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Als das Blablabla mobil wurde

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Von: Boris Halva, Thomas Kaspar, Thomas Stillbauer

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Sechs Anekdoten zum 50. Jahrestag des ersten Gesprächs per Mobiltelefon.

Hallo Freiheit

Ich bin der Fünfundsiebzigste. Vor mir hatten offenbar nur vierundsiebzig andere bei diesem Anbieter in meiner Stadt ein Mobiltelefon. Deshalb ist auch meine private Mobilfunknummer wunderschön zu merken. Eine gerade Abfolge an Nummern mit einer 75 am Ende. Bis heute hüte ich diese. Auch wenn ich heute damit eher ins Internet gehe und Bilder an meine Familie verschicke – damals habe ich damit ausschließlich telefoniert. Für die Jüngeren – ich musste dazu das Gerät an mein Ohr halten und versuchen es so zu halten, dass das Mikrofon in der Nähe des Mundes weilt, sonst hätte das mit dem mobil telefonieren nicht geklappt. Mit wem ich damals über was gesprochen habe, ist mir komplett in Vergessenheit geraten. Ich weiß aber noch genau, wo ich dabei saß. Im Café unweit meines Büros in der Sonne. Ich musste immer erreichbar sein. Während heute viele glauben, das kleine Kästchen raube ihnen die Freiheit – mir hat es damals wirklich diesen Platz an der Sonne geschenkt. Und die Freiheit, mich dort niederzulassen. Thomas Kaspar

Anruf von der Zukunt

Mein erstes Telefonat mit meinem ersten Handy war gar kein richtiges Telefonat. Es war irgendwann im Frühjahr 2006 – und vermutlich der erste und letzte Tag, an dem ich im Bezug auf moderne Kommunikation „state of the art“ war. Das jedenfalls hatte der nette Mann im Handyshop gesagt, als er mir das Nokia 6230i ans Herz legte: „Das ist state of the art“. Es hatte sogar eine Kamera, mit 1,3 Megapixel! Bis heute keine Ahnung, ob das viel oder wenig war, aber mich sprach an, dass dieses kleine silberne Gerät elegant und unaufdringlich zugleich wirkte. Das erste Telefonat führte ich dann am Abend, als ich alles zusammengebaut und eingerichtet hatte – ich rief auf unserem Festnetztelefon an, ein W48, eines dieser schwarzen Bakelitgeräte mit Wählscheibe und diesem herrlichen Läuten, das heute noch als digitaler Klingelton durch die Welt geistert. Ich habe damals abgenommen und leise in den Hörer gefragt: „Hallo, ist dort die Zukunft?“ Sie hat nicht geantwortet, es hat nur kurz gefiept – und ich wurde ein bisschen wehmütig, weil ich mich unter Wählscheiben doch immer recht wohl gefühlt habe. Wir sind übrigens immer noch zusammen, das Nokia und ich, wir haben beide noch unseren ersten Akku, telefonieren ab und an mit anderen Menschen und geben uns Mühe, stets elegant und unaufdringlich zugleich zu wirken (was mir ein bisschen besser gelingt…). Die Zukunft hat mich seither nicht mehr angerufen, aber ich weiß auch nicht, ob ich rangehen würde. Boris Halva

Genau zwei Verabredungen!

Bei diesem Spiel habe ich erst spät mitgemacht. Und selbst erworben habe ich ein Handy noch sehr viel später. Mein erstes, und das vergisst man bekanntlich nicht, gab mir ein guter Freund in Italien (Salve, Andrea-Maria!) leihweise zu Studienzeiten – „weil man dich ja nie erreichen kann“. 2001 muss das ungefähr gewesen sein, und so kam mir das Ding damals auch vor: sehr futuristisch! Dabei war das Modell ein einfaches, technisch schlichtes von einem finnischen Hersteller, der allerdings einst zur absoluten Weltspitze der Branche zählte. „Knochen“ wurde es, glaube ich, auch genannt. Kurz jedoch währte die Freude an diesem Wunderding: Nachdem wir uns darüber ein-, zweimal zum pranzo und zu Schachpartien beim caffè verabredet hatten, vergaß ich es einmal – zum letzten Mal! – nach einem üppigen Mittagsmahl im Grünen auf dem Dach meines Wagens. Dort hielt es sich noch eine Weile tapfer, nur um dann doch bei Tempo 60 der Strömungsgeschwindigkeit zu erliegen (es war eben noch kein ultraflaches neunmalkluges Telefon!) und – von mir entsetzt im Rückspiegel verfolgt – auf einer Landstraße der lombardischen Provinz zu zerschellen. Man lernt: Die Seele des Menschen hält nicht sogleich Schritt mit dem technischen Fortschritt, ist nicht subito up to date. Gott sei Dank hat Andrea es sportlich genommen. Und Fernschach bleibt immer eine Option. Karsten Essen

Unter Brüllaffen

Wir saßen im Restaurant, als es geschah. Keine Ahnung mehr, wo das war. Schickes Ambiente, wenn die Erinnerung nicht trügt, und ein Anzugtyp am Nebentisch hatte ein Telefon dabei. Sah so ähnlich aus wie unser Telefon zu Hause, aber zum Klappen, ziemlich groß, hatte kein Kabel, klingelte plötzlich. Der Anzugtyp nahm den Anruf entgegen. Er hätte das dezent tun können. Er wählte die offensive Variante. „Ja Mensch – der Chaaaaarly!“, brüllte er in das Gerät. Es war keine Sensation mehr zu jener Zeit, dass jemand ein monumentales Mobiltelefon dabei hatte. Aber es ging uns mörderisch auf die Nerven, wenn er (und es waren zu 150 Prozent Männer) damit prahlte. Spontan zog einer von uns sein Portemonnaie aus der Gesäßtasche, klappte die Geldbörse auf, hielt sie sich seitlich ans Gesicht und brüllte ins Kleingeldfach: „Ja Mensch – der Vollidioooot!“

Das Lokal brach in Gelächter aus, ehe auch an den anderen Tischen Portemonnaies aus Gesäß- und Handtaschen gezogen, aufgeklappt und an Gesichter gehalten wurden, ehe überall „Ja Mensch!“ gerufen wurde und dann „der Depp!“, „der Aufschneider!“, „der Fööhner!“

Leider hat der Geldbeuteltrick die Telefonbrüllaffen dieser Welt nicht final einbremsen können, aber wenn es mal wieder zu einer Szene kommt, die an mobile Ruhestörung grenzt: Ein Portemonnaie, mit dem man sich wehren kann, hat man ja gewöhnlich bei sich. Bitte die Vorwahl nicht vergessen. Thomas Stillbauer

Unter Wasser

Es gibt rund ums Badezimmer ein paar goldene Regeln, die sich ins kollektive Gedächtnis der Menschheit eingebrannt haben, um das Überleben der Spezies zu sichern. Zum Beispiel sollte man nie einen Föhn mit in die Badewanne nehmen. So wichtig es auch ist, eine schicke Frisur zu haben. Auch gilt: So dringend kann es niemals sein, dass man über nasse Fliesen rennen müsste. Und ganz wichtig: Obacht geben mit Mobiltelefonen in Toilettennähe. Die können so smart sein wie sie wollen, sie gehorchen doch der Schwerkraft. Ich kann mich zwar nicht mehr an das erste Gespräch mit einem Handy erinnern, damals um die Jahrtausendwende herum. Aber noch sehr gut an das letzte Gespräch mit meinem ersten Handheld. Das war nicht mal ein Smartphone; und trotzdem: Schwerkraft. Genauer war es ein Ericsson, mit einem schicken Antennen-Nöppel oben dran. Das konnte nix: WLAN, Bluetooth, GPS, Radio, USB hat das Gerät alles nicht gehabt. Aber lautstark hineinsprechen konnte man wahnsinnig gut, sich in Rage reden, das Teil mit aufs Klo nehmen und dann, hoppla, es beim Bücken aus der Hemdtasche in die Latrine fallen lassen. Gurgelgeräusche hat es noch gemacht, dann war Funkstille. Das ist vielleicht der Vorteil eines Smartphones. Die Dinger sind inzwischen so groß, die passen nicht mehr in die Brusttasche eines Hemdes. George Grodensky

Einer ohne alles

Erinnerungen an das erste Telefonat mit dem ersten Handy? Damit kann ich nicht dienen. Zu lange her, zu unbedeutend damals. Ich war in meiner Stufe ohnehin der letzte, der mit einem Handy zu sehen war. Lange hielt ich an dem Mantra fest, dass ich „so einen Scheiß“ nicht bräuchte. Während um mich herum also – an Smartphones war noch nicht zu denken – fleißig telefoniert und gesimst wurde, saß ich nachmittags am Festnetztelefon. Als ich dann doch immer öfter unterwegs war, wurde ein Handy unumgänglich. Es war allerdings das vom Vater, das er mir lieh. Das erste eigene Handy? Wieder war ich in meinem Umfeld der letzte. Am Modell hat sich seitdem nicht viel geändert. Denn noch immer bin ich einer der letzten, heute eben einer der letzten ohne Smartphone. Nicht, weil ich mich prinzipiell der Modernität verweigern würde; nicht, weil ich an 5G-Strahlen glaubte, weil es mir zu teuer wäre oder mich die Bedienung des Gerätes überforderte. Ich brauche es schlicht nicht. Mit meinem Telefon kann ich telefonieren, Nachrichten schreiben, Notizen machen, rechnen und zur Entspannung Snake spielen. Auch Fotos könnte ich machen – mache ich aber nicht. Für alle anderen, durchaus annehmlichen Funktionen habe ich entsprechende Geräte und nehme mir die Zeit. Ganz bewusst. Fabian Böker

Geschenkte, kleine Freiheit

Es muss 1999 gewesen sein, ein gutes Vierteljahrhundert nach dem weltweit ersten Handyanruf. Während meiner ersten Berufsausbildung machte ich bei einem Gewinnspiel eines Darmstädter Stadtmagazins mit – und gewann ein Handy von Motorola. Genauer Modellname unbekannt. Noch kurz vor dem Führerschein erhielt ich so mein erstes Mobilfunktelefon. Gekauft hätte ich mir damals sonst sicher noch keines.

Schwarzes Gehäuse, Stummel-Antenne, ähnlich lang wie mein Smartphone heute, schmal in der Breite, gleichzeitig dick. Der Akku brauchte Platz. Jeder Anruf, jede Kurznachricht kostete. Deshalb lud ich das Handy per Prepaid-Karte auch nur selten auf. So dauerten meine Telefonate nie länger als wenige Minuten. Und bei SMS-Nachrichten achtete ich peinlich genau darauf, dass ich die begrenzte Zeichenzahl von etwa 22 Wörtern pro Nachricht einhielt, oft mit Abkürzungen wie „i“ für „ich“. Wichtiger als vorher fühlte ich mich trotzdem irgendwie. Clemens Dörrenberg

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