Der Wahn von der Kernfusion

Nach wie vor steckt die Bundesregierung Millionen in die Erforschung nuklearer Energie. Das viele Geld ist bei den Erneuerbaren besser aufgehoben.
Von Matthias Ruchser
Nach wie vor steckt die Bundesregierung Millionen in die Erforschung nuklearer Energie. Das viele Geld ist bei den Erneuerbaren besser aufgehoben.
Die Debatte über Laufzeitverlängerungen für deutsche Kernkraftwerke ist vorbei, der Atomausstieg beschlossene Sache. Jetzt rächen sich die energie- und forschungspolitischen Entscheidungen der Bundesregierung der vergangenen Jahre. Nach ihrem Amtsantritt hat die neue Bundesregierung 2009 die Gewichtungen des Energieforschungshaushalts stark verändert. So hat sie die Forschungsgelder für Atomenergie und Kernfusion – die bereits während der großen Koalition erhöht wurden – weiter aufgestockt.
Betrugen die Aufwendungen für nukleare Energieforschung 2008 bereits 186 Millionen Euro, so erhöhte die Bundesregierung den Etat bis zum Jahr 2010 weiter auf 233,2 Millionen Euro. Hinzu kommen die Mittel für die Beseitigung von kerntechnischen Anlagen in Höhe von 251,6 Millionen Euro sowie institutionelle und projektbezogene Forschungsgelder in Millionenhöhe. Die Aufwendungen für die Kernfusionsforschung stiegen von 119,4 Millionen in 2008 auf 143 Millionen Euro im Jahr 2010. Doch auch diese Beträge reichten nicht aus, um substanzielle Fortschritte in der Fusionsforschung zu erreichen. Zusätzlich beteiligt sich Deutschland am Bau eines Versuchs-Fusionsreaktors in Frankreich, dessen Kosten sich noch vor Baubeginn auf 15 Milliarden Euro verdreifacht haben.
Neuer Fokus
Kann Deutschland es sich nach der beschlossenen Energie(kehrt)wende leisten, weiter den Irrweg der Kernfusion mit steuergeldfinanzierten Forschungsmilliarden zu beschreiten, obwohl die Kernfusion trotz jahrzehntelanger Forschung bis heute keine einzige Kilowattstunde Strom in das öffentliche Stromnetz eingespeist hat? Die erneuerbaren Energien, die im gleichen Zeitraum weit weniger Forschungsgelder erhalten haben, decken hingegen inzwischen 17 Prozent des deutschen Strombedarfs. Und seit Jahrzehnten sagen uns die Kernfusionsforscher immer das Gleiche: Die Kernfusion wird in frühestens 30 bis 40 Jahren zur Verfügung stehen. Damit Forschungsgelder für zukunftsfähige Energietechnologien frei werden, sollte Deutschland aus der Kernfusionsforschung aussteigen. Nuklearforschung sollte auf die Beseitigung kerntechnischer Anlagen sowie auf Sicherheits- und Endlagerforschung reduziert werden.
Im Gegensatz dazu argumentiert die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, dass Energieforschung langfristig ein breites Themenspektrum bearbeiten und die gesamte Spanne von Grundlagenforschung, auch wenn diese nicht dem derzeitigen Mainstream entspricht, umfassen sollte. Diese Logik schließt die Kernfusionsforschung mit ein; interessanterweise bezeichnete die Leopoldina die Kernfusion noch 2009 als regenerative Energie. Ein kernenergiefreies Deutschland, das laut Erneuerbare-Energien-Branche bis zum Jahr 2050 mit „echten“ erneuerbaren Energien annähernd 100 Prozent seiner Stromversorgung sicherstellen kann, braucht keine Kernfusion und somit auch keine Kernfusionsforschung.
Wer wirklich eine Energiewende erreichen will, muss eine Kurskorrektur bei der Energieforschung vornehmen. Dies umso mehr, da nach dem krisenbedingten Rückgang der Energienachfrage und der Treibhausgasemissionen im Jahr 2009 die Internationale Energieagentur schätzt, dass die energiebedingten Treibhausgasemissionen im Jahr 2010 ein Allzeithoch erreicht haben. In seinem aktuellen Global Energy Review berichtet der Ölkonzern BP, dass China die USA inzwischen als größten Energieverbraucher abgelöst hat. Allein 2010 führte das Wirtschaftswachstum Chinas zu einem elfprozentigen Anstieg des Energiebedarfs.
Vor dem Hintergrund dieser aktuellen Trends ergeben sich große Wettbewerbsvorteile für die Exportnation Deutschland. Während im Zuge der Finanzkrise fast alle Industriezweige Rückgänge zu verzeichnen hatten, war das Wachstum bei den erneuerbaren Energien 2009 ungebrochen. Rund 19 Prozent des globalen Primärenergieverbrauchs wird inzwischen durch erneuerbare Energien abgedeckt. Seit 2008 werden in Europa und den USA mehr Erneuerbare-Energien-Kapazitäten installiert als konventionelle Energieerzeugung.
Mit dem 6. Energieforschungsprogramm hat die Bundesregierung jetzt die Chance, durch eine Korrektur ihrer bisherigen Forschungsschwerpunkte Deutschland zum internationalen Innovations-Champion bei der Steigerung der Energieeffizienz sowie beim Ausbau der erneuerbaren Energien und der Stromnetze zu machen. Wer argumentiert – wie die Bundeskanzlerin in ihrer Regierungserklärung letzte Woche –, dass die Neubewertung der Risiken der Atomkraft im Lichte der Ereignisse von Fukushima einen Ausstieg aus der Kernenergie notwendig macht, der muss in einem weiteren Schritt den Fokus der Energieforschung auf Energieeffizienz, erneuerbare Energien, Energiespeicher und Übertragungsnetze richten.
Matthias Ruchser arbeitet als Berater in der Energiewirtschaft und ist Leiter der Stabsstelle Kommunikation des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik.