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Wo sind die journalistischen Maßstäbe hin?

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Von: Klaus Staeck

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Die SPD macht doch eh alles falsch - diesen Generalverdacht sollten die Genossen als Angebot zum Befreiungsschlag nutzen.
Die SPD macht doch eh alles falsch - diesen Generalverdacht sollten die Genossen als Angebot zum Befreiungsschlag nutzen. © Peter Jülich

Es wird immer doller. Kurz nach der Wahl gab es eine Umfrage, die wissen wollte: Wie würden Sie sich entscheiden, wenn am kommenden Sonntag Wahlen wären? Unsere Kolumne.

Es war richtig von Martin Schulz, der großen Koalition noch am Wahlabend eine klare Absage zu erteilen und die SPD im neuen Parlament als Opposition zu verorten. Eine Rolle, die einige mediale Oberschiedsrichter wie das Magazin „Stern“ ihr schon vor der Wahl zugewiesen hatten. Es liege in der nationalen Verantwortung der SPD, nicht den Alternativos für Deutschland die bescheidenen Privilegien der größten Oppositionspartei zuzugestehen. Dass diese Absage von denselben Wächtern als Fahnenflucht gescholten wurde, ist der Lesart geschuldet, die SPD mache ohnehin immer alles falsch. Diesen Generalverdacht sollten die Genossen als Angebot zum Befreiungsschlag nutzen und einfach genau das tun, was sie für richtig halten.

So munter sich das Schuldzuweisungskarussell auch dreht – am heftigsten wird derzeit auf die Öffentlich-Rechtlichen eingeschlagen. Zugegeben, selbst für einen glühenden Verehrer und Verteidiger der nicht pivaten Medien war das als Höhepunkt des Wahlkampfs gepriesene „TV-Duell“ nicht nur eine Zumutung, sondern der Sündenfall. Wie man weiß, war der Deal eine handfeste Erpressung: Mit der Drohung ihrer Nichtteilnahme hat die Kanzlerin den Anstalten ihre unzumutbaren Bedingungen diktiert.

Die AfD wurde nicht von den Medien groß gemacht

Ex-ZDF-Chefredakteur Brender nannte die Vereinbarung „sittenwidrig“. Das spät gehauchte mea culpa der Intendanten konnte den Vertrauensverlust nicht beheben. Jetzt, nachdem die Hohepriester des berichtenden Gewerbes eifrig dabei sind, der geschlagenen SPD nebenher auch noch den Status einer Volkspartei abzusprechen und Schulz als Verlierer nichts mehr hergibt, werden die Altvorderen wiederbelebt.

Als eine Art Trittbrettfahrer hat sich der Parteirentner Klaus von Dohnanyi am lautesten zu Wort gemeldet. Schon vor der Wahl sprach er in der Zeitung „Die Welt“ Schulz die Fähigkeit zum Kanzler ab, um ihn nun post festum zum Rücktritt aufzufordern. Es folgte die sofortige Einladung in eine jener allabendlichen TV-Quasselrunden. Welche seelische Not muss diesen wackeren Mann umtreiben?

Meine Vermutung: Da Aufmerksamkeit oft einen höheren Wert hat als alle materiellen Güter, ist es bitter, nicht mehr ständig öffentlich gefragt und gehört zu werden. Also tragen wir dem alten Herrn seinen Hilfeschrei nicht weiter nach, sondern fragen uns, was aus unseren hehren journalistischen Maßstäben geworden ist. Denn so neu ist das Verhalten des ehemaligen Hamburger Bürgermeisters nicht.

Wenn „Bild“ ein Statement gegen regierende Sozis brauchte, rief sie Annemarie Renger oder Georg Leber an. Die Jusos haben sich aus dieser Falle befreit – jedoch um den Preis, medial nicht mehr vorzukommen. Schon vor Jahren habe ich vorgeschlagen, Plattformen der Aufmerksamkeit zu schaffen für all jene aus der Öffentlichkeit Verschwundenen, die nicht mehr in Amt und Würden sind. Der Bedarf ist da.

Ich glaube nicht, dass der Vorwurf an die Medien, sie hätten die AfD groß gemacht, richtig ist. Die intensive Beschäftigung mit der AfD wird erst nachlassen, wenn die nächste Truppe auf den Plan tritt. Die Piraten lassen grüßen! Auch die in immer schnellerer Folge veröffentlichten Umfragen werden uns weiter quälen. Oder ist es etwa keine Nachricht aus dem Tollhaus, wenn uns das ZDF fünf Tage nach der Wahl mitteilt, wie sich die Wähler entschieden hätten, „wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre“. Geht’s noch?

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