Post-Brexit: Britische Regierung beschwört die Vergangenheit

Statt der metrischen Maßeinheiten soll in Großbritannien bald alles wieder in Pfund und Unzen gemessen werden. Auch in Pubs erlebt ein altes Symbol seine Renaissance.
London - Für die Brexit-Befürworter in der britischen Regierung ist der EU-Ausstieg Großbritanniens eine „einmalige Gelegenheit“, die Gesetze des Landes auf die Probe zu stellen und einige ungeliebte Regularien aus der Zeit als EU-Mitglied hinter sich zu lassen. So heißt es in einem Schriftstück, das die Regierung unter Premierminister Boris Johnson am Donnerstag (17.09.2021) veröffentlicht hat. Im Zuge dessen wurde auch direkt eine Liste mit möglichen Änderungen veröffentlicht, die man schnellstmöglich anpacken wollte.
Eine der größten Anpassungen auf Basis dieser „Gelegenheit“ ist, dass in Großbritannien bald wieder ausschließlich die imperialen Maßeinheiten Pfund und Unze statt des metrischen Systems verwenden dürfen, während bislang eine zusätzliche Auszeichnung in Gramm und Kilo Pflicht gewesen ist. Brexit-Befürworter sehen darin einen Befreiungsschlag. Seit Jahrzehnten wird die Einführung der metrischen Maßeinheiten auf der Insel als „metrisches Martyrium“ bezeichnet.
„Crown Stamp“ und imperiales System: Nach dem Brexit zurück zu alten Traditionen
Ebenfalls zurückkommen dürfen soll nach dem Brexit der so genannte „Crown Stamp“, der bis 2007 die korrekte Eichung von - zum Beispiel - Biergläsern in Großbritannien markierte und dann zum Entsetzen Vieler mit einer EU-einheitlichen Alternative ersetzt worden war. Grund für die Wiedereinführung: Der „Crown Stamp“ sei ein wichtiges Symbol von „Britishness“.
Die ganze Liste aus 23 Gesetzesänderungen, die auf der Regierungsseite veröffentlicht wurde, bezeichnete Handelsexperte Sam Lowe vom Centre for European Reform gegenüber der Financial Times als „Mischung von Dingen, die überhaupt keine Bedeutung haben, Dingen, die womöglich eine Bedeutung haben, und Dingen, die tatsächlich eine Bedeutung haben“. Er plädiert dafür, dass die Regierung sich für Änderungen entscheiden solle, weil diese „materielle wirtschaftliche Vorteile“ brächten und nicht nur, um von der EU-Norm abzuweichen.
Kritik an Großbritanniens Rückkehr zu alten Maßeinheiten nach dem Brexit
Neben dem Jubel von Brexit-Befürwortern brachte die Ankündigung aus London auch viel Kritik. Eine Parlamentsabgeordnete aus Birmingham, Jess Phillips, kommentierte die Ankündigung auf dem Kurznachrichtendienst Twitter mit der Anmerkung, dass sie in ihrer Amtszeit nie auf eine Wiedereinführung der alten Maße angesprochen worden sei. Die Menschen, mit denen sie spräche, erzählten ihr stattdessen, dass sich ihre Heizungsrechnungen nicht leisten könnten, für behinderte Kinder keinen Schulplatz fänden und bei einem Notruf an die Polizei niemand aufgetaucht wäre. Diesen Gegensatz kommentiert sie zynisch: „Aber ich bin sicher, dass das ein viertel Pfund Süßigkeiten lösen wird“.
Ross Colquhoun von der Scottish National Party (SNP) twitterte ebenfalls Kritik: „Da gibt es diese Gruppe britischer Nationalisten, die streng genommen einfach nur ein Haufen älterer weißer Herren sind, die sich wünschten, wir würden immer noch in den 1970ern leben.”
Nach dem Brexit: Großbritannien kündigt Gesetzesänderungen an
Eine der kleineren Neuerungen, die in dem Papier für Großbritannien vorgeschlagen werden, richtet sich auch an an Diabetes erkrankte Lkw-Fahrer:innen, die künftig nicht umständlich ihren Zucker messen müssen, sondern ein Langzeitsystem nutzen dürften, wie Autofahrer:innen auch. Ob die Regierung aus dieser Änderung eine Lösung für die durch einen Mangel an Berufskraftfahrer:innen nach dem Brexit ausgelöste aktuelle Warenknappheit in britischen Supermärkten sieht, geht aus der Erklärung nicht hervor. (Sandra Kathe)