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Afghanistan: Ohne Frauen keine humanitäre Hilfe

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Mädchen und Frauen in Afghanistan müssen ihre Träume begraben.
Mädchen und Frauen in Afghanistan müssen ihre Träume begraben. © Adrien Vautier / Le Pictorium/Imago (Archiv)

Das Arbeitsverbot für die Hälfte der Bevölkerung in Afghanistan gefährdet das Leben von Millionen Menschen – und bedeutet das Aus für viele Lebensträume, schreibt Jan Sebastian Friedrich-Rust, Geschäftsführer der humanitären und entwicklungspolitischen Organisation „Aktion gegen den Hunger“.

Vor etwas mehr als zwei Monaten haben die Taliban ein Dekret erlassen, das afghanischen Frauen den Besuch einer Universität oder die Arbeit in Nichtregierungsorganisationen verwehrt. Das ist eine neue Stufe der Diskriminierung und Beschneidung der Grundrechte von Frauen. Die Folgen sind verheerend. Unsere afghanischen Kolleginnen haben mit uns darüber gesprochen.

„Das Recht auf freie Arbeit ist so unfassbar wichtig. Alle sollten es haben. Warum gibt es in unserem Land so viele Verbote für Frauen? Wir wollen ebenso für eine bessere Zukunft arbeiten können. Aber sie denken, dass wir Frauen dazu nicht in der Lage sind. Es ist egal, welche Träume wir haben, wir können sie nicht erreichen – ich trage nun alle meine Träume zu Grabe“, berichtet Ellaha A., eine junge Frau, die für „Aktion gegen den Hunger“ als Krankenpflegerin arbeitet.

Wie Ellaha geht es vielen Frauen. Wir beschäftigen 1000 Mitarbeitende in Afghanistan, darunter fast 400 Frauen. Eine davon ist Nila J., die für uns bisher als Personalerin tätig war. Sie wäre gerne Managerin geworden, aber „wegen der aktuellen Situation und dem Verbot der Taliban kann ich diesen Traum nicht erreichen. Jetzt bin ich den ganzen Tag zu Hause und das ist schwer zu ertragen. Meine Sorge ist groß, dass die Taliban uns das Arbeiten für immer untersagen werden.“

Dass diese Frauen nun nicht mehr ihrer Arbeit nachgehen können, ist nicht nur ein massiver Einschnitt in ihre Rechte. Es ist ein Rückschritt, der sich direkt auf ihre Familien und Gemeinden auswirkt, die auf das Einkommen der Frauen angewiesen sind. So führt der Erlass der Taliban schon jetzt zum Anstieg von Kinderarbeit. Die neue Situation zwingt Kinder immer öfter und unter gefährlichen Bedingungen, zum Einkommen und Überleben ihrer Familien beizutragen. Kinder, denen damit auch der Weg auf Bildung und eine bessere Zukunft versperrt bleibt.

Die Folgen sind umso verheerender, wenn die Frauen die einzige berufstätige Person in ihrer Familie sind. Oft mussten sie deshalb auf ihrem eigenen Berufsweg immer wieder zurückstecken, so auch Ellaha A.: „Ich arbeitete in einer Notfallstation als Assistentin. Da beschloss ich, Chirurgin zu werden. Aber ich hatte nicht die Mittel und meine Familie unterstützte mich nicht. Ich bewarb mich als Krankenpflegerin bei einer Hilfsorganisation, musste diesen Job wegen Problemen in der Familie aber wieder aufgeben. Am Ende musste ich sogar die Universität wegen finanzieller Sorgen abbrechen. Ich heiratete meinen Mann, der ebenfalls arbeitslos war. Nach der Hochzeit nahm ich mein Studium wieder auf. Mir fehlte nur noch ein Semester bis zum Abschluss – doch dann verbannten uns die Taliban aus Schulen und Universitäten.“ Nahezu alle Frauen können Ähnliches berichten.

Wir dürfen bei dem Beschluss der Taliban, Frauen aus dem humanitären Sektor auszuschließen, nicht vergessen: Alle berufstätigen Frauen in Afghanistan mussten hart für ihr Recht auf Bildung und Arbeit kämpfen. Dass ihn dieses nun genommen wird, ist ein Rückschlag und ein verheerendes Zeichen für junge Mädchen: „Seit meiner Kindheit wollte ich Ärztin werden. Später studierte ich dann Psychologie. Ich bin so dankbar, dass ich meinen Traum verwirklichen konnte, trotz der Hindernisse “, sagt Malala Z., die als Psychologin tätig war. „Mir tut es so leid für junge Mädchen, dass ihnen Schulen und Universitäten nun verschlossen bleiben. Es ist ein großer Verlust.“

Die Ausgrenzung der Hälfte der Bevölkerung stellt nicht nur humanitäre Organisationen vor ein anhaltendes Problem, sondern in letzter Konsequenz vor allem das Land selbst. Afghanistan ist in hohem Maße auf humanitäre Hilfe angewiesen. Nicht nur um Leben zu retten und Not zu lindern, sondern auch um seine Wirtschaft zu stabilisieren.

Zwei Drittel der Bevölkerung – 28 Millionen Menschen – benötigen 2023 Unterstützungsleistungen. Das Arbeitsverbot gefährdet das Leben von Millionen Menschen. Frauen sind eine wichtige Säule bei der Bekämpfung des Hungers in Afghanistan. Gemeinsam mit anderen Organisationen im Land setzen wir uns weiterhin dafür ein, dass die Behörden die Ausgrenzungsmaßnahmen für Frauen wieder zurücknehmen. Denn Humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit sind ohne Frauen undenkbar.

Die Namen unserer afghanischen Kolleginnen wurden aus Sicherheitsgründen geändert.

Jan Sebastian Friedrich-Rust ist Geschäftsführer der humanitären und entwicklungspolitischen Organisation „Aktion gegen den Hunger“.

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