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Günstig und umweltschonend: Auch andere belgische Gemeinden interessieren sich für diese Form der Müllabfuhr. © Sven Braun/dpa

An sechs Tagen der Woche rollen Pferdekutschen durch das Brüsseler Viertel Schaerbeek. Platznehmen darf darin aber niemand: Die Zweispänner transportieren den Müll des Stadtteils ab.

Während der Fahrt auf dem Wagen muss Ludivine Simon das ältere Pferd Taram immer wieder antreiben, damit es genauso viel Gewicht wie sein Kollege Youri zieht. Ab und zu bleiben Jungen und Mädchen am Straßenrand stehen und schauen die Tiere mit großen Augen an.

Was nach einer Zirkusattraktion klingt, ist im Brüsseler Stadtteil Schaerbeek Normalität. Seit 2011 kommt die Müllabfuhr an sechs Tagen in der Woche nicht nur mit den herkömmlichen Lastwagen, sondern auch per Pferdegespann. Rund 200 öffentliche Mülleimer am Tag werden dann so geleert.

Die 42-jährige Simon leitet das Team aus insgesamt sechs Menschen, die mit den Tieren arbeiten. Die Bewohnerinnen und Bewohner in Schaerbeek im Norden der belgischen Hauptstadt reagieren ihr zufolge meist positiv, wenn sie mit dem Wagen durch die Straßen fährt.

„Dass Pferde in der Müllabfuhr eingesetzt werden, hatte hauptsächlich finanzielle Gründe. Der Benzinpreis sei 2008 so hoch gewesen, dass man über Alternativen zu Müllwagen nachdachte, sagt der 60-jährige Manu Bouvy.

Bouvy ist Leiter des Reinigungsdienstes in Schaerbeek. Eher als Witz habe man damals auch über Pferde diskutiert, erzählt er. In Frankreich gab es zu dieser Zeit schon ähnliche Projekte. Bouvy sah sie sich an und kam zu dem Schluss: So etwas wäre auch bei ihnen möglich.

Ein Jahr hätten die Vorbereitungen gedauert, bis der Stadtteil dann zwei Pferde kaufte. Samt Ausrüstung seien sie nur halb so teuer in der Anschaffung gewesen wie ein Fahrzeug mit vergleichbarer Kapazität – etwa 30 000 Euro versus 60 000 Euro.

Tiere würden im Gegensatz zu Fahrzeugen außerdem keine Umweltverschmutzung verursachen. Ihr Kot könne sogar als Dünger weiterverwendet werden. Als die Pferde dann im Einsatz waren, hätten sich dann noch weitere Vorteile gezeigt.

„Wenn meine Kollegen mit den Pferden durch die Straßen fahren, kommen Leute, um ihnen zuzuschauen oder mit ihnen zu reden“, sagt Bouvy. Diese soziale Komponente ist gerade für das Viertel Schaerbeek wichtig. Der Stadtteil gilt neben dem südlich gelegenen Molenbeek als schwierige Gegend Brüssels.

Doch nicht nur Gespräche mit den Anwohnerinnen und Anwohnern helfen, sondern auch der Anblick der Tiere in der Stadt. Das ist Bouvy zufolge gerade für Kinder wichtig. Wenn man in der Stadt aufwachse, habe man keinen Kontakt zu Nutztieren wie Pferden und Kühen. Deshalb kommen die Tiere nicht nur in der Müllabfuhr, sondern auch in Schulen zum Einsatz.

Mit einem Wagen werden die Kinder etwa von der Schule zu einem Park und wieder zurück gefahren. Ähnliche Angebote gebe es auch für Seniorinnen und Senioren und Menschen mit einer geistigen Behinderung.

Bisher hat sich der Einsatz der Pferde in der Müllabfuhr mehr als gelohnt, meint Bouvy. Mit dem Wagen habe es keinen einzigen Unfall seit dem Start gegeben. Mit motorisierten Müllwagen gebe es so etwas hingegen wöchentlich. Dank der Tiere entstehe auch eine Verbindung zu der Bevölkerung Schaerbeeks, so der Leiter des Reinigungsdienstes.

Manche kämen und wollten die Pferde streicheln, sagt Bouvy. „Wenn wir mit einem Müllwagen rumfahren, ist das nicht der Fall“, scherzt er. Die Botschaft über die Vorteile der Pferdewagen macht mittlerweile in Belgien die Runde. Vertreterinnen und Vertreter der Gemeinde Leuze-en-Hainaut kamen vor zwei Jahren, um sich über das Projekt zu informieren, erzählt Bouvy.

Seit März dieses Jahres ist auch dort ein Wagen zu besonderen Anlässen im Einsatz. Der Umweltberater der Gemeinde, Mathieu Dupire, sieht darin einen weiteren Vorteil. Man zeige, dass öffentliche Aufgaben auch ohne Fahrzeuge erfüllt werden könnten. In Deutschland begann die Umstellung von Tieren auf Fahrzeuge in der Müllabfuhr etwa in den 1920er Jahren, so der Verband kommunaler Unternehmen.

Ob es hier Überlegungen zu einer Rückkehr der Pferde gibt, ist dem Verband nicht bekannt. Auch der Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft weiß nichts über solche Pläne von Abfallunternehmen. Fahrzeuge seien technologisch auf einem viel zu guten Niveau, um sie zu ersetzen. Die Laster haben etwa schon eine Müllpresse an Bord, so etwas wäre mit Pferden kaum zu bewegen.

Dass es nicht ganz leicht ist, Pferde heute in der Müllabfuhr einzusetzen, weiß auch Bouvy: „Die größte Schwierigkeit war sicherlich, Leute zu finden, die mit den Pferden arbeiten können.“ Mehrere Monate habe es gedauert, bis er dann endlich ein Team zusammen hatte. (Sven Braun, dpa)

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