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Konflikt im Sudan eskaliert: Der Westen hat die Falschen hofiert

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Von: Johannes Dieterich

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Kämpfe im Sudan: Rauch steigt nach anhaltenden Kämpfen in der Stadt über Dächern auf.
Rauch steigt nach anhaltenden Kämpfen in der Stadt über Dächern auf. © Marwan Ali/dpa

Die westliche Taktik, die Militärs im Sudan einzubinden, hat lediglich deren Egos aufgeblasen, aber nicht der Demokratie den Weg bereitet. Der Leitartikel.

Khartum - Volker Perthes kann einem leid tun. Der Duisburger Diplomat sitzt in seinem Schutzraum in Khartum und sieht müde aus. Seine Anstrengungen als UN-Beauftragter im Sudan waren erfolglos: Statt dass am Zusammenfluss des Blauen und Weißen Nils die Geburt eines demokratischen Staats gefeiert werden kann, droht der sudanesischen Hauptstadt die Vernichtung.

Auch die Versuche des Orientalisten, die beiden tödlich zerstrittenen Generäle Abdel Fattah al-Bahran und Mohamed Hamdan Dagalo (alias Hemeti) in den vergangenen Tagen zu einem Waffenstillstand zu bewegen, hatten bislang keinen Erfolg: Der ehemalige Chef der Berliner „Stiftung für Wissenschaft und Politik“ ist am Ende der diplomatischen Fahnenstange angelangt. Nur über eines scheint Perthes noch stolz zu sein: Er stehe in ständigem Kontakt mit den beiden Kriegsfürsten, versichert der Professor während einer Pressekonferenz aus seinem Bunker. Zumindest ist der Mann also bestens verknüpft.

Sudan: Westliches Diplomatencorps war gewarnt

Genau das aber ist Perthes‘ Problem – und das des sudanesischen Volkes. Wie seine Kolleg:innen in den westlichen Botschaften kümmerte sich der UN-Mann in den vergangenen zwei Jahren vor allem um das Militär, das sich einer Demokratisierung des nordostafrikanischen Staates beharrlich widersetzte: Nur wenn die Offiziere einer Vereinbarung mit der Opposition zustimmen würden, so das Kalkül der Diplomaten, könne wieder Bewegung in die erstarrte Lage kommen. Wenige Stunden vor dem Ausbruch der Gefechte in Khartum dinierte Perthes am vergangenen Freitagabend noch mit Vizearmeechef und Generalleutnant Schams al-Deen al-Kabaschi in dessen Villa.

Menschen in Khartum (Sudan) fliehen vor den Kämpfen zwischen der Armee und Paramilitärs.
Menschen in Khartum (Sudan) fliehen vor den Kämpfen zwischen der Armee und Paramilitärs. © afp

Dabei war das westliche Diplomatencorps gewarnt. Die Gesandten sollten endlich aufhören, ausgerechnet jene Leute zu bezirzen, die aus ihrer Abneigung gegen demokratische Regeln seit Jahrzehnten kein Geheimnis machen: Zuletzt hatte das al-Burhan noch gemeinsam mit Hemeti demonstriert, als sie im Oktober 2021 den zivilen Premierminister Abdalla Hamdok kurzerhand wieder aus dem Amt putschten. Schon damals schwor die eigentliche Opposition – die Mitglieder der Straßenkomitees, die im April 2019 nach monatelangen Protesten unter Lebensgefahr den berüchtigten Militärdiktator Omar al-Baschir um seine Macht gebracht hatten, sich nicht mehr mit den Offizieren an einen Tisch zu setzen. Nach deren jahrzehntelanger Plünderung der Schätze des Landes, nach ihrer diktatorischen Herrschaft, Bürgerkriegen, einem Völkermord in Darfur, Massakern unter wehrlosen Demonstrant:innen und dem Bruch zahlloser Versprechen war auch das letzte Molekül an Vertrauen in die Offiziere aufgebraucht – ob es sich um die Generäle der Armee oder um Milizenführer handelte.

Fehler der westlichen Diplomatie im Sudan

Nach dem Militärputsch vor eineinhalb Jahren ließ die Khartumer Opposition keine Zweifel mehr daran: Verhandlungen mit den Männern in Uniform sollte es nicht mehr geben. Doch die westlichen Diplomatie war anderer Meinung. Sie hätte die sudanesische Soldateska mit allen nur erdenklichen Sanktionen belegen und politisch links liegen gelassen können: Passiert ist das genaue Gegenteil. Die Offiziere wurden inständig um eine Wiederaufnahme der Gespräche gebeten, Sanktionen wurden keine erlassen, die Straßenkomitees, deren Mitglieder ihr Leben wieder mit wöchentlichen Protesten riskierten, fühlten sich verraten. Derzeit wird im Westen wieder die Forderung nach Sanktionen laut – als ob das jetzt noch etwas nützen würde.

Auch UN-Mann Perthes bemühte sich um eine Rückkehr der Generäle an den Verhandlungstisch – erreichte damit aber vor allem die Spaltung der Opposition. Während die Revolutionär:innen der Straßenkomitees bei ihrem Boykott der Generäle blieben, ließen sich „gemäßigte“ Oppositionsgruppen zu einer Teilnahme an Gesprächen überreden. Sie führten schließlich im Dezember zu einem „Rahmenabkommen“, das endgültig den Übergang zur Demokratie regeln sollte: Auch das war allerdings das Papier nicht wert, auf dem es aufgeschrieben worden war.

Schmusekurs der westlichen Diplomatie trug noch in anderer Weise zum derzeitigen GAU im Sudan bei

Der Schmusekurs der westlichen Diplomatie trug noch in anderer Weise zum derzeitigen GAU bei: Er blies das Ego eines farblosen Berufssoldaten und eines ehrgeizigen Kamelhändlers auf, die sich beide im Mittelpunkt des Weltgeschehens und als künftige Staatschefs ihres Landes wähnten. Statt als mutmaßliche Kriegsverbrecher oder gar Völkermörder vor Gericht gestellt zu werden, nisteten sich die beiden Generäle im neuen Khartumer Präsidentenpalast ein – und fechten jetzt ihre mörderischen Ambitionen auf den Gräbern der Bevölkerung aus.

Kein Wunder, dass Volker Perthes müde aussieht: Gemeinsam mit der westlichen Diplomatie ist er auf tragische Weise gescheitert. (Johannes Dieterich)

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