Afghanistan: „Sie absolutes Kalb“ – Professor legt sich im Live-TV mit Taliban an

In Afghanistan übt ein Professor an den Taliban live im Fernsehen heftige Kritik. Gegenrede ist im von den Islamisten regierten Land sehr gefährlich.
Kabul – Die militant-islamistischen Taliban sind nicht gerade dafür bekannt, mit Andersdenkenden in Afghanistan menschenwürdig umzugehen. Im Gegenteil. Wer Kritik an der Gruppierung übt, gerät schnell ins Fadenkreuz der Islamisten – und schwebt in Lebensgefahr. Ein afghanischer Professor hat sich trotz der Gefahren getraut und in einer Livesendung scharfe Kritik geäußert. Die geht nun im Internet viral.
„Die Menschen haben kein Brot zu essen. Wie die Sicherheit ist? Keiner kann irgendetwas sagen“, sagte Faisullah Dschalal, Lektor für Rechts- und Politikwissenschaften, in einer Fernsehdebatte des populären TV-Senders ToloNews am Samstag (20.11.2021). Die Taliban müssten sich reformieren, denn die Menschen würden aus Afghanistan fliehen.
Afghanistan: Professor live im TV mit Wutrede gegen die Taliban
Dschalal sprach während seiner Rede sehr laut und schäumte regelrecht vor Wut und Aufregung über die Taliban, die seit dem missglückten westlichen Truppenabzug in Afghanistan an der Macht sind. Am 15. August zogen sie kampflos in die Hauptstadt Kabul ein und regieren seitdem. Sie sehen sich mit zahlreichen Problemen konfrontiert, darunter einer massiven humanitären Krise. Insbesondere Kinder leiden unter einer schlimmen Hungersnot.
Der an der Debatte teilnehmende Taliban-Sprecher Mohammad Naeem konterte, es sei besser, ein argumentierender Mensch befinde sich in einem normalen Zustand und nicht in einem, in dem er nicht wisse, ob er andere beleidige. Daraufhin fiel Dschalal ihm ins Wort und nannte Naeem ein „absolutes Kalb“.
Professor Dschalal wird in Afghanistan seit Jahren von den beliebtesten Fernsehsendern zu Debatten eingeladen. Er ist für seine unverblümte Kritik an den Regierenden des Landes bekannt, die auch die Ex-Präsidenten Hamid Karsai und Aschraf Ghani traf.
Taliban-Kritik in Afghanistan: TV-Sender zensiert Rede im Nachhinein
In sozialen Medien erhielt Dschalal viel Lob für seinen Mut. Er sei der Erste, der sich traute, die Islamisten offen zu kritisieren, und sei die Stimme der Menschen Afghanistans. Viele tauschten ihr Profilbild mit dem eines Bildes von Dschalal. Andere drückten Sorgen um seine Sicherheit aus.
Anhänger der Taliban zeigen sich erbost über ToloNews und den Professor. Manche Taliban-Mitglieder schrieben auf Twitter, man respektiere die Redefreiheit, aber der Professor solle für die Beleidigung des Taliban-Sprechers bestraft werden. Im Nachhinein sahen die Verantwortlichen des TV-Kanals die Rede offenbar als zu heikel an. Die veröffentlichte Aufzeichnung sei vom Sender zensiert worden, merkte eine Journalistin von ToloNews auf Twitter an. (tvd/dpa)