Die Angst vor der Seuche

Hiesige Schweinehalter fürchten Einbußen durch die Afrikanische Schweinepest. Mehr Wildschweinabschüsse werden gefordert. Doch Kritiker sagen, es werde die falsche Sau durchs Dorf getrieben.
Von dpa
Obelix, dem Gallier, würde es wohl gefallen im Deutschland heutiger Zeit: Die Bundesrepublik gehört zu den Ländern mit der höchsten Wildschweindichte weltweit. Die Landwirte, deren Mais- und Rapsfelder den Tieren eine üppige Futterküche sind, hadern seit Jahren mit den hohen Bestandszahlen. Nun rückt auch noch die Afrikanische Schweinepest (ASP) gefährlich nahe – und die Rufe nach höheren Abschusszahlen und weniger Jagdeinschränkungen werden lauter.
Je weniger Wildschweine es gebe, desto kleiner sei das Risiko einer Virusausbreitung hierzulande, so das Argument. Klar ist aber auch, dass es höchstwahrscheinlich kein Schwarzkittel sein wird, der den Erreger über die Grenze trägt. „Die höchste Wahrscheinlichkeit für eine Einschleppung besteht durch menschliche Aktivitäten“, sagt Thomas Mettenleiter, Präsident des Friedrich-Loeffler-Instituts (FLI), dem Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit.
Ein einzelnes achtlos weggeworfenes Wurstbrot kann der Ursprung eines Ausbruchs sein, wenn es mit dem Virus verseucht ist und von einem Wildschwein gefressen wird. In luftgetrocknetem Schinken oder Salami könne der Erreger Monate oder gar Jahre überdauern, erklärt Mettenleiter. Ob und wann die Seuche näher rücke, sei darum kaum vorherzusagen. „Es sind Sprünge von mehr als 1000 Kilometer bekannt.“
Derzeit ist das Virus noch 350 Kilometer entfernt von der deutschen Grenze: Im tschechischen Bezirk Zlín nahe der slowakischen Grenze wurde der Erreger Ende Juni 2017 erstmals nachgewiesen. Mit einem Bündel an Maßnahmen wurde versucht, ihn wieder aus dem Bestand zu tilgen – bislang erfolglos. „In den vergangenen Tagen gab es einige neue Fälle“, sagt Mettenleiter. „Generell ist es keinem der in den letzten zehn Jahren betroffenen Länder gelungen, das Virus dauerhaft wieder loszuwerden.“
Begonnen hatte der aktuelle Seuchenzug 2007 in Georgien am Schwarzen Meer. Wahrscheinlich wurden mit dem Virus belastete Speiseabfälle von einem aus Afrika gekommenen Schiff an Land entsorgt. Der Erreger gelangte nach Russland, Weißrussland und in die Ukraine, von 2014 an folgten erste Nachweise in den baltischen EU-Ländern und Polen. Auch Ausbrüche bei Hausschweinen wurden von dort schon gemeldet. Bei ihnen endet eine Infektion ebenso wie bei europäischen Wildschweinen fast immer tödlich – anders als bei den Busch- und Warzenschweinen Afrikas.
Das Virus wird durch direkten Tierkontakt über Sekrete und Blut, in Afrika auch über Zeckenstiche übertragen. Da Tröpfcheninfektionen nicht vorkommen, ist das Ansteckungsrisiko geringer als bei der klassischen Schweinepest. Menschen erkranken generell nicht an dem Erreger. Dennoch ist er gefürchtet, vor allem von Landwirten. Denn schon beim ersten Nachweis in Deutschland – egal ob bei Wild- oder Hausschwein – würde der Export von Schweinefleisch in Länder außerhalb der EU zum Erliegen kommen. Im vergangenen Jahr lag die Ausfuhrmenge einschließlich Nebenerzeugnissen nach Daten der EU-Kommission bei mehr als einer Million Tonnen.
Neben dem Exportstopp drohe ein Preisverfall, hieß es vom Deutschen Bauernverband (DBV). Schweinefleisch ist nach Angaben der Agrarmarkt-Informationsgesellschaft (AMI) nach wie vor die am meisten konsumierte Fleischsorte in Deutschland. Rund 60 Prozent – das sind 600 000 Tonnen – der nachgefragten Rohfleischmenge kommt demnach vom Schwein, mehr als Hähnchen- und Rindfleisch zusammen.
Da verwundert kaum, dass DBV-Vizepräsident Werner Schwarz am liebsten 70 Prozent der Wildschweine in Deutschland abgeschossen sähe, wie er jüngst forderte, ohne eine konkrete Zahl zu nennen. Das allerdings wäre wichtig, da der Bestand im Jahresverlauf immens schwankt. Im zurückliegenden Jagdjahr erlegten Deutschlands Jäger knapp 600 000 Wildschweine, die vierthöchste Anzahl seit Beginn der Aufzeichnungen in den 1930er Jahren, wie der Jagdverband mitteilte.
Derzeit liege der geschätzte Bestand im Frühjahr – bevor die vielen Frischlinge hinzukommen – bei etwa 300 000 erwachsenen Wildschweinen bundesweit, sagt Torsten Reinwald, Sprecher und stellvertretender Geschäftsführer des Verbandes. Zum Vergleich: Laut Statistischem Bundesamt gab es zum Stichtag 3. Mai 2017 gut 27 Millionen Hausschweine in Deutschland.
In Polen, wo schon rund 1000 ASP-Fälle bei Wildschweinen erfasst sind, wird bereits verstärkt Jagd auf Schwarzwild gemacht. Trotz Protesten von Tierschützern wurde ein zusätzlicher Abschuss in Nationalparks erlaubt – und Jäger dürfen für die Wildschweinjagd bis zu sechs Tage bezahlten Sonderurlaub jährlich nehmen. Für erlegte Tiere gibt es Prämien.
Von überhastetem und kopflosem Aktionismus hält der Deutsche Jagdverband wenig. „Der Wind weht schon äußerst hart fürs Wildschwein“, so Reinwald. „Hauptursache für die ASP-Verbreitung war und ist der Mensch“, betont er. „Wir werden die Ausbreitung nicht bremsen oder aufhalten, nur weil nun alle mit dem Finger auf die Wildschweine zeigen.“ Die Aufhebung von Schonzeiten sei sinnvoll, nicht verhandelbar sei aber der Elterntierschutz. „Wir werden keine Bache mit abhängigen Jungen erschießen, solange der Seuchenfall nicht da ist.“
In der derzeitigen Phase der Vorbeugung und Früherkennung müsse der Fokus vielmehr darauf liegen, dass sich Wildschweine nicht entlang von Autobahnen und Straßen anstecken können, betont der DJV-Sprecher. Weil Rohwurst aus Schweinefleisch besonders risikoreich ist, seien zum Beispiel geschlossene Mülleimer auf Rastplätzen wichtig, aus denen Wildtiere nichts herausholen können.
Sinnvoll zur Unterstützung der Jägerschaft seien Aufwandsentschädigungen für das Überwachen der Bestände und die Probenentnahme bei toten Tieren zur Untersuchung auf Trichinen und Schweinepest-Erreger. Von den Landwirten erhofft sich Reinwald Hilfe durch mehr Jagdschneisen in Weizen-, Mais- und Rapsfeldern. Solche 15 bis 20 Meter breiten Schneisen in den Feldern erleichterten die Jagd erheblich – seien für die Landwirte aber oftmals mit bürokratischem Mehraufwand verbunden.
Die Landwirtschaft war es, die Deutschland überhaupt erst zu so einem Traumland für Obelix‘ Lieblingsspeise gemacht hat. Begonnen habe der drastische Wandel Ende der 1990-er Jahre, als Rapszüchtungen mit weniger Bitterstoffen auf den Markt kamen, erklärt Reinwald. „Da wurde den Wildschweinen ein riesiges Nahrungsreservoir eröffnet.“ Die Energiewende habe mit dem immensen Plus beim Mais- und Rapsanbau ihr übriges getan. „Jetzt haben wir 3,2 Millionen Hektar Fläche für Weizen, 2,6 Millionen Hektar für Mais und 1,2 Millionen Hektar für Raps in Deutschland. Zusammengenommen ist das mehr als die Hälfte der gesamten Ackerfläche“, so Reinwald. Hinzu kämen gestiegene Getreideerträge pro Hektar. „Das ist Energie pur, eine riesige Schweinemastanlage.“
Allein in Bayern seien die Abschusszahlen von rund 22 000 in der Jagdsaison 1998/99 auf fast 61 000 in der zurückliegenden Saison angewachsen. „Wir schöpfen Jahr für Jahr etwa die Menge ab, die an Nachwuchs neu hinzukommt“, erklärt Reinwald. „Ohne Jagd würde der Bestand jedes Jahr um rund 250 Prozent wachsen: Dort, wo heute 100 Schweine leben, wären es im darauffolgenden Jahr 350.“ Die Umweltorganisation WWF verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass Wildschweine kaum noch natürliche Fressfeinde in Deutschland haben – mit dem Wolf kehre einer von ihnen gerade langsam zurück.
Zu kämpfen haben im Zuge von ASP zumindest einige Jäger schon jetzt damit, ihr Wildfleisch zu guten Preisen verkauft zu bekommen. Er erhalte derzeit noch 10 bis 15 Cent pro Kilogramm mit Schwarte und Knochen statt wie sonst ein bis zwei Euro, sagt der stellvertretende Geschäftsführer des Landesjagdverbandes Mecklenburg-Vorpommern, Henning Voigt. Damit würden die Kosten für Abschuss und Transport nicht gedeckt. Wenn sich Wildschwein künftig gar nicht mehr vermarkten lasse, dürfe auch keines mehr geschossen werden, sagt der Jäger und Wildverarbeiter Gerd Peters aus Papendorf bei Rostock. „Alles andere wäre ethisch nicht vertretbar.“
Die Aufregung um die ASP wäre deutlich geringer, gäbe es einen vorbeugenden Impfstoff. Doch das Virus ist ein hartnäckiger Gegner. „Es liegt ganz klar am komplexen Ende der Skala bei Viren“, sagt FLI-Präsident Mettenleiter. „Ich sehe nicht, dass da in einem überschaubaren Zeitraum ein Impfstoff zur Verfügung steht.“ Eine der vielen Herausforderungen dabei sei, dass das Virus sich in wichtigen Zellen des Immunsystems vermehre und dieser Arm der Abwehr damit auch noch ausfalle. „Das ist ein wirklich cleveres Kerlchen.“ (dpa)