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Ukraine-Konflikt: Die Militarisierung muss durchbrochen werden

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Die ukrainischen Behörden entdeckten im September 2022 in der Nähe der zurückeroberten Stadt Isjum Hunderte von Gräbern.
Die ukrainischen Behörden entdeckten im September 2022 in der Nähe der zurückeroberten Stadt Isjum Hunderte von Gräbern. Die Menschen in seien wohl gestorben, als Russlands Truppen die Stadt im Zuge der Eroberung Ende März heftig beschossen hätten, sagte O. Kotenko, der ukrainische Vermisstenbeauftragte. © Danylo Antoniuk/dpa

Wir dürfen niemals ausblenden, was Krieg für jeden einzelnen Menschen bedeutet. Ein Gastbeitrag von Janine Wissler.

Vor einem Jahr sind russische Truppen in die Ukraine einmarschiert, ein verbrecherischer Angriffskrieg, für den Putin die Verantwortung trägt. Millionen Menschen sind seitdem auf der Flucht, jeden Tag sterben Menschen bei Bombardierungen und an der Front. Jeder Einzelne von ihnen hinterlässt trauernde Familien und Freunde. Viele Menschen, die nicht geflohen sind, leben in ständiger Angst vor russischen Luftangriffen und vor Kriegsverbrechen, häufig ohne Strom und fließend Wasser, weil Russland die ukrainische Infrastruktur bombardiert.

Wir dürfen niemals ausblenden, was Krieg für jeden einzelnen Menschen bedeutet und dass dieser Krieg in die Herzen von Generationen für immer ein Loch gerissen hat.

Ukraine-Konflikt: Wie kann dieser Krieg möglichst schnell beendet werden?

Die Frage, die über allem stehen muss, lautet: Wie kann dieser Krieg und damit das Töten von Menschen möglichst schnell beendet werden? Wie kann ein langer Abnutzungskrieg mit großer Eskalationsgefahr verhindert, wie können Leben gerettet werden? Laut Umfragen gibt es in der Bevölkerung zunehmenden Zweifel daran, dass uns die Lieferung von immer mehr und schwererer Waffen einem schnellen Frieden näherbringen. Fast jeder Zweite ist mittlerweile gegen weitere Waffenlieferungen, die meisten sicher nicht aus Sympathie für Wladimir Putin.

Nachdenkliche und kritische Stimmen für Friedensverhandlungen und gegen Waffenlieferungen werden in Teilen der Öffentlichkeit diffamiert und angegriffen, als sei die Sorge vor einer weiteren militärischen Eskalation gleichzusetzen mit einer Parteinahme für Putin. Das Eintreten für Freiheit und Frieden, so wird stellenweise suggeriert, findet seinen einzig authentischen Ausdruck in Panzerlieferungen. Diese Militarisierung zu durchbrechen, sich für diplomatische Initiativen starkzumachen und für Frieden auf die Straße zu gehen, ist wichtig und notwendig. Wir brauchen breite gesellschaftliche Mobilisierungen, die mit einer klaren Abgrenzung nach Rechtsaußen Alternativen erkennbar machen. Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus, das gehört untrennbar zusammen.

Das Eintreten für Abrüstung und friedliche Konfliktlösung ist keine ideologische Verbohrtheit, sondern beruht auf der rationalen Einsicht, dass die Waffensysteme heute so entwickelt sind, dass sie potenziell die ganze Menschheit auslöschen können, wenn Großmächte, wenn Atommächte gegeneinander Krieg führen. Das war der Grundgedanke von Abrüstung und Entspannungspolitik, und der ist heute richtiger denn je. Der Weg zu einer größtmöglichen Sicherheit ist, diesen Krieg schnell zu beenden und zu einem tragfähigen Frieden zu kommen. Mit jedem Tag, den der Ukraine-Krieg weitergeht, erhöht sich die Gefahr einer Eskalation.

Ukraine-Konflikt: Mit Putin könne man nicht verhandeln

Diplomatie zu fordern sei entweder schier unmöglich oder naiv, wird einem entgegengeschleudert. Mit Putin könne man nicht verhandeln. Aber was ist die Alternative? Fortführung des Kriegs bis der letzte russische Soldat aus der Ukraine abgezogen ist? Wie viele Menschenleben würde das kosten?

Auch wenn ständig betont wird, nicht verhandeln zu wollen, finden hinter den Kulissen Gespräche statt – zum Getreideabkommen und über den Gefangenenaustausch. Warum reden wir nicht darüber, wie Schritt für Schritt weitere Übereinkünfte realisiert werden können statt Friedensverhandlungen nur vom Ende zu denken? Schrittweise Verständigungen zu erzielen, z. B. Schutzzonen um Kraftwerke und Krankenhäuser zu erwirken und örtliche kontrollierte Waffenstillstände herbeizuführen, könnte das Leben vieler Menschen retten und einen diplomatischen Weg öffnen.

Die Lieferung von Kampfpanzern, Flugzeugen und Kriegsschiffen abzulehnen, bedeutet nicht, der Ukraine die Solidarität zu versagen.

Es gibt eine Vielzahl an zivilen Aufgaben, die kaum öffentlich diskutiert werden. Die Lieferung von Minensuchgeräten, Hilfe zum Wiederaufbau und zur Instandsetzung lebenswichtiger Infrastruktur ist schon jetzt notwendig, ebenso wie eine Schuldenregelung für die Ukraine. Eine Aufnahmeregelung für russische Soldaten, die sich dem Krieg und dem Töten verweigern, muss endlich geschaffen werden. Die von China angekündigte Vermittlungsinitiative ist grundsätzlich zu begrüßen und die Bundesregierung sollte dazu ihren Beitrag leisten.

Janine Wissler ist Co-Vorsitzende der Partie „Die Linke“.

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