Fotograf Abe Frajndlich: Ein Reisender zwischen den Heimaten

Abe Frajndlich fotografierte in New York für „Vogue“ und „Vanity Fair“. Als Kind jüdischer Überlebender treibt es ihn immer wieder zurück nach Frankfurt. Eine außergewöhnliche Lebensgeschichte.
Frankfurt am Main - Wenn Abe Frajndlich, wie kürzlich im vergangenen Herbst, mit dem Taxi vom Frankfurter Flughafen auf die Innenstadt zurollt, dann zerreißen ihn jedes Mal intensive, komplexe Gefühle. Und das schon seit 34 Jahren, seit er regelmäßig aus den USA nach Frankfurt reist. Einerseits, sagt Frajndlich, steige ein starkes, wohliges Heimatgefühl in ihm auf, wenn er über den Main fährt, den Dom und die Skyline sieht und schließlich im Holzhausenviertel bei guten Freunden ankommt. „Ich wage es kaum zu sagen, aber es ist fast so etwas wie eine Erdverbundenheit.“
Andererseits sind natürlich für einen wie ihn solche Gefühle extrem problematisch. Für einen, dessen weitere Familie zu überwiegender Mehrheit in Auschwitz, Birkenau und Treblinka gestorben ist und dessen Eltern diese Lager nur mit knapper Not überlebt haben. Nicht, dass der 75-jährige Fotograf, der beim Reden so wach und rege ist, als hätte er nur einen Bruchteil dieses Alters auf den Schultern, den Holocaust ständig in Gedanken mit sich herumträgt, wenn er in Frankfurt ist. Er genießt die Gesellschaft seiner deutschen Freundinnen und Freunde, zu denen er ein gänzlich unbelastetes Verhältnis hat. Er liebt es durch die Viertel zu wandeln, er geht ins Städel und in die Kunsthalle Schirn. Das Museum Judengasse hat er hingegen noch nie gesehen. „Ich bin kein professioneller Jude“, sagt er scherzhaft. „Ich lasse nicht zu, dass mich die Geschichte meiner Familie definiert.“
Aber dann und wann trifft es ihn doch. Wenn er etwa in Frankfurt die Stolpersteine sieht, die an deportierte und ermordete Frankfurter Bürgerinnen und Bürger erinnern. „Dann fährt es einem unweigerlich in die Glieder.“
Als Kind jüdischer Überlebender hat Fotograf Abe Frajndlich seine Wurzeln in Frankfurt
Abe Frajndlich ist 1946 im Frankfurter Stadtteil Zeilsheim geboren, in einem sogenannten DP Camp, einem Lager für „displaced persons“. So nannte man in den Trümmern des Zweiten Weltkrieges pauschal Obdachlose, Flüchtlinge, Vertriebene und auch die entwurzelten jüdischen Überlebenden der Shoah. Etwa 5500 von ihnen landeten in Zeilsheim, in ehemaligen Arbeiter-Baracken der Höchst AG. Die meisten warteten darauf, dass ihre Ausreise nach Palästina oder in die Vereinigten Staaten genehmigt wird, in Deutschland bleiben wollten nur die wenigsten. Das Lager war hoffnungslos überfüllt, und vielen der Menschen, die dort ausharrten, entging nicht die bittere Ironie, dass sie schon wieder in einem Lager gelandet waren.

Abe Frajndlich hat keine konkreten Erinnerungen an Zeilsheim. Er war zwei Jahre alt, als seine Eltern nach Palästina auswandern durften. Auch ein Besuch in Zeilsheim vor 30 Jahren löste keine Bilder in ihm aus. Lediglich die Erinnerung daran, dass in seiner Familie und in der jüdischen Gemeinde in jenen Jahren jede Rede über das gerade Erlittene vermieden wurde, ist lebendig. Und dass sie gerade deshalb greifbar in der Luft lag.
Frajndlichs leibliche Mutter, Regina Bialek aus Lodz, überlebte Treblinka. Frajndlich leiblicher Vater, Reuven Sapir, kam ebenfalls aus Lodz. Aber die Sapirs waren 1938 bereits vor den Deutschen nach Russland geflohen. Doch als Hitler 1941 Russland angriff, wurde die Familie doch noch in den Krieg hineingezogen. Reuven Sapir musste in der Roten Armee dienen und war bei den Truppen dabei, die 1945 in Berlin einmarschierten.
Nach dem Krieg wollte Sapir nicht bei der Armee bleiben, doch er wusste auch nicht recht, wohin er sonst sollte. In Lodz gab es keine nennenswerte jüdische Gemeinde mehr. Und so fuhr er nach Frankfurt, nach Zeilsheim, weil man ihm gesagt hatte, dass die letzten Jüdinnen und Juden von Lodz dort gelandet seien. „Dort hat er meine Mutter getroffen, ein Mädchen aus der Nachbarschaft, das er noch aus der Kindheit kannte.“ Die beiden fanden sich, verliebten sich, und kurze Zeit später kam Abe zur Welt.
Fotograf Abe Frajndlich: „Displaced person“ aus Frankfurt auf der Suche nach einer neuen Heimat
Der Titel „displaced person“ könnte für Abe Frajndlich treffender kaum sein. Denn seine Suche nach einem Platz in dieser Welt begann mit seiner Geburt. Und sie sollte lange und kompliziert werden. Die erste dramatische Wendung kam, als sein Vater 1947 im Zusammenhang mit Schwarzmarktgeschäften erschossen wurde. Ein tragischer, bitterer Tod – besonders für einen, der den Holocaust und die Ostfront überstanden hatte.
Abes Mutter nutzte die nächste Gelegenheit, um nach Tel Aviv auszuwandern. Allerdings nur, um gemeinsam mit ihrem neuen Ehemann, Abes zweitem Vater, drei Jahre später wieder in Frankfurt zu landen. Die Stadt sollte diesmal nur eine Durchgangsstation in das Sehnsuchtsland USA sein, doch die Familie blieb ein ganzes Jahr. An diese Zeit kann sich Abe sehr gut erinnern. Er wurde in eine „normale“ deutsche Grundschule eingeschult, die damalige Wittelsbacher- und heutige Linnéschule in Bornheim. Bis heute hat Abe Frajndlich ein Foto seiner Klasse, auf dem er unauffällig zwischen Erstklässern mit blonden Seitenscheiteln und Lederhosen steht. Sein verschmitzter, frecher Blick hebt ihn von den anderen Kindern ab. Abe scheint zu allem eine gewisse ironische Distanz zu haben. Heute wüsste er zu gerne, was aus den anderen Kindern auf diesem Foto geworden ist und würde sich über ein Wiedersehen in Frankfurt freuen, vielleicht an einem Sommerabend im Freien. Vielleicht, sagt er, meldet sich ja jemand bei ihm.
Auch der weitere Weg der Familie in die USA blieb verschlungen. Und durch eine weitere Verkettung tragischer Vorfälle schaffte es am Ende nur der kleine Abe. Zunächst verschlug es die Familie, die zu jener Zeit den Nachnamen Witorz führte, in die Nähe von Paris. Ein weiteres Jahr wartete man dort auf die Ausreise, Abe ging zum zweiten Mal in die erste Klasse und lernte nach Deutsch, Jiddisch und Hebräisch nun auch noch Französisch.

Doch die US-Behörden lehnten den Einreiseantrag ab. Abes Stiefvater hatte Symptome von Tuberkulose, man ließ ihn nicht in das Land. So ging die Reise erst einmal nach Porto Alegre in Brasilien. Abe kam zum dritten Mal in die erste Klasse und lernte Portugiesisch. Ein Jahr später starb seine Mutter in Brasilien an den Folgen einer Operation. Der Stiefvater konnte ihn nicht alleine großziehen, Abe bekam die Wahl, zur Schwester der Mutter nach London oder zur Schwester seines Stiefvaters in die USA zu gehen.
Die Wahl fiel ihm leicht. Abe hatte in Brasilien Gefallen am US-amerikanischem Kino gefunden. Er wollte Schauspieler werden, und Ohio, wo die Schwester seines Stiefvaters lebte, war bedeutend näher an Hollywood als London. So kam Abe 1956 nach Cleveland und wurde von der Familie Frajndlich adoptiert. Doch diesmal weigerte er sich, erneut in die erste Klasse zu gehen. Er schlug dem Schuldirektor einen Deal vor: Wenn es ihm gelänge, in sechs Wochen Englisch zu lernen, dürfe er, seinem Alter entsprechend, in der fünften Klasse bleiben. Abe bestand die Prüfung fulminant.
Eva Szepesi aus Frankfurt brauchte 70 Jahre, um über den Tod ihrer Familie in Auschwitz weinen zu können. Heute erzählt sie Jugendlichen davon – und berührt mit ihrer Geschichte.
Hollywoodstars fotografieren, statt selbst einer zu werden: Abe Frajndlichs Weg zur Fotografie
Im Laufe seiner Ausbildung wandelte sich Abe Frajndlichs Berufswunsch von Hollywoodstar zu Fotograf. Über Umwege kam er Anfang der 70er Jahre nach New York und wurde Hausfotograf von großen Magazinen wie „Vanity Fair“ und „Vogue“. Er fotografierte Prominente, Künstlerinnen und Künstler wie Cindy Sherman, Charles Bukowski, Andy Warhol, Robert Rauschenberg und Dennis Hopper.
Wie durch eine Fügung des Schicksals führte ihn diese Arbeit auch zurück nach Frankfurt. Anfang der 80er Jahre lernte Frajndlich in New York den Art Director des damals preisgekrönten FAZ-Magazins, Hans Georg Pospischil, kennen – Abe Frajndlich wurde zum Stammfotografen des Magazins. Seither besucht er beinahe jährlich die Stadt, seine Arbeiten wurden am Jüdischen Museum und im Fotografie Forum am Dom ausgestellt, das eine Retrospektive seines Werkes plant.
Die Vorbereitung der Ausstellung und des Buches, das zeitgleich zu seinem 75. Geburtstag herauskommt, ist für Abe Frajndlich eine eigenartige Tätigkeit. „Ich habe mich Zeit meines Lebens eigentlich darum bemüht, im Augenblick zu leben und nach vorne zu schauen.“ Zurückblicken, Nachdenken über Geschichte und Vergangenheit, das war nie seine Sache. „Wahrscheinlich hat mir auch deshalb die Fotografie so gut gefallen. Fotografie ist ganz im Augenblick, im Hier und Jetzt.“
Und doch hat die Geschichte Abe Frajndlich irgendwie immer wieder eingeholt. So kam er 1968 nach Frankreich, als dort die Studentenunruhen tobten. Er hatte sich an einer französischen Universität eingeschrieben, um während des Vietnamkrieges in den USA nicht zum Militär eingezogen zu werden. „Ich sah keinen Grund dafür, auf Leute zu schießen, die ich gar nicht kannte. Das erschien mir ziemlich unhöflich.“ Oder am 11. September 2001, als er mit seiner Familie keine 300 Meter vom World Trade Center in New York entfernt lebte. Erneut hatte ein historisches Ereignis profunde Folgen für das Leben von Abe Frajndlich.

Der Staub aus den Trümmern, der sich zentimeterdick über seine Wohnung legte, verursachte mit größter Wahrscheinlichkeit den Krebs, an dem seine Frau sechs Jahre später starb. Und auch bei Abe wurde eine Krebsart diagnostiziert, die vermutlich auf die damals stark verseuchte Luft im unteren Manhattan zurückzuführen ist.
Abe Frajndlich nimmt es mit der Gelassenheit eines Menschen, in dessen Leben nichts weichgezeichnet war. „Ich bin in die Asche der schlimmsten Katastrophe der Menschheitsgeschichte hinein geboren“, sagt er. Darüber zu grübeln, glaubt er, bringe nichts. „Meine Mütter haben beide die Lager überlebt. Sie haben auch nicht gejammert. Sie hatten zu tun.“ Und genau das hat er von ihnen gelernt. Nach vorne zu schauen. Tag für Tag. Moment für Moment. Bild für Bild. (Sebastian Moll)