 in Shiraz.
Für Fremde rollen die Iraner den roten Teppich aus. Zu Gast beim iranischen Neujahrsfest 2019 in Shiraz. © Ulrike Keding

Nouruz: In der Neujahrszeit feiern die Iraner ihre größten Familienfeste. Sie fallen der Corona-Krise zum Opfer.

Teheran - Ihre dunklen Augen blitzen. Frech kringeln sich ihre Zöpfe in geflochtenen Schnecken um die Ohren. Sie ist clever, gebildet und oppositionell: Sharzad*, 24-jährige Literaturstudentin der Universität Teheran, gehört zur Generation moderner Frauen im Iran, die der Regierung äußerst kritisch gegenüberstehen: „Ich halte es für Dummheit, dass das Regime nicht die Ausgangssperre über die Menschen verhängt“, sagt sie spöttisch: „Zu Nouruz sind Ferien. Alle Beamten und die meisten Menschen haben frei und müssen nicht arbeiten. Was ist passiert, weil keine Quarantäne verhängt worden ist? Viele Bürger sind trotzdem gereist, die Dummköpfe! Staatspräsident Rohani hätte die Städte wenigstens während der Ferien unter Quarantäne stellen sollen.“ 

Teheran, Rasht am Kaspischen Meer und die religiöse Hochburg Ghom sind am meisten von Corona betroffen. Viele Geistliche haben gegen die Empfehlung, die Muslime unter Quarantäne zu stellen, Protest eingelegt. Es sei Gotteslästerung, die Pilgerstätten zu schließen. „Ich persönlich verstehe die Politik des Irans nicht“, regt sich Sharzad auf: „Immer spielt die Religion in die Entscheidungen der Politiker hinein. Ein Bürgermeister wollte nicht die Stilllegung von Betrieben und Restaurants durchsetzen, weil es ihm einen schlechten Ruf einbrächte.“

Coronakrise: Von staatlichen Milliardenhilfen können die Iraner nur träumen

Vor allem finanzielle Gründe machen es dem Regime schwer, die Ausgangssperre gesetzlich anzuordnen. Denn von staatlichen Milliardenhilfen können die Iraner nur träumen. Während der Bund seinen deutschen Bürgern eine Wirtschaftsspritze von 484 Milliarden Euro zugesprochen hat, bewirbt sich Iran beim Internationalen Währungsfond (IWF) um einen Kredit von gerade mal fünf Milliarden Euro. Das Schließen von Geschäften beruht im Iran auf Empfehlung – und nicht auf Pflicht. Dabei ist Iran mit 47.593 Infizierten und 3036 Toten (Stand 01.04.2020) eines der am schwersten betroffene Land der Welt. Die Menschen aber müssen arbeiten, um nicht zu verhungern. Auf staatliche Hilfe können sie nicht zählen. 

Ulrike Keding ist Autorin des gerade erschienenen Buches „Die heimliche Freiheit. Eine Reise zu Irans starken Frauen“, Herder-Verlag.
Ulrike Keding ist Autorin des gerade erschienenen Buches „Die heimliche Freiheit. Eine Reise zu Irans starken Frauen“, Herder-Verlag.

„Wenn ich nicht arbeite, wer ernährt dann meine Familie?“, ruft Abdulrahman* aus Sanandaj, der Hauptstadt von Kurdistan, besorgt aus. Wohlgemerkt: Der 28-jährige iranische Kurde verdient sein Geld nicht etwa für Ehefrau und eigene Kinder. Nein, er muss seine Eltern und Geschwister durchbringen. Sein arbeitsloser Vater: ein Opfer der Sanktionen. Der Bauarbeiter von Staudämmen bekommt seit zwölf Monaten kein Gehalt mehr. Abdulrahmans Mutter hat ihre Bäckerei bei Ausbruch der Coronakrise zugemacht. Dass Abdulrahman das Geld dazu fehlt, eine eigene Familie zu gründen, ist ein Riesenproblem für ihn. Aber der Zusammenhalt des Clans ist im Iran das Nonplusultra und ersetzt zu großen Teilen die kaum vorhandene staatliche Wohlfahrt. 

Das größte Familienfest der Iraner fällt in der Coronakrise für die meisten aus

Nouruz, das größte Familienfest der Iraner, fällt für Abdulrahman in der Coronakrise aus, wie für die meisten seiner Landsleute. Der studierte Psychologe arbeitet nun Doppelschicht in einer Eisenwarenfabrik: 16 Stunden lang. Tags gehört er zum geistigen Thinktank der Firma. Abends wechselt er als Fließbandarbeiter in die Spätschicht um. Verdienst: 280 Euro pro Monat. 

Mit zwei in Hidschab verhüllten Kolleginnen und einem Kollegen in leger blau-weißem Karohemd arbeitet er im lichtdurchfluteten Gemeinschaftsbüro. Der Blick der jungen Akademiker fällt aus dem Fenster ins wild zerklüftete Hochgebirge Kurdistans hinaus. Von Homeoffice keine Spur. Sie arbeiten ökonomische Konzepte zum Export in den benachbarten Irak und China aus. Dringend notwendig, um den Handelsausfall mit dem Westen auszugleichen. 

Iran hat zwei Bürden zu überstehen: Covid-19 und den US-Wirtschaftskrieg

Iran ist nicht nur von Corona geplagt. Iran hat zwei Bürden zu überstehen: Covid-19 und den US-Wirtschaftskrieg. Wegen der Sanktionen wurden Schutzmasken und Desinfektionsmittel Mangelware. 25 Ärzte mussten mit ihrem Leben bezahlen: „Ich habe Angst, zu arbeiten“, sagt die Medizinerin Safoura* aus Bandar Abbas am Persischen Golf. 

Trotzdem hat Ayatollah Chameinei das spontane Hilfsangebot US-Präsidents Trumps in der Coronakrise misstrauisch zurückgewiesen. „Das hat mich sehr geärgert“, regt sich Sharzad auf: „Es wäre eine Chance gewesen, damit Iran und USA sich versöhnen. Aber unser geistliches Staatsoberhaupt hat für über 80 Millionen Iraner entschieden. Wir brauchen mehr Hilfe als andere Länder. Alle erkennen diese Wahrheit außer ihm“. 

Das Gesundheitsministerium lehnte auch ein Team von Ärzte ohne Grenzen (MSF) ab, das eine dringend nötige mobile Klinik aufbauen wollte. Damit handelte sich die Regierung Kritik von allen Seiten ein. „Das Absprühen von Straßen und die Desinfektion von Bäumen ist Geldverschwendung und bekämpft das Virus nicht“, sagt Safouras Ehemann, ein Kinderarzt. Die meisten Maßnahmen seien populistisch.

In Asien ist Iran die führende Medizinnation

Das Ehepaar möchte bald nach Köln emigrieren. Iranische Ärzte sind gesucht und gehören zu den besten der Welt. In Asien ist Iran die führende Medizinnation. „Wir haben keine Angst vor Corona. Wir wissen, dass die meisten Menschen leichte Krankheiten bekommen“, sagt der Arzt. Die Letalität sei prozentual weitaus geringer als bei einer Grippe, nur gäbe es keinen Impfstoff gegen das Coronavirus. Bis dieser entwickelt sei, verginge noch viel Zeit. „Das Schließen der kleinen Geschäfte und Betriebe hat mehr negative als positive Effekte. Die Zukunft wird es uns noch weisen. Das ist nicht nur der Fehler unserer Regierung, sondern vieler anderer Länder. Meiner Meinung nach sollten nur Orte, wo sich Menschen in engem Kontakt versammeln, geschlossen bleiben.“

*Die Namen der Protagonisten wurden zu ihrem Schutz geändert

Der grüne Europa-Abgeordnete Erik Marquardt spricht im Interview über die Situation der Menschen in den griechischen Flüchtlingslagern und Ideen, wie Deutschland helfen könnte.

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