Weltall X – der Begriff passt schlecht zur bukolischen, immergrünen Gegend zwanzig Kilometer östlich der berühmten Sehenswürdigkeit Mont Saint-Michel. Die Wiesen riechen feucht, und die Stille des „bocage“, der normannischen Heckenlandschaft, wird nur gestört vom Muhen der Kühe und dem Geplätscher unkanalisierter Bäche. Dazwischen die alten Holzhäuser mit den eingesunkenen Dächern, die aussehen wie aus dem Märchenbuch – aber eben auch an jenes gallische Dorf erinnern, in dem einst die Comic-Helden Asterix und Obelix gelebt haben sollen.
In Saint-Senier-de-Beuvron haben die 356 Einwohner jedenfalls gerade das Gefühl, dass ihnen das Weltall auf den Kopf fällt. Ausgerechnet in ihrem Nest lässt Elon Musk über eine französische Firma Brachland aufkaufen, um eine Relaisstation für sein kosmisches Telekom-System zu bauen.
Die Himmelskonstellation namens „Starlink“ besteht aus insgesamt 12 000 flachen Satelliten, die den Planeten umspannen und durch Laserstrahlen miteinander verlinkt sind. Was nach Science-Fiction klingt, hat einen irdischen Zweck: Starlink soll Breitbandinternet bis in abgelegenste Gegenden liefern und damit terrestrische Standleitungen überflüssig machen. Rund 900 Kleinsatelliten sind von Musks SpaceX-Raketen bereits im niedrigen Orbit von rund 400 Kilometer Höhe ausgesetzt worden; in den USA und Großbritannien laufen erste Betatests.
Derzeit fasst Starlink auch auf dem europäischen Kontinent Fuß. In drei französischen Landgegenden sowie in Griechenland sollen Relaisstationen entstehen, um die Signale der Satelliten einzufangen und zu den flachen Empfangsantennen der Endverbraucher weiterzuleiten. Die Datenrate von durchschnittlich 100 Megabit pro Sekunde bei einer Latenz von 20 Millisekunden soll vergleichbar sein mit herkömmlichen DSL-Leitungen. Wohlgemerkt: ohne jedes Kabel.
Jean-Marc Belloir ist allerdings nur mäßig beeindruckt. Er denkt an seine 80 Kühe. Von verschiedenen Seiten hat er gehört, dass sie wegen der elektromagnetischen Strahlen weniger Milch produzieren könnten. Sicher ist nichts. „Ich habe nie etwas von Starlink gehört, nie eine Studie erhalten. Nichts. Ich weiß nur“, sagt der Landwirt und zeigt nach Südwesten, „dass in 700 Meter Entfernung ein massives Magnetfeld entsteht“.
Noch näher lebt Anne-Laure Falguières (40) mit ihrem Mann, zwei Kindern, zwei Eseln und einem Dutzend Hühner. Die Distanz ihres Gutes zur geplanten Relaisstation betrage nur rund 60 Meter, schätzt die Reiseleiterin, die Wandertouren durch die Bucht des Mont Saint-Michel organisiert. Das Ganze komme ihr eher wie eine Mondstation vor, sagt sie: Neun weiße, drei Meter hohe Kugeln sollten sich je nach Satellitenstand über eine 400 Quadratmeter große Asphaltfläche bewegen.
Das hat Falguières jedenfalls im Internet recherchiert. „Ende letzten Jahres kam an einem Sonntag unser Bürgermeister vorbei, um uns über ein etwas spezielles Baugesuch namens Starlink zu informieren“, erzählt die resolute Frau. „Sehr viel wusste er allerdings auch nicht.“
Der Gemeinderat, der keinen medialen Staub aufwirbeln will und keine Journalisten empfängt, verweigerte die Baubewilligung nach Absprache mit der Einwohnerschaft. Starlink ist hier unerwünscht. Elon Musk wird den Entscheid zweifellos auf höherer Instanz anfechten. Wegen ein paar widerspenstigen Galliern verzichtet der aktuell wieder reichste Mann der Welt nicht auf sein erdumspannendes Breitbandnetz, das bereits Form annimmt.
Wobei sich Anne-Laure Falguières eigentlich gar nicht als widerspenstig empfindet. „Wir haben nichts gegen den Fortschritt, wir arbeiten selber mit Internet. Dank dem Glasfaserkabel in der Straße oben haben wir sogar eine Schnellverbindung“, meint die Produzentin von Honig, Apfelsaft, Eiern und Gemüse. „Wer weiß, vielleicht ist das sogar der Grund, dass die Relaisstation hier geplant ist.“
Die gebürtige Normannin betont zudem, sie habe nichts gegen Elon Musk. „Wir achten seine technologischen Erfolge, seine Elektroautos und wiederverwertbaren Trägerraketen.“ Starlink sei aber eine Ausnahme, meint Anne-Laure: Dieses Netz sei total überdimensioniert – „und es macht ökologisch keinen Sinn“. Schon heute zögen die Starlink-Satelliten einen mit bloßem Auge sichtbaren Lichtschweif über das nächtliche Firmament. „Ich habe meinen Kindern erklärt, dass das keine Sternschnuppen sind, sondern von Menschenhand gebaute Himmelskörper“, erzählt die Reiseleiterin. Falguières zweifelt auch am kommerziellen Sinn des Vorhabens und fragt sich, wie viele Kunden Starlink wohl gewinnen könne – bei Einstandskosten von 499 Dollar und einem Monatsabonnement für 99 Dollar.
Bei Starlink ist niemand für Auskünfte erreichbar. In den sozialen Netzen wird spekuliert, ob das Unternehmen seine Antennen von Westfrankreich aus möglichst diskret über den Kontinent spannen will. Auf seinem Webportal geht Starlink nur auf ein paar Gegenargumente ein; unter anderem will es die Leuchtintensität der Satelliten senken, um die Astronomie nicht zu behindern. Zur Konzentration der elektromagnetischen Strahlung äußert sich das Portal nicht. In Frankreich hat die nationale Telekom-Agentur Arcep Musks Unternehmung trotzdem bereits das Plazet erteilt.
Im Beuvron-Tal schimpft der grüne Regionalpolitiker François Dufour, dass wieder einmal Tatsachen geschaffen würden, bevor die gesundheitlichen Folgen klar seien. „Wir wollen wissen, ob die neue Technologie Auswirkungen auf Mensch und Tier hat. Aber je mehr Fragen man stellt, desto weniger Antworten kriegt man.“
Dufour geht es mit seiner Kritik nicht nur um Starlink. In Frankreich steige die Zahl der Krebskranken seit fünf Jahren kontinuierlich an, sagt der pensionierte Landwirt, der in der Nähe von Saint-Senier tätig war. „Aber wir machen in der Pandemie weiter, als wäre nichts, während die Normandie mit mobilen Antennen roboterisiert wird. Über zehntausend Satelliten allein für das Projekt von Elon Musk – stellen Sie sich das vor!“, ereifert sich Dufour am Telefon, um den „Verlust der planetaren Immunität“ zu geißeln. Dass weitere Satellitennetze wie Amazon, OneWeb oder Telesat an den Start gehen, sagt Dufour gar nicht.
Doch kann das Örtchen Saint-Senier-de-Beuvron den Lauf der Dinge aufhalten? „Die Satellitenbetreiber werden Wege und Umwege suchen, um sich darüber hinwegzusetzen“, sagt Dufour voraus. „Immerhin, ein Sandkorn im Getriebe dieses verrückten Megaprojektes ist dieses Dorf allemal.“