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Luisa Neubauer: „Der Kanzler hat die Kontrolle über seinen Laden verloren“

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Von: Luisa Neubauer

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Man kann die Protestform der „Letzten Generation“ kritisieren. Umso mehr braucht es jetzt Bewegung auf den Straßen, schreibt Luisa Neubauer von „Fridays for Future“.

Das ging schnell: Die Ampel hat sich in nur zwei Jahren an einen Punkt manövriert, an dem via Fragenkataloge, Bild-Leaks und Social-Media-Bashing der Stillstand verhandelt wird, statt die Umsetzung der gemeinsamen Ziele voranzubringen (und ja, auch die Wärmewende ist ein gemeinsames Ziel). Während die FDP in einer nicht enden wollenden Tirade die Klimaziele malträtiert, arbeiten sich diverse Staatsorgane bemerkenswert unprofessionell daran ab, die Klimabewegung und vor allem die „Letzte Generation“ auf ihre Demokratietreue hin zu überprüfen. Dabei erlebt man in Deutschland seit Jahren verlässlich, dass die Klimabewegung auf die Einhaltung geltenden Rechtes (das Klimaschutzgesetz), internationale, demokratische Vereinbarungen (Pariser Klimaabkommen) und das Verfassungsgericht (und das Klima-Urteil aus dem Jahr 2021) verweist. Demokratischer geht es praktisch nicht.

Mit ihrer Entscheidung, den politischen Druck der Klimabewegung nicht als Rückenwind für die Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen zu verstehen, macht die Regierung einen gravierenden Fehler. Sie bekämpft den engagierten und offensichtlich demokratischen Teil der Öffentlichkeit, auf den die Regierenden selbst angewiesen sind. Im März 2023 haben Forscher:innen aus Hamburg wieder gezeigt: Ob Klimaziele eingehalten werden oder nicht, steht und fällt mit dem sozialen Wandel. Sprich, ob man die Gesellschaft kulturell, normativ, habituell und so weiter für eine schnelle Transformation an Bord bekommt, ist entscheidend. In diesem Sinne müsste die Regierung - die ja selbst weiß, dass sie Wege finden muss, ihre Klimaziele einzuhalten - eine aktive Zivilgesellschaft schützen und stärken, statt sie zu demoralisieren. Bis heute hat es die Bundesregierung nicht geschafft, klarzustellen, dass die große Gefahr für die Öffentlichkeit natürlich nicht der Protest an sich ist, sondern die Klimakrise und die fossilen Lobbys, die sie vorantreiben.

Klimaaktivistin Luisa Neubauer wendet sich in der FR an Bundeskanzler Olaf Scholz. (Archivbild)
Klimaaktivistin Luisa Neubauer wendet sich in der FR an Bundeskanzler Olaf Scholz. (Archivbild) © Frank Hormann/dpa

Luisa Neubauer: Was muss passieren, damit Olaf Scholz handelt?

Drei große Fragen stehen nun im Raum. Erstens: Wann gesteht der Kanzler, dass er offensichtlich die Kontrolle über seinen Laden verloren hat? Zweitens: Was muss passieren, damit er handelt - als hätte man hier nicht nur eine Klimakrise zu bekämpfen, sondern auch das Vertrauen in die Bundesregierung zu verteidigen? Und drittens: Wie schnell kommen wir als politische Öffentlichkeit wieder in die Offensive?

Man kann die Protestform der „Letzten Generation“ kritisieren, ich tue das auch. Umso mehr braucht es jetzt Bewegung auf den Straßen, in den Unternehmen, Einrichtungen und Schulen. Es ist an der Zeit, selbstbewusst und vielfältig, friedlich und demokratisch zu zeigen: Völlig egal unter welchem Logo man läuft - wir haben kein Interesse daran, stumm zuzugucken, wenn unsere Chancen auf geschützte Lebensgrundlagen, gerechte Transformationen und gesicherte Zukünfte verspielt werden.

Scholz muss handeln – Fridays for Future und Luisa Neubauer auf der Straße

Ob der Kanzler in diesem Moment begreift, was auf dem Spiel steht, weiß man nicht. Glücklicherweise ist der Rest von uns nicht machtlos und kann selbst loslegen. Entsprechend ist dieser Brief an Sie und euch adressiert, liebe Leserinnen und Leser. Ich werde nächsten Freitag in Hamburg mit Fridays for Future auf die Straßen gehen. Jetzt erst recht. Fühlen Sie sich eingeladen - und aufgerufen. (Luisa Neubauer)

Luisa Neubauer ist in Deutschland eine der Hauptorganisatorinnen der Klimaschutzbewegung „Fridays for Future“, die von der schwedischen Aktivistin Greta Thunberg inspiriert wurde.

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