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Ukraine-Debatte: Polarisieren hilft nicht

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Von: Stephan Hebel

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Sie lassen in ihrem Aufruf offen, wie der Weg zu Verhandlungen aussehen könnte: Sahra Wagenknecht (l) und Alice Schwarzer. dpa
Sie lassen in ihrem Aufruf offen, wie der Weg zu Verhandlungen aussehen könnte: Sahra Wagenknecht (l) und Alice Schwarzer. dpa © dpa

Eine wertschätzende Diskussion zum Krieg in der Ukraine tut not. Sie sollte weder Russlands Verantwortung vertuschen, noch sich einseitig auf militärische Unterstützung konzentrieren.

Am Tag, bevor sich der russische Überfall auf die Ukraine zum ersten Mal jährt, steht bei den Vereinten Nationen in New York eine Resolution zur Debatte, die sich für ein Ende des Krieges ausspricht. Eingebracht wurde sie von der Ukraine sowie den USA, der EU, der Türkei und anderen. Die Formulierungen, war zu lesen, seien bewusst so allgemein gehalten, dass viele Staaten zustimmen könnten – auch solche, die nicht zur Unterstützungs-Allianz für die Ukraine gehören. Das wäre als Signal, dass die Welt den fortgesetzten Völkerrechtsbruch nicht gutheißt, sicher sinnvoll.

Über die Wege zu einem möglichen Ende des von Wladimir Putin verantworteten Mordens, Plünderns und Vergewaltigens ist damit allerdings noch nichts gesagt. Umso besser, wenn darüber leidenschaftlich debattiert wird. Auch in Deutschland. Ein kritischer Blick auf einige Elemente der Diskussion kann also nicht schaden.

Die diversen Friedensappelle abzutun als überhebliche Besserwisserei deutscher Schreibstuben-Helden, wie das teilweise geschieht, wäre ein Fehler. Jede Überlegung, wie der weite Weg zum Ende dieses Krieges einzuschlagen wäre, verdient Aufmerksamkeit und Respekt, ebenso wie jede kritische Nachfrage an die Kriegsziele des sogenannten Westens oder an die Lieferung von Waffen. Unter einer Voraussetzung allerdings: Solche Vorstöße können nur dann Seriosität beanspruchen, wenn sie weder verschweigen noch verschleiern, wer diesen Überfall und seine furchtbaren Folgen verursacht hat: Wladimir Putin und seine herrschende Clique.

Sie teilen die zentrale Kritik am Memorandum von Schwarzer und Wagenknecht

Womit wir leider schon bei dem Memorandum wären, das Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht initiiert haben. Die Reaktionen darauf lassen sich in zwei Kategorien unterteilen: Die einen stammen von denjenigen, die schon jeden Gedanken an ein womöglich ausgehandeltes Ende des Bombens und Mordens für eine Spielart des Putinismus halten. Interessanter aber ist die Kritik aus den Reihen derjenigen, die der Politik des sogenannten Westens selber kritisch gegenüberstehen.

Als Beispiel sei hier eine Antwort auf das Schwarzer-Wagenknecht-Memorandum erwähnt, die in der großen Öffentlichkeit wenig Chancen auf ein breites Echo hat. Dieter Hummel, ein in der linken Szene vernetzter Anwalt aus Berlin, hat sie gemeinsam mit Roland Appel verfasst, einem ehemaligen Landtagsabgeordneten der Grünen in Nordrhein-Westfalen. Veröffentlicht ist der Text in dem kleinen Bonner Blog „Beueler Extradienst“.

Appel und Hummel teilen den zentralen Punkt der Kritik an Schwarzer und Wagenknecht: „Der Aufruf vermeidet die klare Verurteilung völkerrechtlicher Verstöße Russlands durch den Angriffskrieg und die aus dem Völkerrecht erwachsenden Rechte der Ukraine.“ Da sind sie sich mit dem Politikwissenschaftler Herfried Münkler einig, der (auch in der FR) „Passivkonstruktionen wie ,Frauen wurden vergewaltigt‘“ gerügt und hinzugefügt hat: „als ob unklar wäre, wer diese abscheulichen Verbrechen verschuldet hat“. Darüber hinaus kritisieren Appel und Hummel mit Recht, die Forderung nach Verhandlungen sei „wohlfeil“, sofern nichts darüber gesagt werde, wie der Weg dorthin aussehen könnte.

Vor diesem Hintergrund ist auch der Text von Jürgen Habermas zu lesen

Das Besondere an diesem Beitrag ist, dass er die Kritik an Schwarzer und Wagenknecht mit konstruktiven Überlegungen zu möglichen diplomatischen Lösungen verbindet, statt sich auf den oft allzu schnell erhobenen Vorwurf des Putinismus zu konzentrieren. Zitiert wird der Diplomat Wolfgang Sporrer, der einen möglichen Weg skizziert hat: Kanäle, die ohnehin noch existieren, sollten für den Versuch genutzt werden, weitere Vereinbarungen zu treffen, etwa Waffenruhen an bestimmten Orten (Schulen, Krankenhäuser) beziehungsweise für bestimmte Zeiten wie die Osterfeiertage. Ein Weg, der vielleicht eine Chance, wenn auch keine sichere Aussicht auf eine große Verhandlungslösung bietet – aber die wird durch eine einseitige Konzentration auf militärische Unterstützung genauso wenig garantiert.

Vor diesem Hintergrund ist auch der Text von Jürgen Habermas zu lesen, der in der „Süddeutschen Zeitung“ erschien. Der Altmeister der deutschen Philosophie befürwortet die Unterstützung für die Ukraine. Aber für ihn „scheint der Prozess der Aufrüstung eine eigene Dynamik anzunehmen, zwar angestoßen durch das nur zu verständliche Drängen der ukrainischen Regierung, aber bei uns angetrieben durch den bellizistischen Tenor einer geballten veröffentlichten Meinung, in der das Zögern und die Reflexion der Hälfte der deutschen Bevölkerung nicht zu Worte kommen. Oder doch nicht ganz?“

Es gibt aber auch sachliche Gegenstimmen, etwa von Daniel Cohn-Bendit und Claus Leggewie

Diese Frage beantwortet Habermas mit leiser Hoffnung: „Inzwischen tauchen nachdenkliche Stimmen auf, die … auf ein öffentliches Nachdenken über den schwierigen Weg zu Verhandlungen drängen. Wenn ich mich diesen Stimmen anschließe, dann gerade weil der Satz richtig ist: Die Ukraine darf den Krieg nicht verlieren! Mir geht es um den vorbeugenden Charakter von rechtzeitigen Verhandlungen, die verhindern, dass ein langer Krieg noch mehr Menschenleben und Zerstörungen fordert und uns am Ende vor eine ausweglose Wahl stellt: entweder aktiv in den Krieg einzugreifen oder, um nicht den ersten Weltkrieg unter nuklear bewaffneten Mächten auszulösen, die Ukraine ihrem Schicksal zu überlassen.“

Wie so oft zeichnen sich auch hier manche Twitter-User durch etwas unterkomplexe Antworten aus („Das Problem ist nicht der dämliche Text von Habermas, das Problem ist die @SZ, die den Schnodder abdruckt“). Es gibt aber auch sachliche Gegenstimmen, etwa von Daniel Cohn-Bendit und Claus Leggewie, die Habermas in der „taz“ vorwerfen, „die Annexion der Krim zu bestätigen und Geländegewinne der russischen Armee im Donbass hinzunehmen“. Abgesehen von der Frage nach der Tragfähigkeit dieses Vorwurfs: In ihrem trotz allem wertschätzenden Ton könnte die Chance liegen, eine entpolarisierende Debatte zu führen, die sowohl die „militaristische Schlagseite“ (Rolf Mützenich, SPD-Fraktionschef im Bundestag) vermeidet als auch die Vertuschung von Verantwortlichkeit, wie Schwarzer und Wagenknecht sie faktisch betreiben.

Genau hier setzt auch der Appell von Roland Appel und Dieter Hummel an: „Die monstranzhaft vor sich hergetragene Überzeugung, die Wahrheit gepachtet zu haben und über das allein seligmachende Wissen zur Lösung des Konflikts zu verfügen, finden wir – zurückhaltend formuliert – irritierend und nicht aufklärerisch.“ Und zwar auf beiden Seiten.

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