Albanische Mafia: Besser ausgerüstet als die Polizei

Clans in Albanien haben dank Überwachungstechnik fast alles im Blick. Fachleute sprechen von „technologischer Überlegenheit krimineller Gruppen“.
Tirana - Vertrauen ist gut, die Rundumkontrolle immer alltäglicher. Auch auf dem Balkan sind Überwachungskameras an Kreuzungen, Fußgängerzonen und Verkehrsschneisen längst ein vertrautes Bild. Grenzüberschreitend nehmen Polizei und Sicherheitsbehörden im Vielstaatenlabyrinth mit westlicher oder chinesischer Technik ihre Schäflein immer schärfer ins Visier.
Doch illegal montierte, aber keineswegs heimliche oder versteckte Kameras über Albaniens staubigen Straßenschluchten werfen bei dem EU-Anwärter zunehmend die besorgte Frage auf, wer eigentlich genau der große Bruder der 2,8 Millionen Landeskinder ist. Denn viele der sich wie Pilze verbreitenden Überwachungslinsen werden im Adriastaat nicht nur von Gesetzeshüterinnen, sondern auch von Gesetzesbrechern installiert: Mächtige, aber oft rivalisierende Drogenclans behalten sich mit modernen Überwachungskameras und Drohnen nicht nur gegenseitig, sondern auch die Polizei im Auge.
Polizei in Albanien montiert allein in der Hauptstadt über 220 illegale Kameras ab
Mitte Januar montierte Albaniens Polizei in der Provinzstadt Shkodra erstmals mehr als 50 der illegalen Kameras ab. Ob in Durres, Elbasan, Fier, Korca oder Vlora – mittlerweile wurden im ganzen Land mehr als 450 Kameras entfernt. Allein in Tirana wurden mehr als 220 illegal installierte Überwachungsgeräte aufgestöbert – und abgebaut.
Die Nachrichten über immer mehr lokalisierte Sicherheitskameras zweifelhafter Eigentümer:innen haben in Albanien nicht nur Sorgen über die Datensicherheit ausgelöst. Die technologische „Überlegenheit krimineller Gruppen“ sei verglichen mit dem Staat „sehr eklatant“, sagt Erida Skendaj, die Vorsitzende des Helsinki-Komitees in Tirana. „Illegale Überwachungskameras in Albanien wecken Sorgen über die Macht der Gangs“, titelt die Agentur „Balkan Insight“.
Drogenclans in Albanien überwachen sich gegenseitig mit illegalen Kameras
Auch Dutzende Verhaftungen von Personen, die der Installation und dem Betrieb der illegalen Kameras verdächtigt werden, können die Sorgen von Bürgerrechtler:innen, Datenschützer:innen und Sicherheitsfachleuten über den vermehrten Einfluss der Drogenmafia im Land kaum zerstreuen. Albanien gilt als einer der größten Cannabisproduzenten des Kontinents. Ob blutige Abrechnungen, Auftragsmorde oder Sprengstoffanschläge – die Drogenclans gehen beim Kampf um Markt und Macht keineswegs zimperlich zu Werke.
Überwachen in Albanien die Räuber also die Gendarme? Mit Kameras und Drohnen ließen sich Plantagen, Anwesen und Stadtviertel von den Drogengangs wesentlich günstiger und effektiver überwachen als durch Wächter:innen und Sicherheitsdienste, begründet der Enthüllungsjournalist Artan Hoxha gegenüber dem Webportal „sot.com.al“ deren rasche Vermehrung: „Die kriminellen Gangs haben das beste Sicherheitssystem. Und auch ihre Operationszentren sind besser als die der Polizei.“
Doch die Kameras würden von den Clans weniger dafür montiert, die Polizei, sondern vor allem sich gegenseitig zu beschatten, sagt Hoxha: „Die Kameras der Unterwelt findet man überall in Albanien. Die Clans installieren sie zu ihrer Sicherheit – und für die ihrer Familien.“ (Thomas Roser)