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Anspruchsvolles Erbe

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Fast alles Original: der Blaue Saal. © Katrin Groth

Nicht nur in Berlin und Dessau, auch in kleinen Orten in der Provinz gibt es bedeutende Zeugnisse der Bauhaus-Schule, die in diesem Jahr 100-jähriges Bestehen feiert. Wie das Haus des Volkes in Probstzella, das 1927 eröffnet und um die Jahrtausendwende beinahe abgerissen wurde. Von Katrin Groth

Die Lampen wurden in der Metallwerkstatt des Bauhauses gefertigt, die Stoffe kamen aus der Bauhausweberei, der Architekt: ein späterer Bauhaus-Meister. Außerdem gibt es schon zur Eröffnung 1927 fließend Warmwasser, geheizt wird per Fernwärme und jedes Hotelzimmer hat ein Bad mit Badewanne. Das Haus des Volkes, das hoch über Probstzella thront, ist damals seiner Zeit voraus.

Und heute? Sind die Ideen von einst wieder sichtbar. Verändert wurde wenig, so trennt statt eines Vorhangs heute eine Wand das Bad vom Hotelzimmer. So original wolle dann doch niemand mehr wohnen, meint Antje Nagel, die Hotelchefin. Trotzdem ist Bauhaus an jeder Ecke sichtbar: „Wir haben hier keinen normalen Drei-Sterne-Standard. Geht auch gar nicht, weil es ein lebendiges Museum ist.“

Antje Nagel, kurze dunkle Haare, helles Kostüm, kam durch Zufall an den Hotelier-Job in Probstzella. Treibende Kraft war ihr Mann Dieter. Der 64-Jährige stammt aus der kleinen südthüringischen Gemeinde, wollte das Haus des Volkes, wie der Koloss von einem Gebäude heißt, Anfang der 2000er vor dem restlosen Verfall retten. Wegen Franz Itting, dem Erbauer. Und wegen des Bauhaus-Stils.

Das Haus des Volkes oder Bauhaus-Hotel, wie es heute vermarktet wird, ist das größte Bauhaus-Ensemble Thüringens. Es gilt als wichtiges Zeugnis der Bauhaus-Schule, gehört es doch zu den wenigen realisierten Beispielen für komplette Innenausbauten der Bauhauswerkstätten. Und das mitten in der Provinz.

2003 ersteigerten Antje Nagel und ihr Mann, zusammen mit einem Freund, für 28 000 Euro das Haus bei einer Zwangsversteigerung. Oder wie es die Zeitzerin ausdrückt: „Da hat sich mein Mann dieses Kleinod ans Bein gebunden.“ Zunächst galt es, die Substanz zu sichern: Das Haus trockenlegen, die Abflüsse frei machen, Dach abdichten, Dachrinnen reparieren, zählt Nagel auf.

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Der Erbauer: Franz Itting.

Seit knapp 15 Jahren wird saniert, fortlaufend, wie es heißt. „Wenn man hinten fertig ist, fängt man vorne wieder an“, sagt Nagel über das geschätzt 5000 Quadratmeter große Haus. Dabei kommt das Ehepaar beruflich aus einer ganz anderen Ecke, betreibt einen medizinischen Fachhandel. Hoteliers sind die Nagels – der vormals beteiligte Geschäftspartner stieg 2016 aus – noch obendrein.

2005 konnte das Ehepaar das Restaurant im rekonstruierten Blauen Saal, drei Jahre später auch das Hotel wiedereröffnen. Das Geschäft sei schwierig, sagt Antje Nagel. Die Region nahe der bayrischen Grenze ist dünn besiedelt, zu DDR-Zeiten war Probstzella Grenzbahnhof, das Hotel lag im Sperrgebiet. Die touristische Infrastruktur sei schlecht, immer mehr Gasthäuser müssten schließen.

Auch das Bauhaus-Hotel kämpft. Fast ein bisschen überdimensioniert wirkt der Blaue Saal an diesem Abend, an dem gerade einmal eine Handvoll Gäste verköstigt werden. Es sind vor allem Wanderer und Radfahrerinnen entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze, die sich in der Schiefergebirgsregion im Thüringer Wald umsehen. Im alten Café-Pavillon – heute Außenstelle des Standesamtes – heiraten ab und an Bauhaus-Fans. „Einmal hat jemand ein Zimmer gebucht, mein Mann hatte den Gast angenommen“, erinnert sich Nagel. „Der hat gesagt: ‚Hier bleibe ich keine Nacht, das ist ein Geisterhaus!‘ und ist wieder abgereist. Dabei war er nicht einmal allein im Haus.“ Sie schmunzelt.

Ganz anders 1927. Im Haus des Volkes, das nach zwei Jahren Bauzeit am 1. Mai eröffnet worden war, summt es wie in einem Bienenstock. Jeden Tag gibt es Veranstaltungen: Theater, Oper, Konzerte und Kino. Mit Sonderzügen kommen die Menschen aus Leipzig und Erfurt, wenn das Weimarer Nationaltheater oder Ensembles aus Berlin im Roten Saal spielen – allein hier haben 1000 Menschen Platz.

Hotel, Gaststätte, Kulturzentrum, Wellnessoase – das Haus des Volkes ist alles in einem. Mit einer 2000 Bücher umfassenden Bibliothek, einem Café mit dem Namen „D-Zug“, Kegelbahn und Tanzsaal, Vereinszimmern und Turnhalle – die auch die örtliche Schule nutzte –, Parkanlage, Heilbad und Sauna. Medizinische Anwendungen wie Massagen und Röntgenbestrahlung gibt es genauso wie einen Biergarten mit Wurstgrill und Ausschank. Selbst ein Schießstand gehört zur Anlage, außerdem eine Gärtnerei und ein Bauernhof, die Obst, Gemüse und Fleisch liefern. Geheizt wird, ganz modern, mit der Abwärme des nahen Elektrizitätswerks.

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Gelb und grau im Treppenhaus © Katrin Groth

Vom Kaffeepavillon aus, dessen Messingrahmenfenster an alte Eisenbahnwaggons erinnern sollen und dessen Pergola nach Zeichnungen von Architekt Alfred Arndt nachgebaut wurde, schweift der Blick über Probstzella. Ende der 20er Jahre hat der Ort, dessen Häuser sich an die Hänge des Loquitztales drücken, nur knapp 2000 Einwohner, aber dank Halt an der Schnellzugstrecke Berlin–Nürnberg herrscht Hochbetrieb im Haus des Volkes. Die Idee dazu hatte ein Mann mit markantem Schnauzer: Franz Itting, Vater von sieben Kindern und Industriepionier.

Der gebürtige Saalfelder und gelernte Maschinenbauer gründete 1908, mit 33 Jahren, in Probstzella das erste Elektrizitätswerk. In sieben Jahren wurden 13 Gemeinden, bis 1950 gar 100 Orte ans Stromnetz angeschlossen. Zu Fuß hatte sich Itting anfangs auf den Weg gemacht, die Menschen von der Stromversorgung zu überzeugen. Elektrizität solle die Welt umspannen, so seine Vision. Eine Lebensaufgabe.

Doch Itting, durch und durch Sozialdemokrat, ist nicht nur am Wachstum seines Betriebes interessiert, sondern fühlt sich den Menschen verpflichtet. Er lässt Werkswohnungen bauen, schließt für jeden Arbeiter nach zehn Jahren Betriebszugehörigkeit eine Lebensversicherung ab. Und auch ein Volkshaus für die Freizeitgestaltung will er errichten. „Freu dich, lebe, aufwärts strebe“, so sein Leitspruch.

Umsetzen soll seine Pläne zunächst der Saalfelder Architekt Hermann Klapprodt, der ein von Historismus und Jugendstil geprägtes Gebäude mit Walmdach und Schmuckfassade entwirft. Ittings Sohn Gotthard aber, zu der Zeit Bauhaus-Schüler in Weimar, holt seinen Kommilitonen und späteren Bauhaus-Meister Alfred Arndt dazu. Beide überzeugen Itting von einer moderneren Architektur. Und so erhält schließlich der 28-jährige Arndt den Bauauftrag, der dafür sogar sein Studium unterbricht.

Die Architektur des sechsgeschossigen Gebäudes – eine Stahlbetonskelettkonstruktion, für die 6000 Kubikmeter Stein aus dem Felshang gesprengt wurden – Möbel in kubischen Formen und vor allem die Farben sprechen noch heute Arndts Sprache. Der hatte sich im Bereich der Wandgestaltung, unter anderem im Haus am Horn, Haus Auerbach und den Meisterhäusern in Dessau, schon früh einen Namen gemacht, ist eine Zeit lang Leiter der Werkstatt für Wandmalerei in Dessau.

Arndt lässt seine Ideen direkt in den Bau des Volkshauses einfließen, das 1929/30 als Ausweis der Bauhausleistungen sogar bei den Bauhaus-Ausstellungen in Basel, Zürich, Dessau, Essen, Breslau und Mannheim gezeigt wird. „Während der Restauration wurden die originalen Farben freigelegt, auch das Blau im Blauen Saal“, erzählt Antje Nagel, während im Hintergrund Schnitzel geklopft wird. Damals wie heute ist der Blaue Saal Restaurant, nur die Küche wurde zu DDR-Zeiten mittels Anbau vom Keller in den vierten Stock verlegt.

Nach goldenen ersten Jahren – das Haus des Volkes ist offen für jedermann, nur Nazis und Kommunisten schließt Hausherr Itting explizit aus – bricht der Betrieb unter der Nazi-Diktatur ein. Der 58-Jährige wird denunziert, kommt 1933 in sogenannte Schutzhaft, muss 36 sein Haus in „Hotel Itting“ umbenennen. Ein Jahr später: erneute Festnahme, Itting kommt als Häftling Nummer 924 ins KZ Buchenwald. Im Haus des Volkes flimmert derweil Nazi-Propaganda über die Kinoleinwand.

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Rot und gelb: das Treppenhaus © Dieter Nagel

Nach dem Krieg will Itting neu anfangen, schnell gibt es im Haus des Volkes wieder Kino und Varieté. Doch seine Zukunftspläne werden zerschlagen. In der DDR gilt Itting als Kapitalist und Nazi-Helfer, 1948 wird er inhaftiert, nach seiner Freilassung enteignet. Kulturhaus, E-Werk und Werkswohnungen werden Volkseigentum. Itting, inzwischen 74-jährig, flieht 1950 mit seiner Familie ins bayrische Ludwigstadt – keine fünf Kilometer von Probstzella entfernt. Wo er das Elektrizitätswerk als Itting-Werk abermals aufbaut.

Im Haus des Volkes richtet sich unterdessen die DDR ein: verlegt den Haupteingang von der Straße in den Hof, verkleidet den Roten Saal mit einer Holzdecke und macht das „Haus der Einheit“, wie es ab 1961 heißt, zum Sitz von SED-Parteibüro, Volkspolizei und Zoll. Das E-Werk wird heruntergewirtschaftet, der Bauernhof verfällt, ab 1989 steht auch das Haus des Volkes leer, bis es Ende der 90er durchs Dach regnet. Sogar ein Abriss wird diskutiert. Ittings Tochter Sonja hatte vergeblich um dessen Rückgabe gekämpft.

Heute kümmern sich Antje Nagel und ihr Mann ums Bauhaus-Erbe: „Wir haben versucht so viel wie möglich zu erhalten: Die Rezeption ist die gleiche wie damals, die Sauna gibt es noch, die Kastenlampen im Blauen Saal sind dem Original nachgebaut“, zählt sie auf. Alte Fotos und Handskizzen Alfred Arndts halfen bei der Rekonstruktion, Funde wie die freigelegten Originalfarben im Treppenhaus bei der Wiederherstellung des einstigen Zustands. Nur für die Restaurierung der Außenanlagen – zum Ensemble gehören auch die von Arndt entworfene Parkanlage mit Brunnen, eine Konzertmuschel und ein Ausschankhäuschen – fehlt bislang das Geld.

Die größte Herausforderung aber seien nicht die Bauarbeiten, sagt Nagel, sondern das riesige Objekt wirtschaftlich zu betreiben. Ob sie es noch einmal machen würde? Das rote Gebäude, das Probstzella dominiert, kaufen, sanieren, wieder als Hotel betreiben? Antje Nagel überlegt. „Das kann ich nicht beantworten“, sagt sie schließlich. Manche Dinge mache man einfach und lerne sie dadurch lieben. An den Gründer und einstigen Hausherrn Franz Itting, der 1967 starb und 1993 rehabilitiert wurde, erinnern die Nagels mit einer Ausstellung. Und einem Cocktail mit dem Namen: der Rote Itting.

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