Die Trolle sind unter uns

Gefälschte Nachrichten hat es immer gegeben. Mit den digitalen Medien aber haben sich die Möglichkeiten zu Fälschung demokratisiert. Man tut es, weil man es kann. Der Leitartikel.
Britney Spears lebt. Am Ende waren es wohl nur ein paar Witzbolde, die die Nachricht vom frühen Ableben des Popstars kurz vor Jahresschluss in Umlauf gebracht hatten. Vielleicht um zu sehen, welche individuellen Regungen und kollektiven Gefühle das auszulösen vermag.
Die Bandbreite der mehr oder weniger empfindsamen Bekundungen der Anteilnahme kann in solchen Fällen groß sein. Fans bringen mittels der digitalen Medien ihre Emotionen in Umlauf, an authentischen Orten werden kleine Altäre errichtet, und das Bedürfnis, noch einmal die musikalischen Produkte der fast schon vergessenen Stars erklingen zu lassen, wächst, wenn auch nur vorübergehend, sprungartig an. Elvis lebt, und Michael Jackson, Prince und all die anderen sollen es auch.
Der Lust, sich zum öffentlichen Leben zu verhalten, wohnt nicht selten auch ein quasi-religiöser Impuls inne. Man bewundert oder richtet – je nach Ausstattung des emotionalen Haushalts – und entsendet entsprechende Botschaften in alle Welt. Dabei geht es zunächst nicht um richtig oder falsch. Das sich rasend verbreitende Phänomen der Fake News scheint stark von dem Bedürfnis getragen, seinen wie auch immer veranlagten Omnipotenzfantasien freien Lauf zu lassen. Nicht selten geht es einfach nur darum, die neu hinzugewonnenen Fälschungspotenziale unter Beweis stellen zu können. Jemand tut es, weil er es kann.
Man bewundert oder richtet
Im Fall der Nachricht über den vermeintlichen Tod von Britney Spears blieben die Auswirkungen begrenzt. Die Botschaft befand sich nur wenige Minuten auf einem Portal der Produktionsfirma Sony Music, dann wurde sie wieder entfernt. Aber die Trolle sind unter uns, und oft ist zwischen derbem Spaß und destruktiven politischen Motiven kaum mehr zu unterscheiden.
Die Erzeugung von gefälschten Nachrichten kann vieles zugleich sein: ein sportlich-digitaler Leistungsnachweis, eine gesellschaftspolitische Subversion, eine kriminelle Aktivität, eine politische Verschwörung. Die neue Welt der Täuschungen ist äußerst variantenreich, und das Zeitalter der Simulation, das der französische Philosoph Jean Baudrillard bereits Ende der 70er Jahre ausgerufen hatte, hat erst durch die digitalen Medien so richtig an Fahrt aufgenommen.
Die besondere Gefahr, die seit einiger Zeit im Zusammenhang mit gefälschten Informationen unter Stichworten wie „fake news“ und „postfaktisch“ verhandelt wird, besteht in der enormen Verbreitung der Nachrichten sowie der rasenden Geschwindigkeit, in der sich der Vorgang unwiderruflich vollzieht. Letztlich haben es die Fälscher nicht darauf abgesehen, realitätsgetreue Duplikate in Umlauf zu bringen. Es geht vielmehr darum, die etablierten Mechanismen der Beglaubigung herauszufordern. Wer zum Dementi gezwungen ist, hat meist schon verloren.
Gefälschte Nachrichten hat es immer gegeben, ihre Geschichten füllen stattliche Bibliotheksregale und sie sind aufbewahrt in kunstvoll ausgeschmückten Legenden über Geheimdiplomatie und ihre Agenten. Deren Einfalls- und Erfindungsreichtum ist beachtlich, stets aber schien es nur einigen wenigen Mächtigen vorbehalten zu sein, sich ihrer Fähigkeiten bedienen zu können.
Mit den digitalen Medien aber haben sich die Möglichkeiten zu Fälschung und Täuschung demokratisiert. In mehr oder weniger begrenzten Umfang kann heute jeder und jede mittun. Vor der Lust am großen Schwindel ist niemand sicher. Weder Staaten noch die Privatsphäre der Einzelnen sind wirkungsvoll und verlässlich dagegen zu schützen. War es zu Beginn der digitalen Revolution noch eine legitime Hoffnung, dass die neue Transparenz weltweit wichtige Demokratisierungsschübe auslösen würde, so besteht die bittere Pointe der politischen Zeitläufte nun darin, dass es am ehesten noch Autokraten vermögen, sich gegen die digitalen Irritationskräfte zur Wehr zu setzen. Politische Zensur wird stärker betrieben als je zuvor und moderne Machthaber rühmen sich damit, zur Absicherung ihrer Herrschaft auch über die algorithmischen Kräfte zu gebieten.
Und doch scheint es noch so etwas wie die Glaubwürdigkeit natürlicher Autoritäten zu geben. Als die Kölner Polizei wegen der Verwendung der Abkürzung Nafri für nordafrikanische Intensivtäter zu Jahresbeginn stark unter öffentlichen Beschuss geriet, war es das bemerkenswert sachliche Auftreten des Kölner Polizeipräsidenten Jürgen Mathies, der die Situation mit einer unaufgeregten Entschuldigung und kompetenten Einlassungen zum Geschehen geraderückte. Man hatte das sichere Gefühl, dem Mann über den Weg trauen zu können.
Das im politischen Kontext oft arg strapazierte Wort Glaubwürdigkeit enthält auch den Begriff Würde. Auf sie gilt es insbesondere dann noch zu achten, wenn in der Welt, in der man twittert, bereits alles von der Illusion der Unmittelbarkeit abzuhängen scheint.