An der Kante des Ausstiegs

Am Tagebau Garzweiler haben Umweltinitiativen klar gemacht, dass es selbst angesichts der drohenden Energiekrise kein Zurück zur Braunkohle geben darf
Es hat nicht lange gedauert, da hatten einige Stimmen aus den Braunkohle-fördernden Bundesländern ihre Argumente beisammen. Angesichts der drohenden Energiekrise infolge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine twitterte etwa Nordrhein-Westfalens früherer Ministerpräsident Armin Laschet (CDU): „Das Abwägen zwischen Unabhängigkeit von russischem Erdgas, Ablehnen von umweltschädlichem Fracking-Gas, der Bezahlbarkeit u Versorgungssicherheit ermöglicht wieder sachliche u ehrliche Debatten.“ Und auch der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) forderte ganz unverblümt, den Ausstieg aus dem beschlossenen Ausstieg aus der Nutzung dieses klimaschädlichsten Energieträgers zu erwägen.
Angesichts dieser Stimmen hatten gleich mehrere Initiativen der Klimagerechtigkeitsbewegung zu einer Pressekonferenz nach Lützerath am Tagebau Garzweiler eingeladen – und hätten sich keine eindrucksvollere Kulisse für diesen Termin am Mittwoch aussuchen können.
Von zuletzt 170 Metern ist der Schaufelradbagger, den sie hier nur „258“ nennen, inzwischen auf 120 Meter an das Ende der ehemaligen Landstraße L277 herangerückt; knapp 200 Meter sind es noch bis zum Grundstück des Landwirts Eckardt Heukamp, der gegen seine Enteignung durch den Braunkohlekonzern RWE klagt.
Unmittelbar vor dem Schaufelrad, das sich hinter ihm in den rheinischen Lößboden gräbt, macht Heukamp auf dem Podium aus seiner Empörung über das, was zunehmend wie ein rechtsfreier Raum erscheint, keinen Hehl: „Das Gericht hat noch nicht entschieden, und doch werden hier Tatsachen geschaffen. Die aktuelle Leitentscheidung legt einen Mindestabstand von 400 Metern zur nächsten Siedlung fest; hier werden diese Abstandsregeln nicht eingehalten. Wo sind denn jetzt die Politiker, die sonst den Rechtsstaat beschwören? Ich finde es merkwürdig, dass wir uns hier diesem Druck allein aussetzen müssen.“
Ein Moratorium fordert Eva Töller, die Initiatorin der Waldspaziergänge am Hambacher Wald, die inzwischen abwechselnd auch in den Garzweiler-Dörfern stattfinden: „Ein Moratorium für die oberen beiden Sohlen bedeutet ja nicht, dass die Braunkohle stillsteht. Auf den unteren Sohlen ist genug Kohle freigelegt. Wie bei uns RWE-Interessen einfach abgewinkt werden, hat sich im Sommer beim Einsturz der Kiesgrube in Erftstadt-Blessem gezeigt. Die Genehmigungen für die dort von der Flut zerstörte RWE-Grube hat die Bezirksregierung Arnsberg erteilt, gegen die inzwischen die Staatsanwaltschaft ermittelt – und die auch hier eigentlich die Kontrollbehörde ist!“
Die Initiative „Lützerath lebt“ wehrt sich gegen eine Instrumentalisierung der Menschen in der Ukraine, um das energiepolitische Rad der Zeit zurückzudrehen: „Solidarität mit den Menschen in der Ukraine ist nicht dadurch praktizierbar, dass ist unserem Energiemix Pest durch Cholera ersetzt wird. Solidarität mit den Menschen in der Ukraine bedeutet einen radikalen Kurswechsel in der Energiepolitik.“
Das fordert auch Christopher Laumanns, der für das Anwohnerbündnis „Alle Dörfer bleiben“ spricht: „Der Ausstieg aus dem Ausstieg ist eine Scheindebatte und wird auf Bundesebene überhaupt nicht diskutiert. Das tun nur Herr Pinkwart und die Ministerpräsidenten im Osten.“
Niemand hier wolle, „dass in Kitas und Schulen das Licht ausgeht“, sagt Linda Birkenfeld aus Lützerath. „Doch statt mehr Effizienz zu fordern, wird den Menschen Angst gemacht, dass sie im Winter frieren müssen. Klimakrise und Krieg werden gegeneinander ausgespielt. Dabei ist es doch dieser Bagger, der manifestierte Ökozid, der beängstigend ist.“
Selbst Kommunikationsbeamte der Polizei sprechen im Schatten des Schaufelrads inzwischen von einer „Provokation“ durch RWE – als Aktivist:innen in das Tagebauvorfeld spazieren, wird die Situation an diesem Tag deeskalativ gelöst. Doch je näher der Bagger kommt, desto mehr wächst bei den Menschen an der Kante die Sprachlosigkeit.