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Besinnliches Ritual

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Von: Thomas Stillbauer

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Ein Grasfrosch hüpft auf dem Weg zu seinem Laichplatz über den Schnee.
Ein Grasfrosch hüpft auf dem Weg zu seinem Laichplatz über den Schnee. © Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Für junge und jung gebliebene Punkrocker: Reinfeiern in den Heiligen Abend mit Peter and the Test Tube Babies.

Dies ist ein sehr altes Ritual. Womöglich lassen sich daraus Rückschlüsse ziehen, die darin resultieren, dass man selbst alt ist. Also übertrieben alt. Aber so weit wollen wir heute nicht gehen. Weihnachten ist schließlich noch älter als dieses Ritual. Wenn auch nur ein wenig.

Das Ritual ist außerdem nicht sehr weihnachtlich. Und im Grunde alles andere als besinnlich. Um es kurz zu machen: Generationen junger (und ehemals junger) Leute gehen seit Menschengedenken am 23. Dezember in die Frankfurter Batschkapp zum Konzert der Punkband Peter and the Test Tube Babies (deutsch: Peter und die Retortenbabys).

Es handelt sich um eine britische Band, 1978 gegründet, die – warum auch immer – seither praktisch jedes Jahr am Vorabend unseres Weihnachtsfestes in Frankfurt gastiert. Vielleicht wollen Peter Bywaters (60) und seine Freunde unseren Heiligen Abend sabotieren. Möglich. Denn es soll vorgekommen sein, in der Zeit zwischen heute und 1978, dass manche Konzertbesucherinnen und Konzertbesucher am nächsten Tag etwas derangiert waren.

Es geht durchaus lautstark zu bei den Auftritten dieser Band, deren erster Hit „Elvis Is Dead“ hieß. Kommt vor, dass im Hintergrund ein Skandalfilm läuft und die Musiker in Raubtierfellen über die Bühne springen. Und es wird auf der Veranstaltung manchmal im gewissen Umfang Alkohol konsumiert.

Die bekannteste Platte von Peter and the Test Tube Babies heißt „The Mating Sounds Of South American Frogs“ (1983), also: „Die Paarungsgeräusche südamerikanischer Frösche“. Noch ältere, dem Punkrock eher unversöhnlich gegenüberstehende Menschen, behaupten: Der Albumtitel gebe ungefähr den Sound der Band wieder. Weitere Alben heißen etwa „The Shit Factory“ (1990, schwer zu übersetzen), „Schwein Lake“ (1996, hmm…) und „Cringe“ (1991, dreißig! Jahre, bevor es peinlichstes Jugendwort wurde).

Leider hat dieses Ritual unterwegs etwas Wichtiges verloren: den Ort des Geschehens, die Batschkapp. Also, die alte Batschkapp. Seit 2013 residiert der Club größer, höher, weiter am neuen Ort. 2015 wurde die verlassene Ruine am alten Ort abgerissen, kulturelle Heimat unzähliger Menschen mit abstehenden Haaren und zerrissenen Hosen. Holzquadrate, aus der alten Bühne gesägt, gingen als Sammlerstücke an die Nostalgikerinnen und Nostalgiker.

Und es entstand ein neues Ritual: Die ehemalige Batschkapp-Jugend traf sich fortan nach der Bescherung, im späteren Verlauf des Heiligen Abends, am vertrauten Ort. Da, wo früher all die tollen Bands aufgetreten waren, noch bevor sie zu groß für den Schuppen im ehemaligen Stadtteilkino wurden. Da, wo jetzt Wohnungen und ein Supermarkt sind und der vierspurige Ausbau der Bahngleise voranschreitet.

Peter and the Test Tube Babies aber spielen am neuen Ort, in der neuen Halle. Vielleicht ja auch in diesem Jahr, am 23. Dezember, wenn ihnen Corona keinen Strich durch die Rechnung macht – wovon wir hier und heute wohl ausgehen müssen. Aber: Virus hin, Virus her. Es könnten sowieso nicht alle einst Dabeigewesenen garantieren, dem Ritual von einst beizuwohnen. Es gibt eben Rituale, die sind ganz eng verbunden mit einer ganz bestimmten Umgebung. Da können selbst ehemalige Punkrocker ganz besinnlich werden.

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