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Stumpfsinnherrschaft vom Hurensohn

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Von: Stefan Behr

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In „Tim & Struppi“-Comics wird anständig geflucht.
In „Tim & Struppi“-Comics wird anständig geflucht. © peter-juelich.com

Dem Schimpfwort geht es furchtbar schlecht. Das Abendland steht hinsichtlich seines Verbalinjurienschatzes mit dem Arsch zur Wand. Schuld daran sind nicht die Gerichte. Aber die könnten was dagegen tun. Die Kolumne.

Im James-Bond-Film „Der Mann mit dem goldenen Colt“ möchte Bond beim Dinner seinen Gegenspieler Scaramanga insultieren, ohne die Etikette zu verletzen. „Es gibt da einen Kraftausdruck, der trifft voll auf Sie zu“, sagt Bond und überlässt damit den Grad der Beleidigung der Fantasie Scaramangas. Vorbildlich!

Es ist Zeit, Alarm zu schlagen: Die deutsche Sprache, an Kraftausdrücken so reich wie wenig andere, droht zu verarmen. Nirgendwo wird das so deutlich wie in Gerichtssälen. Längst hat der „Hurensohn“ als Universalbeleidigung seine Stumpfsinnherrschaft übernommen. Er kann verheerend wüten. Um seine eigene Spontansteinigung zu organisieren, muss man gar nicht mehr „Jehova!“ brüllen. Ein lauthalser „Hurensohn“ abends in der Fußgängerzone tut’s genauso.

Warum dem so ist, wissen die Götter. Ein Erklärungsversuch: „Hurensohn“ impliziert, dass die Mutter des Angesprochenen dem ältesten Gewerbe der Welt und damit einer geregelten Arbeit nachgeht. Dies ist aber oft nicht der Fall, und durch die Erinnerung an diese unerfreuliche Tatsache wird der Adressat traumatisiert, antwortet mit Dresche. Die Gründe sind aber egal. Fakt ist: den einen Teil der Menschheit beleidigt, den anderen langweilt dieses Wort mittlerweile auf das Tödlichste.

Du Ikonoklast

Bei Letzterem handelt es sich vermutlich um den Teil, der mit „Tim & Struppi“-Comics aufgewachsen ist, in denen ein stets ebenso eloquenter wie volltrunkener Käptn Haddock seine Widersachern so elaborierte Ausdrücke wie „Ikonoklast“, „Brontosaurier“ oder „Troglodyt“ entgegenfeuerte. Da konnte man noch was lernen. Etwa, dass es sich beim Troglodyten um einen Höhlenbewohner handelt, also um einen Menschen, welcher der Hauptbeschäftigung der Menschheit vor Erfindung der Hurerei nachgeht. Heute kennt ihn keine Sau mehr, oder, wie Schiller es einst schöner formulierte: „Scheu in des Gebirges Klüften barg der Troglodyte sich …“

Man muss aber gar nicht Ausnahmekeifer wie Haddock als Beweis bemühen, dass die deutsche Schimpferei unfrisch vor sich hinsiecht. Wohin sind sie entschwunden, die Gecken, Schmocks und Stutzer? Wer nennt sie noch beim Namen, die Taugenichtse, Schnapphähne und Hundsfötter? Wer hat noch Angst vorm Malefizkerl, Haderlump, Tagedieb? Niemand.

Kein Zweifel: Das Abendland, in Sachen Beleidigungskultur seit Götz von Berlichingen selig eine Weltmacht, steht hinsichtlich seines Verbalinjurienschatzes mit dem Arsch zur Wand. Hier könnten die Gerichte, die ja mit am schlimmsten betroffen sind, gegensteuern. Sie könnten einen jugendlichen Missetäter dazu verdonnern, mit ehrlich erarbeitetem Geld das Buch „Hunderttausend Höllenhunde: Haddocks Einmaleins des Fluchens“ zu kaufen und bis zum nächsten Gerichtstermin auswendig zu lernen. Vielleicht wäre auch der Pflichtbesuch eines Kraftausdruckstanzseminars eine gute Idee. Doch solcherlei sieht der Gesetzgeber, die vermaledeite Steißgeburt, leider nicht vor.

Es wäre schon ein Fortschritt und zudem ein Gebot des kultivierten Miteinanders, vor der nächsten Kioskschlägerei einfach das gute alte Bond-Zitat vom Anfang zu bemühen. Das Gegenüber kann dann ja selbst entscheiden, ob es sich eher als einen Troglodyten oder Hurensohn betrachtet. Zugegeben: Am Resultat dürfte das wenig ändern. Ist einfach eine Stilfrage.

Stefan Behr ist Gerichtsreporter der FR.

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