Portugal ist ein Wunder an Stabilität

Der Sozialdemokrat António Costa ist klarer Sieger der Wahl in Portugal. Aber so rosig, wie es scheint, werden die nächsten Jahre für ihn nicht. Der Leitartikel.
Auf den zweiten Blick hat sich nicht viel verändert in Portugal. Die drei großen linken Parteien haben bei den Parlamentswahlen am Sonntag gemeinsam zwei Prozentpunkte zugelegt, die beiden großen bürgerlichen Parteien haben zweieinhalb Punkte verloren. Kein Erdrutsch nirgends. Aber doch ein klarer Sieger: António Costa. Vor vier Jahren war er der unwahrscheinliche Ministerpräsident. Jetzt ist er der unbestritten starke Mann. Das ist nicht unbedingt die leichtere Rolle.
Der 58-jährige Costa, Vorsitzender der Sozialistischen Partei (die in Europa zur sozialdemokratischen Familie gehört), möchte nach diesem Wahlsonntag am liebsten alles beim Alten belassen. Das Bündnis seiner Sozialisten mit dem Linksblock und den Kommunisten sei doch offenbar bei den Portugiesen gut angekommen, sagte er am frühen Montagmorgen. Warum also nicht weiter so?
Ganz so einfach wird es nicht. Vor vier Jahren war Portugal in einer ungewöhnlichen Situation. Das 10,5-Millionen-Einwohner-Land tastete sich gerade aus einer dramatischen Wirtschaftskrise heraus. Die bürgerliche Regierung von Pedro Passos Coelho hatte den Portugiesen eine Legislaturperiode lang lauter Schmerzen zugemutet, mit dem einen großen Ziel, den Staatsbankrott zu verhindern. Und wirklich begann sich das Land zu erholen. Aber die Schmerzen waren noch spürbar.
Portugal: Costa lebte vier Jahre in der besten aller Welten
Trotzdem machten die Wähler die bürgerliche Wahlkoalition von Passos Coelho im Oktober 2015 noch einmal zur stärksten Kraft. Die Portugiesen neigen nicht zu Revolutionen. Es sei denn, mit einer Nelke in der Hand.
Der damals zweitplatzierte António Costa brauchte 54 Tage, um seine Niederlage in einen Sieg zu verwandeln. Ihm gelang das Meisterstück, nicht nur den linksalternativen Bloco de Esquerda (Linksblock), sondern auch die sehr kommunistischen Kommunisten für ein Bündnis mit den Sozialisten zu gewinnen. Keiner der beiden kleineren Partner wollte mit in die Regierung einsteigen. Costa lebte vier Jahre in der besten aller Welten: Er konnte allein regieren und hatte gleichzeitig eine bequeme parlamentarische Mehrheit hinter sich.
Aus portugiesischer Sicht war dies das größte Wunder der vergangenen vier Jahre: dass das Linksbündnis hielt. Aus europäischer Sicht ist es das größere Wunder, dass überhaupt noch ein großer Teil der Wähler Vertrauen in ein sozialdemokratisches Projekt hat. Aus wirtschaftspolitischer Sicht ist das Wunder gar keines: Außer ein paar verstockten Paläoliberalen zweifelt niemand daran, dass eine sozial verantwortliche Politik zu besseren Resultaten führt als eine Politik der sozialen Kälte.
Portugal: Costa hat die Umstände zu nutzen gewusst
Costa hat in den vergangenen vier Jahren keine Wunder vollbracht, er hat die Umstände zu nutzen gewusst: den Aufschwung der Weltwirtschaft, den Touristenboom. Er hatte genug Euros für die eine oder andere Leistung an die Bürger in der Kasse und musste kein Geld ausgeben, das er nicht hatte. Er konnte die Haushaltssanierung vorantreiben, ohne die Sozialpolitik zu vergessen. Im Rahmen der Möglichkeiten – eines in Portugal weiterhin eng gesteckten Rahmens.
Das Land ist aus der schlimmsten Krise heraus, aber immer noch eines der ärmsten in der Europäischen Union. Wer das gerade frisch erglänzende Lissabon besucht, ahnt von der Armut nichts. Aber die Portugiesen wissen davon. Sie zetteln deswegen keine Revolution an. Aber sie protestieren auf ihre Weise.
Am Sonntag taten sie das, indem sie zu Hause blieben. Die Wahlbeteiligung sank auf 54,5 Prozent. Von denen, die zur Wahl gingen, entschieden sich mehr als zehn Prozent – so viele wie nie – für Parteien, die eben noch Splittergruppen waren. Die radikalökologische PAN brachte es auf 3,3 Prozent der Stimmen, eine Abspaltung des Linksblocks, Livre, auf 1,1 Prozent, eine neue libertäre Partei, Iniciativa Liberal, auf 1,3 Prozent. Und die rechtspopulistische Chega („Genug“) erreichte ebenfalls 1,3 Prozent. Sie alle werden im neuen Parlament vertreten sein. Das traditionelle Parteiensystem des Landes bricht nicht auseinander, aber es beginnt auszufransen.
Portugal: Costas bisherige Partner sind anspruchsvoller geworden
Trotzdem ist Portugal ein Wunder an politischer Stabilität in instabilen Zeiten. Es gibt keine klügere Erklärung dafür als die eines Nationalcharakters, der zur Mäßigung neigt. Was nicht heißt, dass nicht auch einem Portugiesen mal die Gäule durchgehen können. Zumal wenn er der mächtigste Mann im Staate ist.
António Costa, der zur Selbstverliebtheit neigt, kann sehr ungeduldig werden, wenn er sich mit jemandem streiten muss. Das konnten seine Landsleute am Freitag sehen, als ihr Ministerpräsident den Anschein machte, als wollte er sich mit einem Kritiker auf offener Straße prügeln. Natürlich tat er es nicht. Aber er ist nicht immer der freundlich strahlende Mann, als den man ihn meistens sieht.
Für die anstehenden Verhandlungen mit den anderen linken Parteien wird sich Costa von seiner besten Seite zeigen müssen. Seine bisherigen Partner sind anspruchsvoller geworden. Diesmal geht es nicht darum, eine rechte Regierung zu verhindern – sondern einen allzu mächtigen Regierungschef Costa.