Seine ursprünglichen Entwürfe verwarf der Designer, als sich die Situation in der Ukraine immer mehr zuspitzte. Jetzt geht es nur darum, sich geschützt, gewärmt zu fühlen. Kleidung muss komfortabel sein, ist mehr Funktionsbekleidung denn Mode: weite Oberteile und Hosen, lockere, grob geschnittene Kleider in Grau, Schwarz und Weiß, alles aus Jersey, bedruckt mit Schlagwörtern auf Ukrainisch und Englisch (Love, Liberty, Voice, Light, Peace ...), die Rüstung gegen die unerträgliche Situation sein wollen. Beeindruckend vor allem ein Look: ein Model in einfachem, geknotetem Top und engem, geschlitztem Rock in Midi-Länge, von Kopf über Arme und Oberkörper mit braun-roter Farbe bemalt, die zum Rocksaum austropft ... Eine packende Schau, die lange in Erinnerung bleiben wird. Jean Gritsfeldt at MBFW Berlin.
Die finnische Modedesignerin und Gewinnerin des Nachhaltigkeitspreises 2021 des prestigereichen Modefestivals von Hyère eröffnete mit ihrer Schau die Mercedes Benz Fashion Week. Sie präsentierte sowohl handwerklich als auch gestalterisch außergewöhnliche Kleider. Ihre Technik: aus einzelnen Modulen immer wieder neue Silhouetten entstehen zu lassen. Die sogenannten Squares werden mittels Knöpfen und Schlingen verschieden zusammengesetzt.
So entstanden unterschiedlichste Kleider: mit voluminösen Ärmeln und ärmellos, weit körperumspielend und körperbetont, mit verschiedenen Ausschnitten und hochgeschlossen, blickdicht und transparent ... immer knöchellang und monochrom, dafür in teils schön knalligen Farben. Ein gelungener Auftakt der Modewoche und eine Kollektion, die neugierig macht, was aus dem Baukastensystem von Sofia Ilmonen noch alles entstehen kann!
Am Anfang stand die vom Designer selbst erdachte Geschichte von „Claudette und Rico – eine Liebe zwischen Mond und Asphalt“. Daraus entwickelte sich eine Kollektion, die nicht nur vor Augen geführt, sondern auch zu Gehör gebracht wurde.
Auf dem Laufsteg entfaltete sich eine Bandbreite von frei interpretierten Boxoutfits (Rico) und Prinzessinnenkleidern (Claudette), die aus dem jeweiligen Schema fallen – wie die Protagonist:innen der Geschichte selber: Kleider, an denen die seitlichen Teile des Rockes fehlen. Mäntel und Jackets, die von vorne nach hinten gekehrt wurden. Ungewohnt tiefe Ausschnitte bei Anzügen und Overalls für Männer. Handtaschen und Rücksäcke im Pizzaschachteldesign, da die Prinzessin eine Vorliebe für Fast Food hat. Lange, weite Mäntel in Kuttenform mit Kaputze, in Anlehnung an die Boxermäntel. So nahmen die Eigenheiten der erfundenen Figuren auf dem Laufsteg Gestalt an.
Dieses Mal lud der Designer sozusagen „nach Hause“ ein. Seine gleichnamige Show „Host“ fand im Museum Hamburger Bahnhof statt. Die dortigen Rieckhallen wurden zu Entree, Wohn- und vor allem Esszimmer umgestaltet, um Gäste willkommen zu heißen. Eine lange Tafel wurde mit wunderbar unterschiedlichen Stühlen bestückt und mit Geschirr, Blumen und Kerzen eingedeckt.
Gewohnt souverän auch die Kollektion, die dann serviert wurde: das typische Layering mit immer wieder abgewandelten Formen von Workwear. Moderne Interpretationen der Abendgarderobe mit kurzen Spencerjäckchen und bauchfreien Oberteilen. Das Thema Interieur wurde durch Brokatstoffe und Details wie Fransen und Perlen an der Kleidung aufgenommen. Die Unisexkollektion überzeugt durch ein gelungenes Zusammenspiel zwischen bekannten Elementen und neuen Teilen sowie der Kombination von unterschiedlichen Texturen und Materialien.
Das Designerduo, bestehend aus Jale Richert und Michele Beil, ist bekannt für eine inklusive Herangehensweise an Mode – nicht nur bei Schnitt und Passform ihrer Modelle, sondern auch im Hinblick auf die Auswahl ihrer Models. Stereotype Schönheitsideale und Sehgewohnheiten werden aufgebrochen, indem die Unterschiede der Geschlechterrollen auf den Prüfstand gestellt und dekonstruiert werden.
Mit außergewöhnlichen Präsentationen ihrer Kollektionen überraschen sie immer wieder. So auch am vergangenen Freitag: Das Label hat sein Publikum im Rahmen des Projektes Studio
2Retail innerhalb der Fashion Week mit hinter die Kulissen genommen und ihre Mode digital präsentiert. Über sechs Stunden konnte man dem Team um Richert Beil bei den Vorbereitungen zu einer Modenschau über die Schulter blicken und einen Einblick gewinnen, wie aufwendig solche Produktionen sind. Das Ergebnis: acht Schlüssel-Looks.
Sie ist auf eine charmante Art altmodisch. Sie kennt ihre Kundschaft, hält den Kontakt und adressiert das Publikum gerne persönlich vor und nach einer Schau. Auch die Mode der Mainzerin ist nicht überambitioniert, soll gut passen (in allen Größen!), bequem sein und gefallen. Alles in allem nichts Schlechtes per se. Diese Herangehensweise hat auf jeden Fall ihre Berechtigung, ist aber nicht unbedingt etwas für Fashionistas.
Mit der Kollektion AW 22, wie schon die vergangenen Jahre präsentiert im Foyer des Hotels Adlon, hat sie dennoch überrascht. Außergewöhnliche, ausladende Ärmel; weite, coole Hosen; knappe Harnische über Brust und Schulter. Klassische Muster (Nadelstreifen, Karo ...) in modernen Silhouetten und Schnitten, Layering. Sie bleibt ihrer Maxime von Tragbarkeit und Komfort treu, aber auf zeitgemäße Art und Weise. Gerne mehr davon!