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Visionär oder Ausbeuter?

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Von: Bernd Riexinger

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Springer-Chef Döpfner will Amazon-Chef Bezos auszeichnen. Bezos hat aber nur die Ausbeutung optimiert. Der Gastbeitrag.

Am 24. April rollt der mächtigste Verleger Deutschlands dem reichsten Mann der Welt den roten Teppich aus: Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender von Axel Springer SE, empfängt Jeffrey „Jeff“ Bezos, den Gründer des Handelsgiganten Amazon, dessen Privatvermögen auf weit mehr als 100 Milliarden Euro geschätzt wird. Mit einem Preis, der den Namen des Springer-Verlagshauses trägt, soll der Milliardär für sein „visionäres Geschäftsmodell“ ausgezeichnet werden.

Worin besteht Bezos’ Geschäftsmodell? Der 53-Jährige hat das Potenzial des Internethandels früh erkannt: Gegründet vor kaum zwei Jahrzehnten, ist Amazon heute globaler Marktführer in dieser Branche. Im vergangenen Jahr machte der Konzern knapp 180 Milliarden US-Dollar Umsatz und erzielte rund 2,4 Milliarden Dollar Gewinn. Dieser Erfolg fußt aber weniger auf Visionen, sondern auf traditionellen Methoden der Profitmaximierung: auf rücksichtsloser Ausbeutung der Beschäftigten und auf konsequenter Steuervermeidung.

Der Amazon-Konzern lässt in 32 Ländern etwa 500 000 Menschen für sich arbeiten. In Deutschland arbeiten unter anderem in Leipzig, Bad Hersfeld, Koblenz und Dortmund rund 12 000 festangestellte Frauen und Männer sowie bis zu 13 000 Saisonarbeiterinnen und -arbeiter. Der Leistungsdruck in den Warenlagern ist hoch, die Löhne niedrig. Bis zu 20 Kilometer legt ein Lagerarbeiter täglich zurück, für einen Stundenlohn zwischen 11 und 12,50 Euro.

Die Beschäftigten werden getaktet wie Maschinen. Videokameras in den Umkleiden und über den Fließbändern überwachen wie in vielen Firmen den Arbeitsplatz. Aber Amazon geht weiter: Jüngst ließ sich der Konzern elektrische Armbänder patentieren, mit denen dank Ultraschall- und Funktechnik jeder Handgriff nachverfolgt werden kann. Kein Wunder, dass der Internationale Gewerkschaftsbund Bezos im Jahr 2014 zum „schlechtesten Chef der Welt“ wählte.

Die Beschäftigten werden dreimal so oft krank wie im Schnitt in anderen Betrieben hierzulande. Seit fünf Jahren kämpfen die Beschäftigten und die Gewerkschaft Verdi um bessere Löhne und Arbeitsbedingungen. Betriebsräte aus Europa und Nordamerika beraten über Aktionen und Streiks gegen den Handelsgiganten.

Bezos, dessen Gehalt 59 Mal so hoch ist wie das durchschnittliche Einkommen seiner Beschäftigten, ist in Sachen Steuern ähnlich visionär wie Apple und Facebook: Den europäischen Unternehmenssitz hat er nach Luxemburg gelegt. Im Jahr 2016 zahlte Amazon laut Recherchen des „Guardian“ in Europa lediglich 16,5 Millionen Euro Steuern – das sind lächerliche 0,07 Prozent! Wie viel Steuern Amazon in Deutschland gezahlt hat, lässt sich zurzeit nicht sagen. Die Bundesregierung verweigert mit Hinweis auf das Steuergeheimnis die Antwort auf meine Nachfrage dazu.

Amazon handelt nicht illegal. Auch weil die Bundesregierung aus CDU, CSU und SPD seit Jahren keine Hand angelegt hat an die Steuerschlupflöcher und laxen Gesetze, die die Steuervermeidung der transnationalen Konzerne ermöglichen.

Nun also soll Bezos eine Auszeichnung aus den Händen von Döpfner erhalten. Der kennt sich mit Visionen aus. Als Chef-Lobbyist der Zeitungsverleger hat er erfolgreich dafür gekämpft, dass die Verlagskonzerne ihre Zeitungszustellerinnen und -zusteller jahrelang unterhalb des gesetzlichen Mindestlohns bezahlen durften. Und auch von der neuen Bundesregierung aus CDU, CSU und SPD wurde er großzügig bedacht: Im Koalitionsvertrag vereinbarten die drei Parteien, dass „bei Minijobs von Zeitungszustellerinnen und Zeitungszustellern der Beitrag zur Rentenversicherung, den die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber zu tragen haben, (…) von 15 auf 5 Prozent abgesenkt“ wird.

Minijobberinnen und der Minijobber, die für monatlich 450 Euro nachts aufstehen, um bei Wind und Wetter Zeitungen und Zeitschriften auszutragen, erhalten exakt 45 Euro weniger im Monat für die Rente. Die Verlagshäuser rechnen laut des Deutschen Gewerkschaftsbunds mit Einsparungen in Höhe von rund 50 Millionen Euro pro Jahr. Diese Extra-Profite der Verlagskonzerne zahlen die Menschen, die für harte Arbeit wenig Geld bekommen.

Wenn also am 24. April Döpfner den Multi-Milliardär Bezos ehrt, dann treffen sich zwei mächtige Männer, die beide von der herrschenden Politik profitieren und sie mitgestalten. Wenn Döpfner Bezos ehrt, dann huldigt er nicht nur einer Einzelperson, sondern einem Wirtschaftssystem, das auf Ausbeutung fußt.

Das Treffen zwischen Döpfner und Bezos sollte Anlass sein, um über den Zusammenhang von individuellem Reichtum und Ausbeutung sowie Steuervermeidung andererseits nachzudenken. Es ist Zeit für eine andere Politik – für eine Politik, die nicht nur den Milliardären nutzt, sondern die der Mehrheit der Menschen dient.

Bernd Riexinger ist Vorsitzender der Partei Die Linke.

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